6570737-1950_19_01.jpg
Digital In Arbeit

Ein Wiener Bekenntnis

Werbung
Werbung
Werbung

Audi so stürmische Perioden wie die der jungen Vergangenheit und Gegenwart haben ihre klimatischen Veränderungen; der Zeitbeobachter soll sie nicht übersehen. Noch nicht lange liegt es zurück — kurz vor der Jahrhundertwende —, daß es der damaligen kaiserlichen Reichshaupt- und Residenzstadt Wien und ihrer freigewählten Stadtvertretung verwehrt werden konnte, auch nur die geringsten Zuwendungen für irgendeinen mit einer Kirche verbundenen Zweck zu machen. Denn in einem Zornanfall gegen das Lueger-Regiment im Raihause hatte der liberale Gemeinderat Lucian Brunner vom Verwaltungs-geriqhtshof in der freisinnigen Befangenheit jener Zeit ein Judikat erreicht — der Rechtsspruch hat nicht lange der besseren Einsicht standgehalten —, das der autonomen Gemeinde Wien verbot, Ausgaben aus Steuergeldern für Zwecke zu machen, an denen nicht alle Wiener Steuerzahler ohne Unterschied der Konfession teilhaben könnten; sogar die nach altem Brauche von der Gemeinde bestrittene nächtliche Beleuchtung der Uhren von St. Peter, St. Michael und anderen Kirohenbauten verkehrsreicher Plätze mußte damals gelöscht werden.

Seither hat sich in den Geistern der Menschen einiges bewegt. Erhabene Lehrsätze, die noch den Alten in unserer Mitte als unumstößliche Wahrheiten, fundamentale Bestandteile menschlicher Bildung vorgetragen wurden, sind zu Märchen der Kinderzeit geworden. Sdiwere, mit Leid' und Blut erkaufte Erfahrungen sind über uns gekommen. Diejenigen wären zu beklagen, die das große Gericht, das sich vor den Völkern und in ihnen vollzog, nicht zur Kenntnis genommen hätten. Zumal bei uns in Österreich, die wir Großstaat und Kleinstaat, Fürsten und Tyrannen, Macht und Ohnmacht, Freiheit und Gefängnis erlebt haben.

Auch die Zeit der Lucian Brunner ist bei uns vorüber. Die Begründung, mit der jüngst Bürgermeister Körner den I Vorschlag einer Widmung der Gemeinde Wien für den Wiederaufbau des St.-Stephans-Domes begleitete und der einstimmige Beschluß des Stadtsenats sind dafür Merkmale, die allseits gesehen und als vornehmes Bekenntnis verstanden werden sollen. Der Bürgermeister hat das schöne Wort gebraucht, der Stephans? dorn sei „eine jener zeitlosen Kulturtaten unseres Volkes, die auch unserer Generation Verpflichtungen auferlegen“. Des Bürgermeisters Initiative verdient Dank, seine Motivierung allgemeines Gehör. Antrag und Beschluß zeigen unsichtbare und halbverschollene geistige Bindungen auf, die, über Parteimarken hinwegreichend, aus dem Gemeingut christlicher Kulturgesinnung stammen und leider in den Geräuschen des parteipolitischen Tagewerkes zu oft vergessen werden.

„Verpflichtungen unserer Generation!' Bärbeißige Äußerungen der sozialistischen Presse, welche die Widmung einer

