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Ein ungerechtes Urteil

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Am 7. Dezember 1966 wurde der evangelische Pfarrer Robert Kauer vom Disziplinarobersenat der Evangelischen Kirche A. und H.B. zu der zweithärtesten Strafe, die in der Disziplinarordnung vorgesehen ist, nämlich zur Versetzung in den dauernden Ruhestand, verurteilt. Gegen dieses Urteil gibt es kein Rechtsmittel. Das Urteil ist darum befremdlich, weil die erste Instanz, der Disziplinarsenat, zu der gleichen Beschuldigung einen Freiispruch fällte.

Es wurde dem Angeklagten als Schuld angelastet, daß er Einrichtungen der Kirche herabgewürdigt und die Geheimhaltungspflicht verletzt oder zu verletzen versucht habe.

Die erste Instanz sah es nicht als schmähende Herabwürdigung der Einrichtung der Kirche an, wenn der Evangelisohe Otoerkirchemrat ironisierend einmal als Kurie bezeichnet, wird. Eine tatsächliche Verletzung der Geheimhaltung wurde nicht festgestellt, eine beabsichtigte Verletzung konnte nicht nachgewiesen werden. Obwohl dem Disziplinarobersenat, soweit wir wissen, kein anderes Material vorlag, kam er nicht nur zu einem Schuldspruch, sondern verhängte eine Strafe, die ungemein hart erscheint, weil sie einer Untersagung der Amtsausübung auf die Dauer gleichkommt. Eine Ruhestandsversorgung erfolgt nicht, weil der Verurteilte noch nicht zehn Jahre im Amt war.

Wenn Juristen und Theologen über die gleiche Person zu der gleichen Beschuldigung auf Grund des gleichen Materials so überaus verschiedene Urteile fällen, so ist der anteilnehmende Beobachter gedrängt, nach den dahinter liegenden Gründen zu fragen. Es wäre interessant, die Begründung für das Urteil und für das Strafausmaß einer Analyse zu unterziehen; hier wäre wahrscheinlich ein klassischer Fall für ein Kirehenrechtsseminar.

Die Hintergründe des „Falles“

Wir wollen versuchen, die Hintergründe dieses harten und, wie es uns scheint, ungerechten Urteils aufzuhellen. Für jede „Geheimdiplomatie“ ist die Erörterung eines „Falles“ in der Presse unangenehm. Es gibt leitende Stellen und Gremien, die keine Kritik vertragen, schon gar nicht eine öffentliche. Das war zu Metternichs Zeiten schon so und ist es umsomehr in jedem totalitären System. Es charakterisiert den „Fall

Kauer“, daß er zu einem Fall in der Presse wurde. Daß bei Presseerörterungen häufig mit einem kräftigen groben Hobel gearbeitet wird und die Späne, die dabei fliegen, nicht eben fein sind, weiß jeder, der in der Öffentlichkeit steht. Wohl dem, der in solchen Fällen den Humor nicht verliert! Die Evangelische Kirche in Österreich bleibt Monate und Jahre hindurch in der großen Presse unerwähnt Wenn es im Falle Kauer geschah, daß es hie und da sogar einmal eine Schlagzeile gab und die eifrigen Reporter sieh zu den höheren kirchlichen Stellen begaben, sollte man nicht von vornherein unwillig sein. Gehört es nicht zu den demokratischen Regeln eines pulsierenden kulturellen Lebens, daß gerade die interessanten und schwierigen Fälle in der Presse erörtert werden? Sicher gibt es auch eine Geheimhaltepflicht, und zwar eine echte, etwa die der Beichte, der

Diplomatie, der menschlichen Höflichkeit; es gibt aber auch viel unechte Geheimhaltung, wo man etwas verstecken will. Gerichtsverfahren sind öffentlich — wenn nicht besondere Gründe den Ausschluß der Öffentlichkeit fordern. Es wäre auch völlig undemokratisch, wenn jemand, der in einem Disziplinarverfahren sich zu unrecht beschuldigt und zu unrecht verurteilt fühlt, nicht die Öffentlichkeit informieren sollte, wenn er für die Öffentlichkeit interessant ist.

Interessant geworden ist Pfarrer Robert Kauer auf ökumenischem

Gebiet. Die ökumenischen Fragen sind weithin noch eine crux für die Theologie, wegen des bloßen Pragmatismus einerseits und eines Einheitsenthusiasmus anderseits. Konkret ging es im Fall Kauer um die Frage des Verhältnisses der römischkatholischen und der evangelischen Kirche. Wie ernst führende Männer unter ihnen Jesuiten wie Kardina! Bea, diese Fragen nehmen, beweist das Ökumenismusdekret. In ihm ist der Hauch einer neuen Welt. Angesichts der Entmythologisierung des Geistes und der Entgöttlichung der

Welt der Naturwissenschaften und der Technik ist die Gemeinsamkeit der in Jesus Christus Gebundenen und ihn als Herrn Erkennenden und Liebenden zum erstenmal seit der Reformation mit vorsichtigen und doch festen Worten ausgesprochen worden.

Es gibt in der römisch-katholischen Kirche auch genug Männer und

Frauen, die vorwärts schreiten wollen im Sinne des Neuen und der Gestaltung neuer Geschichte. Jedem, der die Macht der Tradition und Institution kennt, jedem, der weiß, welch ungeheuere Amalgamierung von Religion und Recht in der römisch-katholischen Kirche stattgefunden hat, ist sich der Schwierigkeit der Wandlungen bewußt.

