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Ein unheiliges Bündnis

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Am 2. Juli 1934 Unterzeichnete Reichspräsident von Hindenburg auf seinem Gut Neudeck in Ostpreußen jenes bekannte Danktelegramm an Hitler, mit welchem er diesem die Sanktionierung des 30. Juni 1934 erteilte. Wie Meißner, dieser unerhört geschickte Routinier des Präsidialdienstes, berichtet, hat der Reichswehrminister General Blomberg ausdrücklich seine Zustimmung zu diesem Telegramm erteilt. Dies ist eine hochbedeutsame Feststellung. In diesen entscheidungs vollen Tagen starben vor den Exekutionspelletons in Lichterfelde, München und an vielen anderen Stellen Deutschlands zahlreiche der ehemals mächtigsten SA-Führer. Unter anderem wurde auch der gefürchtete Revolutionär Ernst Rohm, nachdem er den amtlich verlangten Selbstmord verweigert hatte, ebenso heimtückisch erschossen wie die führenden Katholiken Klausener, Bose und der ehemalige Reichskanzler General Schleicher sowie sein engster Mitarbeiter Oberst von Bredow und der einstmalige zweitmächtigste Politiker der NSDAP Gregor Straßer. War diese Revolte, für die sich Hitler mit Hilfe Blombergs und Hindenburgs die Legitimation vor der Welt verschaffte, tatsächlich, wie Friedrich Abendroth in seinen Ausführungen in der „österreichischen Furche“ Nr. 24/52 behauptet, eine Sozialrevolte, als deren Sieger die restaurativen Kräfte und. die Prätorianergarde der SS hervorgingen? Der Historiker wird den 30. Juni 1934 trotz noch sehr schwankender Quellengrundlage immer als 1 einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte des Dritten Reiches betrachten. Er ist ein Schicksalsdatum Deutschlands, von dem konsequente Linien zum zweiten Schicksalstag, dem 20. Juli 1944, hinführen. Denn damals starben unter dem Galgen die gleichen Repräsentanten der im Jahre 1934 so unpolitischen Wehrmacht, welche den Sieg über Ernst Rohm und seine größte Freiwilligenarmee der Weltgeschichte, wie Rohm einstmals seine Kohorten bezeichnet hatte, als ihf ureigenstes Werk gefeiert hatten. Zum letztenmal konnte die Wehrmacht, verkörpert in Blomberg und seinem engsten politischen Berater, Oberst von Reichenau, der selbst ein glühender Verehrer Hitlers war, den Kanzler zu einer Maßnahme gegenüber den revolutionären Kräften der eigenen Partei bewegen, um durch diese Bluttage eine Hemmung, nicht je-

doch eine Verhinderung der anscheinend ausweglosen permanenten Revolution zu errreichen. Aus den sorgfältigen Untersuchungen, die Hermann F ö r t s c h, der selbst in höchsten Adjutantenstellungen Einblick in die dramatischen Wochen und Monate vor dem 30. Juni hatte, läßt sich die Einstellung der Heeresführung und ihrer maßgebenden Kräfte ablesen. (Hermann F ö r t s c h: „Schuld und Verhängnis", Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, Nr. 2 der Veröffentlichungen des „Deutschen Instituts für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit“.) Die Kernfrage für die Führung der Reichswehr, vornehmlich Reichenau und Blomberg, war in den Vorsommermonaten 1934 gegeben durch die Absichten, die der Stabschef der SA Emst Rohm offen geäußert hatte: Auflösung der reaktionären Reichswehr durch Überführung der Massen der jungen Freiwilligen und damit Schaffung jenes revolutionären Heeres, als dessen Schamhorst sich der einstmals königlich-bayrische Hauptmann Emst Rohm fühlte. Für ihn, der zweifellos ein Organisationstalent ersten Ranges war und, historisch gesehen, für Hitlers Machtergreifung mehr bedeutete als manche intellektuelle Zwischenträger, wie etwa Ribbentrop, war das Jahr 1934 die Entscheidung. Aus dem Haßkomplex des Frontoffiziers aus der Linie gegen die hauptsächlich aus dem Generalstab stammenden ehemaligen Kameraden der Reichswehr ist ein Motiv seines Handelns abzulesen. Das zweite ist aber sicherlich das Gefühl, der Sprecher einer Millionenmasse, die als revolutionärer Soldatentyp nunmehr legaler Waffenträger werden wollte, zu sein. Die bitteren Worte, die Rauschning über die Enttäuschung Röhms bezüglich Hitlers Bündnis mit den Generälen, von denen keine heue Idee kommen könne, ausführt, sind sicherlich gefallen. Ebenso sicherlich aber versuchte die Wehrmacht seit dem Spätsommer 1933 die braune Massenarmee zu zügeln und einzufangen.

