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Ein sprachschöpferisches Gesetzblatt

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Zu den Institutionen der alten Donau- . monarchie, die mit ihrem engeren fachlichen Wirken völkerverbindende, kulturelle Leistungen verbanden, zählt das Reichsgesetzblatt, das kürzlich seinen hundertjährigen Bestand feierte. Es bot die Grundlage einer einheitlichen Rechtsprechung für alle Länder und Völker der Monarchie, wirkte aber noch darüber hinaus kulturell. Das kaiserliche Patent vom 4. März 1849, das zehn Ausgaben vorsah, nämlich „deutsch, italienisch, magyarisch, böhmisch (zugleich für die mährische und slowakische Schriftsprache), polnisch, ruthenisch, slowenisch (zugleich für die windische und kraine-rische Schriftsprache), serbisch, illyrisch (zugleich kroatisch),' serbisch-illyrisch (mit serbischer Cyrillschrift) und romanisch (moldauisch - wallachisch)“, ver-anlaßte den Ministerpräsidenten Bach, eine Kommission zur Schaffung einer slawischen Rechtsterminologie einzuberufen, denn viele Sprachen entbehrten noch feinerer juristischer Ausdrücke. Die Kommission tagte unter dem Vorsitze des berühmten Prager Slawisten Schafarzik zu Wien und zerfiel in mehrere sprachlich getrennte Sektionen. Dabei entstand schon ein kleiner Sprachenstreit, veranlaßt von den Slowaken, die eben unter Ludwig Stur darangingen, sich linguistisch von den Böhmen loszulösen und eine eigene Schriftsprache zu bilden.

In der Geschichte des Reichsgesetzblattes spiegelt sich ein Stück österreichischer Verfassungsgeschichte. Ursprünglich galten alle Texte als authentisch, doch brachten die fremdsprachigen Ausgaben auch den deutschen Wortlaut. Nach dem vom Fürsten Schwarzenberg mitgefertigten Silvesterpatent vom 31. Dezember 1851 erschien das Gesetzblatt nur deutsch; die Ubersetzungen wurden in die einzelnen Landesregierungsblätter verwiesen. Der Dualismus verringerte ab 1870 die Ausgaben des „Reichsgesetzblattes für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“ auf acht, nämlich deutsch, böhmisch, italienisch, illyrisch - kroatisch, polnisch, ruthenisch, slowenisch, rumänisch. Der deutsche Text blieb authentisch, die Ungarn erhielten ihr eigenes Gesetzesorgan. Nicht berücksichtigt wurden die Minderheiten der Friauler, Ladiner in Tirol, Slowaken in Mähren, Serben in Dalmatien und Magyaren in der Bukowina. Da laut des Gesetzes vom 10. Juni 1869 das Blatt in allen landesüblichen Sprachen erscheinen sollte, fielen ihre Idiome also nicht unter diesen Begriff.

Die nichtdeutschen Ausgaben sollten zugleich mit der deutschen oder wenigstens ohne unnötigen Verzug erscheinen. Für den Gültigkeitsbeginn der Gesetze war der Erscheinungstag der deutschen Ausgabe maßgebend. Beschwerden über verspätete oder ungenaue Ausfertigung der nichtdeutschen Texte, wie sie im Zuge des österreichischen Sprachenstreites erfolgten, waren selten begründet, denn Redaktion und Druckerei arbeiteten peinlich genau und ließen sich fast nie Druckfehler und sonstige Verstöße zuschulden kommen. Dies verdient um so mehr hervorgehoben zu werden, als auch damals schon Verträge mit Fremdstaaten gemäß diplomatischem Brauche englisch, französisch, italienisch, russisch usw. veröffentlicht wurden. Jedenfalls durfte die Monarchie auf ihr in der Welt einzig dastehendes Gesetzesorgan stolz sein. Wenn man bedenkt, daß die Redakteure für die im Laufe der Zeit aufgekommenen technischen und wirtschaftlichen Begriffe oft erst passende Fremdausdrücke ersinnen mußten, die bis heute in Gebrauch stehen, so kann man dem

Reichsgesetzblatte neben den typographischen sogar sprachschöpferische Verdienste zubilligen.

Übrigens bringt das Bundesgesetzblatt auch heute Verlautbarungen in fremden Sprachen.

Auf ganz anderem Gebiete wirkte der k. k. Schulbücherverlag, der dem fruchtbaren theresianischen Zeitalter entstammt und die österreichischen Volksschulen mit billigem, gehaltvollem Lehrstoff versah. Ältere Leser gedenken noch der Rechenbücher von Mocnik, der Sprachlehren von Lehmann, der Gesangsbücher von Roller, der Lesebücher verschiedener Pädagogen, des kleinen und großen Katechismus und der geschickt bebilderten biblischen Geschichten, durchwegs Glanzleistungen, deren Anschaffung selbst wenig bemittelten Eltern möglich war, kosteten sie doch im Durchschnitt etwa 20 Kreuzer. Der Gründungstag des k. k. Schulbücherverlags in Wien ist der 30. Juni 1772. Mit Resolution vom 25. Februar 1775 gestattete Maria Theresia jedem Kronlande die Errichtung einer dem Hauptverlage untergeordneten Schulbücherverlagsstelle an dem Sitze einer Normalschule. Damals dürfte die Verlagsstelle in Prag entstanden sein; denn ein Jahr darauf wurde ihr eine durch Aufhebung des Jesuitenordens verfügbare Druckerei am Clementinum zugesprochen. 1887 entstand die Zentraldirektion des k. k. Schulbücherverlags. Sie hat ihre Aufgabe, Lehrmittel in möglichst vollkommener Ausstattung und zu billigsten Preisen herauszugeben, einwandfrei erfüllt. Der Schulbücherverlag belieferte im Unterschied zu seinem Nachfolger, dem österreichischen Bundesverlage, hauptsächlich Volksschulen, diese allerdings fast im Wege eines Monopols, und gab andere Lehrbücher nur heraus, wenn der Bedarf anderweitig nicht gedeckt werden konnte. Vereinzelt erschienen allgemein bildende Bücher, zum Beispiel 1870 ein Volkslesebuch, „Geschichte der Arbeit“, von Dr. Stamm. Ungezählte Millionen Österreicher von Galizien bis zur Bucht von Cattaro, vom Völkergemisch der Bukowina bis zur Schweizer Grenze danken dieser Kulturanstalt ihre Grundbildung. Der Verfasser hat die Leistungsfähigkeit des Verlags das letztemal erprobt, als er während des ersten Weltkriegs an den -deutschen und tschechischen Schulen eines mährischen Bezirkes Lehrklassen für evakuierte Welschtiroler und Welschgörzer einrichtete und dabei Lehrbücher dieser drei Sprachen in die Hand bekam.

Reichsgesetzblatt und Schulbücherverlag, beide konnten ihre hohe Aufgabe nur erfüllen, weil ihnen die vorzügliche österreichische Staatsdruckerei fachkundig, geschickt und mit reichem Letternmaterial versehen, zur Seite stand. Ihr Nutzen wirkt bis heute nach — nicht nur in Österreich.

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