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Eine bluttriefende Zeit bewältigen

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dieFurche: Sie haben mit dem „ Telemach", dem' ersten Buch Ihres Großprojekts einer Übertragung der Homerschen Odyssee auf die Befindlichkeit des ausgehenden 20. Jahrhunderts, nicht nur die Literaturkritik begeistert, sondern auch viele Leser gefunden Der Wiener Germanistik-Professor Wendelin Schmidt-Dengler, dessen Seminar sich im Sommersemester bereits mit Ihrem Buch beschäftigen wird, erkennt Ihnen eine Sonderrolle in der österreichischen Gegenwartsliteratur zu Wie sehen Sie sich selbst innerhalb der österreichischen Literaturszene?

Michael Köhlmeier: Die österreichische Literatur, das war - in der Vergangenheit zumindest - immer Graz und Linz, wobei Graz nicht diese Rolle spielte. Die meisten dieser Autoren leben doch in Wien, der Zentralismus funktioniert.' Ich war immer an der Peripherie, und an den Diskussionen, die literaturintern gelaufen sind, habe ich nie teilgenommen. Zum einen weil es mich nicht sehr interessiert hat, und zum anderen, weil ich so am Rand - in Vorarlberg - lebe. In Wien gibt es viele Künstler, die in Wien weltberühmt sind. Das ist die Gefahr einer Großstadt, daß man die Stadt für die Welt nimmt. Die Gefahr, sich in Hohenems für das Zentrum der Welt zu halten und mit einem bestimmten Level zufrieden zu sein, besteht nicht. Wenn man in Hohenems, von dem man weiß, daß es Provinz ist, sich an der Welt messen will - und ich will mich natürlich an der Welt messen -, dann muß man sich wirklich an der Welt messen. Natürlich schauen alle nach Wien und sagen, das sei die österreichische Literaturszene. Wenn man an dieser Szene nicht teilnimmt aus welchen Gründe immer, dann kommt man leicht in die Situation einer Sonderrolle. Ich habe das nie so verstanden.

dieFurche: Würden Sie Ihre literarische Position lieber innerhalb des gesamten deutschen Sprachraums finden3

Köhlmeier: Ich habe mich immer eher als europäischer Schriftsteller gesehen; die Autoren, an denen ich mich messen wollte, waren nicht unbedingt deutschsprachig. Wenn ein Gabriel Garcia Marquez in Kolumbien schreibt, und diese Bücher in mir etwas zum Schwingen bringen, dann messe ich mich natürlich an ihm, ob er nun deutschsprachig ist oder nicht. Das ist vielleicht auch die Folge eines humanistischen Geistes. Es klingt so pathetisch, ich sag's aber trotzdem. Wenn man vom humanistischen Bildungsideal kommt, dann sind nationale wie auch zeitliche Grenzen von geringer Bedeutung. Ich habe mich immer an Autoren wie Euripides und Homer zu messen versucht. Da ist natürlich klar, daß man unterliegt, aber es ist auch kein Wettrennen. Wenn zeitgenössische Autoren da sind, die diese Größe entwickeln, dann ist es wunderbar, aber zu sagen, mich interessiert primär der deutschsprachige Raum, oder zu sagen, ich gehöre der österreichischen Literatur an, war mir immer fremd. Ich gehöre der österreichischen Literatur an, aber nur, weil ich einen österreichischen Paß habe.

dieFurche: Wie arbeiten Sie als Schriftsteller? Gibt es besonders inspirierende Momente?

Köhlmeier: Wenn diese Momente der Inspiration immer da wären, das wäre ja gar nicht auszuhalten. Die Momente der Inspiration sind Momente des Selbstvergessens beim Schreiben. Man merkt das immer erst hinterher. Dann sagt man: „Heute ist es mir gut gelaufen." Damit ist eigentlich gemeint, daß man nicht mehr den Figuren sagt, wohin sie zu gehen haben, sondern daß die Figuren plötzlich die Führung übernehmen, und daß ich ihnen nacheile. Das sind richtige Glücksmomente, die bringen unter Umständen große Probleme. Ein Beispiel kann ich Ihnen nennen: Ich habe mir vorgenommen, Homer zu folgen, und dort tötet Telemach gemeinsam mit Odysseus am Ende alle Freier. Ich weiß nun aber ziemlich sicher, daß mein Telemach, wie er sich im ersten Buch entwickelt hat, sich wahrscheinlich nicht zu einem Massenmörder wandeln wird können.

dieFurche: Was ist der wesentliche Unterschied zwischen Ihrer Fersion der „Odyssee" und der griechischen Vorlage Homers?