Million Schilling kommentierten, stellten ihre Erfüllung durch das katholische Volk in Zweifel. Trotz verschiedener Anstrengungen der Kirche, die Gläubigen zu Opfergaben für den Dom aufzurufen, sei der Erfolg gering gewesen; es wäre zweifellos eine eindrucksvolle Gesinnungsprobe gewesen, .wenn die Gläubigen ihre Kirche aus eigener Kraft aufgebaut und damit ihr Tatchristentum bewiesen hätten“. Ein harter Vorwurf. Der hämisdie Unterton, der darin mitschwingt, sei überhört. Die Wahrheit ist, daß nahezu zwanzig Millionen Schilling — genau gesprochen 17,7 Millionen — durch freiwillige Leistungen der Bevölkerung aufgebracht worden sind, aufgebracht trotz der fiskalischen Aufzehrung des größten Teiles ihrer Spargelder. Diese freiwilligen Leistungen wurden von der Bevölkerung nicht etwa deswegen weniger getragen, weil sie auch aus dem Ertrag der bekannten Markenserie und zweier Lotterien stammen. Allein die Pfarrsammlungen im Kreis der Erzdiözese erbrachten 1,3 Millionen. Aus öffentlichen Mitteln ist dem bisherigen Kostenbedarf der Bauführung überhaupt kein Betrag zugeflossen. Wie der bedeutende Aufwand für das bunte Ziegelwerk des gewaltigen Daches, dessen Kostenrest durch die jetzige Widmung der Gemeinde Wien gedeckt wird, zustande gekommen ist, das ist wahrlich eine Geschichte aus der Herzkammer unseres Volkes, eine Geschichte aus dem realen, ungeschminkten Erleben; sie würde ein eigenes Buch verdienen. Daß der größte Teil unseres Münsters in all seiner Herrlichkeit seit Monaten dem Gottesdienst und allen Besuchern schon offen steht, ist, wirtschaftlich genommen, die Frucht freiwilliger Leistung, des österreichischen Volkes. Es ist ungerecht und verletzend, daran zu mäkeln. Auch bei der Aufbringung jener zehn Millionen, die namentlich noch zum Wiederaufbau des schwer zerstörten Presbyteriums notwendig sind, erlahmt die freiwillige Hilfsbereitschaft nicht und erbringt dafür gerade in diesen Tagen neue Beweise. Will jemand mit Prozenten ausrechnen, wieviel an dieser Freiwilligkeit religiöses Bewußtsein oder bloße profane Kultur-gesinnung mitwirken?

Wieder ist in diesem Zusammenhange sozialistischer Kritik das Schlagwort von dem „reichen Besitz der katholischen Kirche“ und von den „reichen Stiften und Klöstern, die eine doppelte Verpflichtung hätten“, laut i geworden. Würde man nicht Unkenntnis der Tatsachen annehmen, so müßte man an einen unwürdigen Spott auf Einrichtungen glauben, die einst aus ihrer Wohlhabenheit einen sehr großen Teil der österreichischen Kulturverpflichtung mit ihren Bauten, ihren Sammlungen, Bibliotheken, ihrer Pflege der schönen Künste trugen und heute in Dürftigkeit, zum Teil sogar in bitterer Armut sind. „Die reiche Kirche“ — ihre Stiftungen sind zu nichts geworden, ihre Staatssubsidien, welche ihr der Nationalsozialismus nahm, zurückzuverlangen, hat sie in der Trennung von Kirche und Staat wohlbewußt unterlassen. Der Ersatz der freiwilligen Steuerleistung des Kirchenvolks mußte dort sinken, wo Notstand mittelständischer Volksschichten Entbehrung, Einschränkung in vielem auferlegte. Schwerlich machen sich jene Kritiker eine Vorstellung von der Armut, die in vielen österreichischen Pfarrhöfen — wenn auch zum Glück nicht in allen — herrscht, eine Armut, gegen die sich die Diözesanverwaltung dieser wirklichen Notstandsgebiete vergeblich zur Wehr setzt. Wäre dieser österreichische Klerus nicht so erfüllt von seinem priesterlichen Berufsethos, führte seine große Masse nicht ein bescheidenes Leben wie kaum ein anderer Stand, so wäre so manche Seelsorgestation schon verödet und manche Glocke, mancher Zuruf, manche Wegweisung an ein Volk verstummt, das ohne Hirten seiner Seele völlig In Genußsucht und unheilvolle Leidenschaften versinken müßte. Jene unverantwortlichen Sprüche von dem Reichtum der Kirche vermögen zwar Abneigung und Haß aufzupeitschen, aber nicht den Widerspruch zu dem Geiste zu verbergen, der jenem Beschlüsse innewohnt, mit dem die Gemeinde Wien offiziell in die Reihe der Wiederhersteller des erhabenen Wahrzeichens dieser Stadt getreten ist. Hören wir einmal auf, kirchliches Leben mit Parteipolitik zu vermengen und immerfort die notwendigen Bemühungen zu stören, die darauf gerichtet sind, ohne weltanschauliche und politische Grenzzeichen künstlich verrücken zu wollen, unter redlichen Menschen ein unserem Volke dienendes, anständiges menschliches Nebeneinander herzustellen. Denken wir der Folgen vergangener Irrtümer und Fehler und ziehen wir alle lieber Bußkleider an, anstatt uns in überwundenen Moden ru gefallen. Wir haben Besseres zu tun: das immer doch aus gutem Willen da und dort sichtbarwerdende Gemeinsame für die gemeinsame Heimat und das gemeinsame Schicksal einzusetzen,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung