6637585-1957_25_03.jpg
Digital In Arbeit

Eine „Bomben-Sache”

Werbung
Werbung
Werbung

Oesterreichs Volksvertretung stand angesichts der gewaltigen Zerstörungen durch Bomben und Kampfschäden im zweiten Weltkrieg vor der zwingenden Notwendigkeit, den Wiederaufbau als staatliches Problem anzusehen — und als solches zu lösen.

Die Einstellung zu diesem Problem war verschieden. Auf der Linie des kommunistischen Denkens lag das .Bestreben, die Gelegenheit zu weiterer Kommunalisierung des Hausbesitzes auszunützen. Auf der Linie der Anerkennung des Privateigentums stand die Hilfe für die Verluste der betroffenen Hausbesitzer im Vordergrund. Das fiskalische Denken endlich war beherrscht von der Sorge ob der Verpflichtung, für diese Verluste aufkommen zu müssen. Die Vertreter des Fiskus nahmen ihre Zuflucht zu folgender These: Zu Schadenersatz kann nur jemand verhalten werden, der den Schaden angerichtet hat oder daran mitschuldig ist. Die österreichische Regierung hat diesen Schaden nicht angerichtet oder mitverschuldet. Daher kann die österreichische Regierung nicht zum Ersatz der Kriegsschäden herangezogen werden. Die Mini- sterialjuristen fanden diese Abwehr großartig und die Politiker beruhigten ihr Gewissen. So schien das Gesicht des Staates gegenüber den Geschädigten gewahrt, und keine Stimme meldete Bedenken an gegen diesen Trugschluß und die Unmoral solcher Lösung.

Aber ohne Rücksicht auf alle Theorie heischte die harte Wirklichkeit unerbittlich die Behandlung der .’rage der Wiederherstellung der zerstörten Wohnungen. Innigst verbunden damit war die Sorge um die Wiederaufrichtung der Volks- und Staatswirtschaft durch die Belebung der Bautätigkeit. Schon die Verzögerung konnte eine Katastrophe bringen.

Es entwickelte sich ein heftiges Tauziehen zwischen den Gegnern des privaten Hauseigentums und den Verteidigern des Privateigentums. So sprach zum Beispiel der 20. Entwurf für das Wiederaufbaugesetz (er stammte von der Sozialistischen Partei) bei einem Umfang von 26 Seiten auf vollen 17 Seiten nur von der Enteignung der Ruinen zugunsten der öffentlichen Hand. Was heißt das anderes, als daß jenen Oesterreichern, die das Unglück hatten, von Kriegsschaden betroffen worden zu sein, nun als fühlbare Anteilnahme des Vaterlandes einen Fußtritt ins Kreuz versetzt werden und ihnen das noch genommen werden soll, was ihnen der Krieg nicht auch noch genommen hat?

Die Situation hatte noch ein besonderes Merkmal. Die deutsche Kriegschadenverordnung von 1940 bestand noch zu Recht. Im Vertrauen darauf hatten sowohl Geschädigte als auch Baufirmen gewagt, Bauten zu beginnen.

Da trat das Wiederaufbaugesetz am 16. Juni 1948 in Kraft und hob in einem Anhang die deutsche Kriegschadenverordnung mit Rückwirkung bis zum 27. April 1945 auf. Daß die rückwirkende Aufhebung ein Rechtsbruch war und die Aufhebung in dieser Form auch nicht rechtsgültig, störte die Gesetzgeber nicht. Auch das Unheil, das sie damit bei den Aufbau- eifrigen angerichtet haben, kümmerte sie nicht.

Alle, die vor dem 16. Juni 1948 mit dem Aufbau begonnen hatten, blieben von der Kreditgewährung durch den Fonds ausgeschlossen. Unbeschreibliche Szenen spielten sich ab, wenn der Auktionshammer des Gerichtsvollziehers die furchtbare Gewißheit brachte, daß die Betroffenen gerade durch dieses Gesetz und ihren eigenen Aufbaueifer auch um das gebracht wurden, was sie mit letzter Kraft zu retten bestrebt waren.

Gerade dieser Umstand beweist unwiderlegbar. daß dieses Gesetz frei ist von jeder Rücksichtnahme auf die Geschädigten.

