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Eine Art dauernder Neutralität

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Diese feierliche politische Erklärung Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei bei Abschluß eines an sich rein wirtschaftlichen Anleihevertrages ist nur verständlich, wenn man den besonderen internationalen Status Österreichs seit 1919 als eine Art dauernde Neutralität wie die der Schweiz auffaßt, die jeden einseitigen ausländischen Einfluß auf dem neutralen Gebiet Österreichs ausschließen sollte.

Die Republik Österreich ihrerseits verpflichtete sich im „Genfer Protokoll“ gemäß dem Wortlaut des Artikels 88 des Vertrages von Saint- Germain, ihre Unabhängigkeit nicht aufzugeben; „sie wird sich jeder Handlung und jeder wirtschaftlichen oder finanziellen Bindung enthalten, welche geeignet ist, diese Unabhängigkeit direkt oder indirekt zu beeinträchtigen“.

Warum die Zollunion scheitern mußte

Als daher Österreich 1931 eine Zollunion mit Deutschland eingehen wollte, sprachen sich die Mitglieder des Völkerbundes dagegen aus, und der Ständige Internationale Gerichtshof erklärte den Zollunionsvertrag mit dem besonderen inter nationalen Status Österreichs für unvereinbar. Das Protokoll von Lausanne vom 15. Juli 1932, mit dem Österreich eine zweite Anleihe gewährt wurde, wiederholte daher sinngemäß die Bestimmungen des Genfer Protokolls vom 4. Oktober 1922 für beide Seiten — Anleihegeber und Anleihenehmer — hinsichtlich der Aufrechteihaltung der Unabhängigkeit und des besonderen intenationalen Status der Republik Österreich.

Obwohl Österreich seit 1932 immer wieder seine Bereitschaft erklärte, seinen besonderen internationalen Status aufrechtzuerhalten, leisteten ihm weder die europäischen Großmächte noch der Völkerbund Hilfe, als es 1938 von Deutschland widerrechtlich besetzt wurde, wie dies 1939 auch mit der Tschechoslowakei geschah. Weder ein neutraler noch ein verbündeter Kleinstaat kann allein das Gleichgewicht in einer bestimmten Region aufrechterhalten. Vom Gebiet des besetzten Österreich und der besetzten Tschechoslowakei aus übte Deutschland einen entscheidenden Einfluß auf Italien, Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien und Ungarn aus, die ihre außenpolitische Handlungsfreiheit fast ganz, ihre

Souveränität nach innen zum Teil verloren und mit Ausnahme Jugoslawiens an der Seite Deutschlands in den Krieg eintreten mußten.

1945 bis 1955

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Ordnung der Pariser Friedenskonferenz 1919 mit einigen Änderungen wiederhergestellt, mit Ausnahme Deutschlands, über das sich die Sieger — bis heute — nicht einigen konnten. Nach Beseitigung der deutschen Okkupation durch die totale Niederlage Deutschlandls wurden alle Staaten, wie sie von 1918 bis 1938 bestanden hatten — darunter auch Österreich — in den Grenzen von Saint-Germain wiederhergestellt. Die westeuropäischen Länder wurden zunächst von den westlichen Alliierten, die osteuropäischen von der Sowjetunion besetzt. Das 1945 wiederhergestellte Österreich wurde wegen der besonderen Bedeutung seines Staatsgebietes und angesichts seines besonderen — neutralen — Status seit 1919 unter die Kontrolle der vier Großmächte gestellt. Artikel 88 des Vertrages von Saint-Germain war aber nicht mehr anwendbar, weil der Völkerbund, auf dessen Rat der Artikel Bezug nimmt, sich inzwischen aufgelöst hatte. Nach Abklingen des kalten Krieges zwischen Ost und West konnte am 15. Mai 1955 der sogenannte österreichische Vertrag abgeschlossen werden. Er enthält nun in Artikel 4 ein ausdrückliches und sehr ausführliches Verbot des Anschlusses.

Da das österreichische Volk auf Grund seiner Erfahrungen von 1919 bis 1945 selbst die Bedeutung des in Artikel 88 des Vertrages von Saint- Germain enthaltenen besonderen internationalen Status erkannt hat, hat das österreichische Parlament am

26. Oktober 1955 das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs beschlossen, in welchem „zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität erklärt, die es mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen wird“.

Die besondere internationale Stellung Österreichs seit dem ersten

Weltkrieg ist durch Anerkennung seiner immerwährenden Neutralität durch die vier Großmächte und durch fast alle Staaten zu einem wesentlichen Bestandteil der völkerrechtlichen Friedensordnung Europas nach dem zweiten Weltkrieg geworden. An Stelle einer Garantie seiner politischen Unabhängigkeit, territorialen Unversehrtheit und seiner dauernden Neutralität ist mit Zustimmung der vier Großmächte die Mitgliedschaft bei der UNO getreten.

Seit dem 26. Oktober 1955 sind elf Jahre vergangen, in denen der 1918/19 grundgelegte und 1955 vom österreichischen Nationalrat auch formell bejahte Status der dauernden Neutralität sich bewähren konilte. Das Beispiel der Schweiz seit 1815 zeigt, daß es auch einem selbstbewußten Volk nicht immer leicht gemacht wird, seinen Sonderstatus durch die Klippen der internationalen Politik zu steuern. Artikel 2 der Schweizer Verfassung von 1874 erklärt den Schutz der Unabhängigkeit des Vaterlandes nach außen als einen der Hauptzwecke der Eidgenossenschaft. Diesem Schutz dient vor allem die dauernde Neutralität, zu der sich die Schweiz seit 1815 international verpflichtet und der das Schweizer Volk wiederholt große Opfer gebracht hat, um sich aus den europäischen Kämpfen herauszuhalten; das Beispiel der Schweiz hat aber auch gezeigt, daß diese Opfer der Schweiz bisher durch über 150 Jahre den Frieden gesichert und zur Förderung des Friedens und des Gleichgewichts in Europa beigetragen haben.

Kompaß in eine gute Zukunft

Das österreichische Volk wird aber seine nicht leicht erlangte Unabhän-i gigkeit und dauernde Neutralität ebenso erfolgreich behaupten könnerj. wie sein Schweizer Nachbar, wenn die Gesinnung erhalten bleibt, deri Julius Raab vor elf Jahren imJ österreichischen Nationalrat unter dem Beifall der Abgeordneten der österreichischen Volkspartei, der Sozialistischen Partei Österreichs und der Volksopposition lapidar Ausdruck verliehen hat:

„Das österreichische Volk bejaht heute einmütig seinen Staat. Das österreichische Selbstbewußtsein hat sich — trotz oder gerade infolge der zahlreichen erlittenen Unbilden — bis zu einem eigenständigen österreichischen Nationalbewußtsein gesteigert.

So ist heute das österreichische Volk selbst die feste Grundlage .seines Staates, für den es in entschlossenem Selbstbehauptungswillen ein- tritt. Damit ist das österreichische Volk wieder in der Lage und auch gewillt, die dem Staat Österreich zukommenden europäischen Funktionen selbst zu erfüllen. Durch eine mehr als tausendjährige Geschichte unverbrüchlich zum europäischen Abendland gehörig, kann und wird das österreichische Volk durch seine selbstbewußte Existenz in seinem selbständigen Staat die soziale Gerechtigkeit im Inneren voll und ganz verwirklichen, mit allen seinen Nachbarn in freundnachbarlichen, wenn möglich freundschaftlichen Beziehungen leben und, in voller Freiheit und dauernder Neutralität seinen besonderen österreichischen Beitrag zur europäischen Friedensordnung erbringen."

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