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Ein Volk widersagt dem Krieg

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Der Abs Land indischer von europäischamerikanischer Politik zeigt eich in wachsendem Maße. Er offenbarte sich kürzlich im Sicherheitsrat der UNO und zeigte sich soeben wieder in der Vollversammlung der UN. Pandlt Nehru, der indische Staatsmarin von Weltformat, legte sie kürzlich im Rahmen der Korea-Debatte im' indischen Parlament mit folgenden Sätzen dar: ' '•

.Wie verschieden wir (Inder) von den Chinesen, Japnern, Indonesiern oder Arabern auch sein mögen, so besitzen wir dennoch ein größeres Verstehen für einander, als ei die Europäer oder Amerikaner uns Asiaten gegenüber haben. Ich führe darüber nicht Klage, aber ich will auf die Gefahr hinweisen, die aus dem Versuch entsteht, Probleme Asiens ohne uns lösen kü wollen.

Wir befinden uns — abgesehen von der unsererseits verfolgten außenpolitischen Linie — in einer Lage, aus der heraus wir besser verstehen, was die Völker von Korea, China, Indochina oder Indonesien wollen, allein schon deshalb — ich darf dies in aller .Demut sagen —, weil den Methoden der westlichen Welt eine gewisse intuitive Feihfühligkeit im Verstehen der Geistes- und Herzensverfassung der orientalischen Menschen fehlt. Wenn wir unter diesen Umstanden jetzt oder später der Sache des Prledens dienen können, warum sollten wir unsere Bemühungen um die Erhaltung des Weltfriedens aufgeben, allein weil andere Völker den Kopf verloren haben? Freilich, die Vernunft reicht nicht mehr weit, wo die Schlachtgongs schon erklungen sind.

Indiens Haltung entspringt — das wird Sich immer deutlicher herausstellen — einer dem modernen Menschen des Westens schwer faßlichen Einstellung zum Leben und damit auch einer bitteren Kritik der indischen Menschen an der heutigen abendländischen Lebenspraxis. Die geistigen wie politischen Führer Indiens sehen in der westländisrhen Wirrnis den Ausdruck einer geistigen Erkrankung seiner Menschen. Seine Aktivität um der Aktivität willen sei ziel- und sinnlos. Der Druck des Leblosen auf das Lebendige, die Atmosphäre von Mißtrauen und Gier an ihren Arbeitsstätten und von Angst im politischen Dasein hätten ihr Leben zu einer wahrhaften Hölle werden lassen. Indien verkenne bei weitem nicht die Notwendigkeit sozialer und politischer Reformen im eigenen Land wie draußen in der Welt, aber ein von religiösen Leitgedanken geführtes Denken und Leben müsse doch an erster Stelle stehen. Religion greife an die Wurzeln des Lebens, nicht aber die Politik.

Die Ablehnung des militaristischen Staates

Lange glaubten die Staatsmänner der großen Nationen, die Stimme Indiens als eines militärisch fast ohnmächtigen Volkes gering einschätzen zu können. Nunmahr hat sie wegen ihrer Eigenwilligkeit in der Frage der Zulassung Rot-Chinas zum Sicherheitsrat der UN beziehungsweise zur UN selbst wegen ihres großen Gewichtes bei den asiatischen Völkern in Fragen der Erhaltung des Weltfriedens im Westen weithin Bestürzung hervorgerufen.

Wenn wir die richtunggebenden Gedanken und Ziele der Außenpolitik des freien Indien studieren, schälen sich folgende Hauptmomente heraus:

Indien trachtet nicht danach, eine „Macht“ im üblichen Sinne des Wortes zu werden. Es hält sich deshalb aus den bestehenden „Madht'-Grupplerungen heraus. Es hat im Grunde weder mit dem Kommunismus noch mit den Westmächten etwas gemein. Das indische Volk bezeichnet es als eine perverse Philosophie der Russen, der Welt dadurch Frieden bringen zu wollen, daß sie überall die Saat der Zwietracht aussäen. „Schmutz läßt ich nicht mit Schmutz reinigen.'

Das heutige Indien bejaht im Prinzip die klassenlose Gesellschaft, verneint aber dessen Verwirklichung durch Gewalt. Gandhis Ansicht hierüber war: .Wenn der Arbeiter seine Kraft erkennen würde, so wäre er in der Lage. Teilhaber des Kapitalisten zu werden, statt sein Sklave zu bleiben. Sollte er aber darauf ausgehen, einziger Besitzer zu werden, so wird er ehr wahrscheinlich die Henne schlachten, welche die goldenen Eier legt.'

Indien kennt in seiner Außenpolitik nicht den Begriff des Prestiges. Eslehntüber-haupt die Form des militaristischen Staates ab, der den selbstmörderischen Rüstungswettlauf mitmacht, well das schließlich in einer Massenschlächterei enden müsse, wie sie die Welt noch nicht gesehen habe. Mit dem völligen Verzicht auf jegliche Form von territorialen Ambitionen oder wirtschaftlicher Ausbeutung will die indische Nation der übrigen Welt vorausgehen, um so wenigstens von ihrer Seite her den Krieg praktisch tu verneinen.

In Anbetracht der allgemeinen Not und Angst in der Welt hat Indien andere Hilfsmittel, als sie der Westen zur Verfügung hält. Denn dieser rechnet heute in Jahren, höchstens in Jahrzehnten. Die Hindus hingegen, seit Tausenden von Jahren mit den Kräften des Kosmos verbunden, wissen um das Ende des gegenwärtigen Kali Yuga (der Eisenperiode) mit dem sichtbaren Verfall der heutigen Menschheitskultur einerseits und den bereits erkennbaren Elementen des Satya-Yuga, des kommenden, neuen „Zyklus der Wahrheit, der großen Vollkommenheit und Harmonie“, andererseits.