In dieser Situation kann immer nur durch einzelne mutige Personen und einzelne Taten ein Durchbruch durch die Erstarrung der Religion im Recht vollzogen werden. Das ist geschehen in der von Pfarrer Robert Kauer und Deehant Lorenz einmalig durchgeführten und in den Einzelheiten bis an die Grenzen des Möglichen duirchgeformten katholischevangelischen Trauung von Berndorf. Statt die hier gegebenen Ansätze aufzunehmen und in vielen Einzelsetzungen zu festigen und auszuweiten, wurde ein Verbot solcher Versuche erlassen. Pfarrer Robert Kauer wurde einem ersten Disziplinarverfahren unterworfen.

Es zeigte sich in der evangelischen Kirche ein merkwürdig autoritäres und gesetzliches Denken. Das kam noch einmal für das persönliche Schicksal des Pfarrers Kauer zu schwerwiegender Bedeutung, so daß über den Charakter des Einzel-schicksals hinaus maßgebliche Entscheidungen sichtbar wurden. Gerade er fand im tapferen Kampf um neue Formen des Lebens der kirchlichen Jugend eine katholische Partnerin, die in ähnlicher Weise — treu der eigenen Konfession — aufgeschlossen war für das Neue Christlichen Geschehens. Die Liebe führte zur Ehe. Der Evangelisohe Ober-kirahenrat gab nicht die kirchengesetzlich erforderliche Zustimmung zur Ehe des Pfarrers Kauer mit einer Katholikin. Soll sich ein Mensch durch eine Kirchenbehörde in den allerpersöntWchsten Entscheidungen um das Glück seines Lebens bringen lassen? Im römisch-katholischen Bereich gilt dies als allezeit geübte, harte Praxis. Im evangelischen Bereich, in welchem eine tiefere und biblischere Anschauung von der Ehe und vom Gesetz herrscht, wäre es eigentlich ganz anders zu erwarten. Die Kir-ehenbehörde aber entschied sachlich genauso wie etwa die römisch-katholische Kirche entscheiden würde. Pfarrer Kauer mußte wählen: entweder er gab die Frau auf, mit der er ein Leben zusammen leben wollte, oder sein Amt als evangelischer Pfarrer. Die Entscheidung wurde ihm dadurch „erspart“, daß die evangelische Kirche ihn durch ihren Disziplinarobersenat in den dauernden Ruhestand versetzte. Es wäre ebenso konsequent wie grotesk, wenn man gegen Pfarrer i. R. Kauer erneut mit einem Disziplinarverfahren vorgehen wollte. Man könnte dann auch das Verdienst für sich buchen, im evangelischen Bereich einen Märtyrer menschlicher Beziehungen durch kkcheribahördliche Entscheidungen gemacht zu haben.

Ein Mangel an Unterscheidung in den Beziehungen von Glaube und Recht, von Tradition und neuen Wegen, von menschlicher Substanz und christlicher Verantwortung ist deutlich geworden.

^ur ein Generationsproblem?

Oder wird im Hintergrund des Falles Kauer noch ein anderes Problem sichtbar, das Generations-problem —? Mit ihm ist immer zugleich eine Sachfrage und eine Stil-frage gestellt. Aufgabe der Weisheit der Älteren und der Leitenden ist es, beides zu durchschauen und die rechten Maßstäbe zu finden. Meidet sich mit den Jüngeren eine neue Theologie zu Wort? Oder liegt bei den Jüngeren ein neues Verständnis der originalen Kräfte des Jesus-Christus-Glaubens? Dann freilich wandelt sich das Generationsproblem zur theologischen Sachfrage. Der christliche Glaube — soweit er sich in Wahrheit auf Jesus Christus bezieht — ist grundsätzlich umwandelnd reformerisch, er ist antibürgerlich, antikonventionell. Das Konventionelle, das Gesetzliche und Traditionsgläubige in Jesu Zeit waren die Pharisäer und Sadduzäer. Jesus war gegen sie; denn Gott will das Neue und die neue Gestaltung. „Ein neues Gebot gebe ich euch.“ Paulus hat es genauso begriffen: „Ist einer in Christus, so ist er eine neue Schöpfung.“ Und von diesem Neuen möchte man ja etwas merken, auch in den Kirchenleitungen intra et extra muros.

Die Leitung der katholischen Kirche hat sowohl bei der katholisch-evangelischen Trauung in Berndorf wie bei der Eheschließung einer katholischen Frau mit einem evangelischen Pfarrer bemerkenswerte neue Einsichten gesetzt.

Es wäre wünschenswert, daß diese Wendungen aufgenommen und vorsichtig, aber zielvoll entwickelt würden. Es wäre ein neuer Weg zu der wahrhaft biblisch fundierten Auffassung von Ehe und neutesta-mentlich fundierten Auffassung vom geistlichen Amt, indem wir meinen, daß in der Geschichte des christlichen Glaubens die reformatorischen Kirchen das Wächteramt bekommen haben, allezeit auf die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium hinzuweisen.

Wir hoffen immer noch, daß trotz des Urteils im Falle Kauer und trotz der Verordnungen und Urteilsweise hoher evangelischer Geistlicher die echte Begegnung zwischen der römisch-katholischen Kirche und der dem Evangeihwn gemäßen Auffassung des christlichen Glaubens an vielen Stellen vorankommt und zu neuen Gestaltungen führt, und daß Pfarrer i. R. Robert Kauer unverdrossen und mutig weiter im persönlichen Leben wie im sachlichen Wirken wichtige und gute Beiträge hiezu leisten ward.

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