In Godesberg — anscheinend ein Schicksalsort der jüngsten deutschen

Geschichte — wurde im Spätsommer 1933 eine Annäherang zwischen der SA-Füh- rung und der Reichswehr vergeblich versucht. Im Februar 1934 kam es zu einem streng geheimen Abkommen zwischen Blomberg und Rohm mit Billigung von Hitler, welches eindeutig die Rolle der Wehrmacht als einzigem Waffenträger festlegt und der SA nur die Stellung einer halbmilitärischen Sportorganisation zuwies. Schon am Tage nach der Unterzeichnung äußerte sich Rohm in fortgeschrittener Stimmung, daß er nicht daran denke, dieses Abkommen einzuhalten. Ein Grund mehr für die Reichs-

wehrführang, die größte Vorsicht walten zu lassen, war die Tatsache, daß mehrere hohe SA-Führer, darunter der spätere Stabschef der SA Lutze, Mitte Juni 1934 Reichenau und Blomberg von Putschabsichten verständigten und sich damit gewissermaßen für die Zukunft als reichswehrfreundlich legitimierten. Die oft geäußerte Meinung, der 30. Juni 1934 sei lediglich ein brutaler Gegenschlag Hitlers gegen die revolutionären Kräfte im eigenen Lager gewesen, welche ernstlich niemals an eine Auseinandersetzung dachten, läßt sich auf Grand der vorliegenden Untersuchungen nicht aufrechterhalten. Jodl hat in Nürnberg mit Recht gesagt, das der Röhm-Putsch unmittelbar bevor stand. Die Anzeichen wiesen sehr stark darauf hin, denn in Münster versuchte beispielsweise der zuständige SA-Führer den späteren Generalstabschef Haider, welcher damals im Wehrkreiskommando tätig war, zur Übergabe der Geschäfte zu bewegen, da ohnehin die Eingliederung der Reichswehr in die SA unmittelbar bevorstünde.

Solche Anzeichen waren für Reichenau und Blomberg alarmierend. Es galt jetzt, Verbündete zu finden. Diese konnten nur im Lager Hitlers selbst, der noch immer schwankend keine Stellung bezogen hatte, gewonnen werden. In einer zufällig erhaltenen Notiz eines Abteilungsleiters der Heeresleitung wird bereits vor dem 30. Juni 1934 von Waffenabgaben an die SS gesprochen. Damit ist das „unheilige Bündnis"( welches Himmler, Reichenau und Blomberg eingingen, bereits geschlossen. Um den Teufel auszutreiben, war die Wehrmacht bereit, den unscheinbaren Diplomlandwirt Himmler, der sich im Schatten Röhms schmiegsam und kaum beachtet eine zweite bewaffnete Prä- trorianergarde aufgebaut hatte, ebenso als Verbündeten anzuerkennen, wie man auf der anderen Seite in Göring, der vor allem in Preußen den Aufbau einer eigenen Hausmacht vorbereitete, bestehend aus der getarnten Luftwaffe und der Landespolizei, einen Ordnungsfaktor erblickte. Die Reichswehrführung legte Hitler die Meldungen vor, die aus allen Wehrkreiskommandos Anfang Juni eine zunehmende Rüstung der SA andeuteten. Daß am Ende der kommenden Auseinandersetzung, die wie eine Gewitterschwüle zur Entladung drängte, ein so wendiger Politiker wie General von Schleicher und dessen engster ehemaliger politischer Berater von Bredow allzu sichtbar in gewissen Berliner Salons von kommenden Umwälzungen sprachen, berührte die Generäle kaum. Denn Schleicher selbst war schon seit Jahren den Berufsoffizieren ein unheimliches Phänomen eines politischen Soldaten. Deswegen empfand die Reichswehrführung die Ereignisse des 30. Juni in völliger Fehlbeurteilung als ein Bekenntnis Hitlers zu ihrer These von der unpolitischen Armee. Sie glaubte ihr Instrument geborgen und gesichert. In seiner Ansprache, die Blomberg unmittelbar nach dem 30. Juni hielt und die durch Stenogrammnotizen erhalten ist, betonte er ausdrücklich die Dankbarkeit des Offizierskorps und versuchte den Pferdefuß der gefällten Entscheidung zu bagatellisieren. Denn nicht nur Schleicher und Bredow sowie eine Anzahl politischer Persönlichkeiten, die schon lange auf der Abschußliste" standen, waren hingerichtet worden, sondern die direkte Folge jenes „Gesundungsprozesses“, als welchen Blomberg damals den 30. Juni be- zeichnete, waren nach seiner eigenen Ausführung die sofortige Bewaffnung der SS im Rahmen einer Division und damit das unaufhaltsame Aufsteigen des Dop- pelgestims Himmler-Heydrich. Hitler scheint nach allen Akten der Getriebene und Gestoßene gewesen zu sein, der sich angesichts einer ausweglosen Situation zu einem raschen Handeln entschloß und ihr vielleicht nur um wenige Tage zuvorkam.

Wenige Wochen später schloß Hinden- burg, dem sich die Wehrmacht persönlich 60 verbunden fühlte, für immer die Augen. Der neue Eid, dessen Formel Reichenau, der eigentliche politische Sieger des 30. Juni, abdiktierte, band die Soldaten nunmehr persönlich an das Staatsoberhaupt, welches noch vor wenigen Wochen in den Reihen der einstigen revolutionären Gefährten eine so furchtbare Dezimierung befohlen hatte. Nur wenige Jahre der Atempause in der permanenten Revolution, die Hitler nunmehr Schritt für Schritt vorantrieb, wurde der Bendlerstraße, dem Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht, gegeben. In der Krise des 4. Februar 1938 quittierten die Bundesgenossen Reichenaus und Blombergs, Himmler und Göring, in furchtbarer Weise den blutigen Pakt des 30. Juni 1934. Der Schatten Röhms und die Idee seiner politischen Armee sollte aus der Geschichte der deutschen Wehrmacht nicht mehr weichen, bis einer der glühendsten Anhänger der Zusammenarbeit mit Himmler, Generaladmiral von Friedeburg, in der Lüneburger Heide die Kapitulationsurkunde Unterzeichnete.

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