In ihrem Entschluß, zur Bildung der künftigen geistigen Einheit des Menschengeschlechts beizutragen, haben die

Gefolgsmänner Gandhi Insbesondere zur Herstellung und Sicherung des Friedens die — in indischen Augen — mächtigste Waffe geschaffen, welche je ausgedacht wurde: die „aktive Gewaltlosig-keit“.

Der abendländische Leser und der westländische Politiker sollten ungeachtet der Fremdartigkeit der indischen Gedankengänge Struktur und Anwendung dieser seltsamen Waffe ernsthaft studieren und bedenken, daß sie im Kampf gegen die jahrhundertelange britische Unterjochung die Entscheidung herbeigeführt hat.

Es mag sein, daß die Inder, von ihrem sprichwörtlichen guten Glauben ver-führt, in der Beurteilung moskowitischer Kriegsführungsweise zu kindhaft denken.

Es muß aber auch bedacht werden, daß einmal gefaßte, der indischen Volksseele eingängige Entschlüsse mit einem Fanatismus realisiert werden, der über jedes europäische Vorstellungsvermögen hinausgeht.

Satyagraha — die „aktive Gewaltlosigkeit“

Die indische „aktive Gewaltlosigkeit“, bekannt geworden als das entscheidende Kampfmittel im Freiheitsringen gegen die Engländer, stellt zunächst nichts anderes dar als eine unaufhörliche Kreuzigung des Fleisches, das will sagen: eine ständige Kontrolle der eigenen Leidenschaften, so daß für Aufregungen, Ärger und Enttäuschungen bei sich selbst immer weniger Rajim bleibt. „So wie die tätige Liebe kann die Gewaltlosigkeit nur daheim, im Umgang mit den Familienangehörigen, erlernt und geübt werden.“ Und dies geschieht durch wohlüberlegtes und bewußtes Bemühen, jemandes feindseliger Leidenschaft unverfälschte Liebe und brüderliche Gesinnung entgegenzustellen. Es wird also — zugleich mit der ausgesprochenen Weigerung, sich dem Willen seines Gegners zu unterwerfen — der Versuch unternommen, ihn mittels ehrlicher Liebe tu entwaffnen. „So wie das härteste Metall genügend großer Hitze nachgibt, so müssen selbst die härtesten Herzen von einer ausreichenden Hitze der Gewaltlosigkeit und Liebe weich werden.“ Das Schema des gewaltlosen Sich-nLcht-Fügens (Satyagraha) beruht auf „Dem-andern-Trauen“ und — falls er solchen Vertrauens unwürdig ist — dem Entschluß, solcher Enttäuschung durch eignes Leiden zu begegnen. Der Gewaltlose übt sich so ohne Unterlaß in der Selbstreinigung von Haß gegen den sogenannten Feind, von Lüge und Leidenschaft. Weil er gottesfürchtig ist, bedeutet ihm der Tod keinen Schrecken. Die Gewaltlosigkeit erfordert eine weit größere Tapferkeit, als sie der Schwertträger besitzt. Im Widerstand gegen übles, Ungerechtigkeit und Gewalt wird er sich, auch wenn ein Erfolg seines Strebens nicht erkennbar ist, nötigenfalls selbst opfern. Ein in dieser Selbstkontrolle Vollendeter muß in die Lage kommen, durch einen edlen, aber dynamischen Willen zur Bewahrung seiner Ehre, seiner Religion oder seines Gewissens die Macht einer ganzen Regierung zu brechen und damit die Grundlage zu ihrem Zusammenbruch oder zumindest ihrer Regeneration zu schaffen.

Wenn Indiens Führer einst Tausende dazu auffordern werden, gegen die Gewalt und für die Verteidigung der Heimat ihr Leben hinzugeben, so deshalb, weil es sich erwiesen hat, daß im Endeffekt eines Kampfes gegen feindliche Heere weniger Menschen sterben müssen als durch Organisierung eigner Gewalt.

Indien ist also entschlossen, einfallenden Truppen einfach eine lebende Mauer von Männern, Frauen und Kindern aller Altersstufen entgegenzustellen und den Angreifer aufzufordern, über deren Leiber hinwegzuschreiten.

„Es gibt keine größere Tapferkeit als die resolute Weigerung, vor irgendeiner noch so großen irdischen

Macht die Knie zn beugen, und dies ohne Bitterkeit, jedoch im vollen Glauben, daß der Geist allein lebt. Es entspricht nicht der Wirklichkeit, wenn ausländische Beurteiler meinen, die Gewaltlosigkeit sei nur bei und mit einigen geistig hochstehenden Persönlichkeiten durchführbar.“ Indien steht mit der Verwirklichung solcher Ideen am Beginn einer allgemeinasiatischen Abwehr „gegen den Geist .anner fremden Zivilisation, der den Samen von Furcht, Gier und Mißtrauen und salbungsvolle Lügen von seiner Friedensliebe, seinem guten Willen, ja von seiner allgemeinen Brüderlichkeit mit breitem ]Wurf über die ganze Welt sät.

Die großartige, dem Christen weithin sympathische philosophische Welt des Hinduismus spiegelt in den vorstehend geschilderten Konzepten indischer Staatsmannschaft wider. — Einer unserer ausländischen Mitarbeiter, der Indien aus dem eigenen Erleben kennt, nimmt in einem Aufsatz, den, wir demnächst veröffentlichen, kritisch zu den Ideen Pandit Nehrus und seiner Anhängerschaft Stellung.

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