Die einzig mit diesem Gesetz Zufriedenen waren die Bauunternehmen, denn diese waren nun mit Bauaufträgen am laufenden Band auf Jahre hinaus versorgt.

Das Gesetz sah die Bildung eines Fonds vor, gespeist von einer Wiederaufbausteuer. Aus diesem Fonds sollten die Kosten der bewilligten Bauten den Baufirmen erstattet und als Hypothek auf das wiederaufgebaute Haus sichergestellt werden. Die Rückzahlung wird von den Mietern des Hauses zinslos in 100 (später in 75) Jahren geleistet. Die Rückzahlungsrate stellt der Mietzins dar. Jede Mietzinsforderung, welche diese Rückzahlungsrate übersteigt, ist im Gesetz ausdrücklich untersagt.Mit Bezug auf diese Bestimmung konnte man von Volksvertretern mit dem Unterton des Bewußtseins einer sozialen Großtat die Aeußerung hören: „Wenn der Staat schon dem Betroffenen das Haus wieder aufbaut, so kann er doch nicht zulassen, daß dieser daraus Nutzen zieht.” Dies zeigt noch einmal die Gesinnung der Gesetzgeber gegenüber den Bombengeschädigten.

So stand gesetzlich fest, daß der mit der Bombenexplosion eingetretene Verlust für den Betroffenen auf 100 (bzw. 75) Jahre ausgedehnt wurde. Gewahrt bleibt lediglich der Eigentumstitel. Nutzwert, Belehnungsmöglichkeit oder Verkauf ist auf 100 Jahre ausgeschlossen, denn wer belehnt oder kauft ein durch Gesetz ertragloses Objekt? Das Kompromiß hat also nur die formelle Enteignung umgangen und an ihre Stelle eine hundertjährige Nutzwertberaubung gesetzt. Weder der Betroffene noch seine Kinder und Enkel haben irgendwelchen Nutzen von diesem Haus. Erst die Urenkel werden wieder etwas von diesem Haus haben, das dann auch schon wieder ein altes Haus geworden ist. Auch für den Fall, daß der betroffene Eigentümer selbst in diesem Haus eine Wohnung bezieht, muß er die Baukosten dieser Wohnung genau so bezahlen wie jeder andere Mieter.

So ist bis in die letzte Konsequenz der Grundsatz durchgeführt, daß Oesterreich de Kriegsgeschädigten keinen Groschen Vergütung leistet. Der Sektionschef im Ministerium für Handel und Wiederaufbau hat den Vertretern des Verbandes der Bombengeschädigten mit Nachdruck erklärt, daß im Gesetz jedes Wort vermieden worden sei, das die Geschädigten als einen Rechtsanspruch auf eine Vergütung auslegen könnten.

So unglaublich heute den Fernstehenden diese Sachlage scheinen mag, sie ist leider Wirklichkeit.

Würdig dieser geistigen Wurzel zeigte sich auch die Auswirkung des Gesetzes in der Praxis. Ein Teil der betroffenen Hauseigentümer nahm den Fondskredit regelrecht in Anspruch. Sie verständigten die laut Gesetz bevorrechteten Altmieter vorschriftsmäßig, suchten sie aber auf alle mögliche Weise abzuwimmeln, und „verkauften” die Mietverträge gegen hohe Gegenleistungen. So liegt zum Beispiel von einem Haus in Wien IV, Schönburgstraße, eine Liste auf, welche Summen die neuen Mieter für die Mietverträge an Vermittler und Vermieter bezahlt haben: in summa volle 120.000 S.

Charakteristische Aeußerungen hierzu: „Da sehen Sie ja, daß das Wiederaufbaugesetz den Geschädigten doch einen Nutzen schafft.” „Ja, die Tüchtigen wissen sich eben immer zu helfen; nur die Untüchtigen jammern und schreien nach Hilfe”, und „Diese Hausherren sind und bleiben eben doch Ausbeuter!” usw.