Köhlmeier: Wenn es zum Ende des 20. Jahrhunderts heißt, eine Stadt wurde vollständig zerstört und die Bevölkerung wurde ausgerottet, wie das bei Troja der Fall war, haben wir heute andere Bilder vor Augen als die Griechen sie hatten. Das Wort „Vernichtung" können wir heute ohne das Wort „Holocaust" nicht denken. Neben den historischen, militärischen Vorgängen liegt ein weiterer großer Unterschied darin, daß die psychologische Deutung vielschichtiger, vielfarbiger, mit vielen Graustufen ausgestattet ist.

dieFurche: Möchten Sie als Schriftsteller an vergangene und existierende Greuel, wie etwa den Holocaust, erinnern?

Köhlmeier: Das will ich nicht als Schriftsteller, aber als Staatsbürger selbstverständlich. Ich will Geschichten aus unserer Zeit erzählen. Das ist meine politische Haltung überhaupt, weil Erzählen vom Erinnern nicht zu trennen ist. Es gibt keinen schriftstellerischen Akt von mir, der nicht -mehr oder weniger bewußt - vor dem Hintergrund von Auschwitz stattfindet. Da brauche ich nicht ständig mit erhobenem Zeigefinger zu sagen: Niemals vergessen! Das Erzählen, die Erzählhaltung selbst ist eine Kampfhaltung gegen das Vergessen. Das Fehlen dieser Haltung werfe ich ja der nicht-narrativen Avantgarde vor. Ich weiß, daß Leute gesagt haben, nach diesem Zweiten Weltkrieg kann man einfach nicht mehr so erzählen wie früher. Ich würde sagen: Man muß erzählen. Die Avantgarde der Nachkriegsjahre, wie sie im deutschen Sprachraum und auch in Österreich stattgefunden hat - und das ist jetzt vielleicht ein großer Vorwurf -, war die literarische Form des Verdrän-gens.

Meine Aufgabe als Autor am Ende dieses so ungeheuerlich bluttriefenden Jahrhunderts ist es, dieses Jahrhundert literarisch in den Griff zu bekommen. Wenn ich diesen Anspruch nicht habe, dann kann ich die Schrift-stellerei lassen. Und vielleicht ist es gut, dieses Jahrhundert über die Antike zu spiegeln, so wie Perseus das Haupt der Medusa spiegelte. Wenn ich das Jahrhundert direkt sehe, dann werde ich seiner nicht Herr, aber wenn ich es über die Antike im Spiegel von dreitausend Jahren sehe, kann ich es vielleicht in den Griff bekommen.

dieFurche: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen den antiken und den modernen Bildern in Ihrem Boman?

Köhlmeier: Wenn ich diese alten Bilder verwende, dann gibt mir das die Empfindung, daß mir die gesamte menschliche Geschichte als Stoff in meine Verantwortung gegeben wird. Es läßt sich mitunter durch solch eine Bildverknüpfung aus der Antike zu heute diese dreitausend Jahre lange Geschichte auf eine Seite bringen.

dieFurche: Welcher Status kommt den Göttern in Ihrer Homer-Bearbeitung zu? Sind sie Symbole, Naturkräfte, Zustände des Wahnsinns oder Fiktion?

Köhlmeier: Es ist nicht meine Aufgabe mich selber zu deuten. Wir sind heute geneigt bei allem zu sagen, daß es etwas bedeutet, daß wir unter die Oberfläche schauen sollen. Homer aber ist der Meister der Oberfläche. Für Homer ist die Oberfläche alles. Was dahinter steckt, ist nichts als die Oberfläche. Deswegen sind die Götter was sie sind, sie sind einfach die Götter. Was gewinne ich, wenn ich sage, die Götter symbolisieren irgend etwas? Ich gewinne dadurch nur eine' Beruhigung für mich, weil mir der Begriff der Götter sonst Unannehmlichkeiten bereitet. Ich habe mich entschlossen, sie als das zu nehmen was sie sind: Sie sind Götter.

Das Gespräch

führte Wolfgang Olz

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