Ein anderer Teil der betroffenen Hauseigentümer wollte sich nicht in die vom Gesetz zugedachte Rolle eines Titulareigentümers auf Dauer von drei Generationen finden, sie lehnten es auch ab, auf krummen Wegen Nutzen zu ziehen, und so fanden sie keinen anderen Ausweg aus der Lage: sie ergriffen die Flucht vor dieser gesetzlichen „Hilfe” und verkauften das, was ihnen noch übrig geblieben war, die Ruine und den Baugrund… Wiederum müssen für die sonderbare Lage charakteristische Aeußerun- gen vermerkt werden. „Was reden Sie, daß die bombengeschädigten Hausbesitzer Hilfe beanspruchen dürfen? Diese brauchen bloß den Baugrund verkaufen und haben dadurch einen unerhört großen Vorteil. Für das verschont gebliebene Haus hätten sie nie den Preis erzielt wie für den Baugrund.” Unkundigen Ohren muß dies ganz unverständlich klingen. Zur Erklärung: durch die bestehende Mietzinsbeschränkung hat ein Haus einen Verkehrswert von etwa 50.000 S (bei einem Bauwert von 1,000.000 S), aber der Baugrund kann durch die besonderen Umstände einen Erlös von 200.000 S bringen. „War da der Bombentreffer nicht doch ein Lotterietreffer?” Ein Schweizer meinte dazu, die Oesterreicher müßte man bezüglich Hausbesitz und Mietzinsfrage doch auf ihren Geisteszustand untersuchen lassen. Er meinte, er wäre ln ein Irrenhaus geraten. Wir beschränken uns darauf, die Symptome zu verzeichnen.

Bemerkenswert ist folgendes: Käufer ist zumeist eine Baufirma. Den Fondskredit bekommt der neue Eigentümer genau so wie der geschädigte ursprüngliche Besitzer. Neuerlicher Beweis, daß das Gesetz nicht für die Geschädigten gedacht war.

So hat eine wilde Grundspekulation in Ruinen eingesetzt. Die Baufirmen haben mit dem Grundstück den sicheren Bauauftrag in der Tasche und ebenso die Finanzierung des Baus gegen Kasse. Der Unternehmernutzen für den Bau ist sofort bar verfügbar, die Rückzahlung der Hypothek besorgen die Mieter. Als „Draufgabe” bleibt noch das Haus, wenn auch gegenwärtig ertraglos. Wirklich ertraglos? Da setzt der schwunghafte Handel mit den Mietverträgen ein und deckt oft mehr als den Grundpreis. Am allerwenigsten kommen die Ausgebombten in den Genuß der aufgebauten Wohnungen, denn diese haben leider durch den totalen Verlust von Hab und Gut in den seltensten Fällen die nötigen Summen zur Verfügung.

Zum Ueberdruß bekam der den Geschädigten abholde Geist des Gesetzes noch eine weitere Bestätigung: in der Novelle wurde sogar das Mietvorrecht für ausgebombte Altmieter, die sich schon anderweitig eine Wohnung beschafft haben, gestrichen. Ein Schicksal für viele: Haus in Innsbruck, Seilergasse 5, total zerstört. Der Eigentümer kommt aus der Kriegsgefangenschaft heim. Die Schuttabfuhr ist indessen von der Gemeinde verfügt und besorgt worden: auf Kosten des Grundeigentümers. Diese Aufräumungskosten werden von der Gemeinde eingefordert. Da er über keine Mittel verfügt, sieht er sich gezwungen, den Grund zu verkaufen. Eine kleine Hypothek lag von früher noch auf dem Objekt. Der Verkaufspreis deckte gerade die Schuttabfuhrkosten und die Hypothek. Ein neues Augustinlied: Haus is hin, Geld is hin, alles ist hin, o du lieber Augustin, alles ist hinf.

So haben die von Bombenschaden getroffenen Mieter und Hausbesitzer auf der ganzen Linie das Nachsehen, wie ihnen gegenüber die glücklich Verschontgebliebenen im Vorteil sind. Und niemand hilft ihnen in Oesterreich.

Die Hauptschuld liegt im Mangel am Verständnis gegenüber den Opfern der furchtbarsten Katastrophe, von der Oesterreich jemals heimgesucht worden ist. Deshalb ruft jetzt der Verband der Bombengeschädigten mit großem Nachdruck zur Revision dieses Ungeistes auf. Es haben sich neuerdings beide Regierungsparteien bereit erklärt, das Kriegsschadenproblem in Angriff zu nehmen. Die Zeit drängt, die Not drängt. Wir wollen noch einmal hoffen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung