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Eine Erinnerung an das Jahr 1933

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Es war an einem grauen, kalten, düsteren Jännernachmittag des Jahres 1933. Meine Arbeit am Agrar-lnstitut der Universität Berlin unter der Leitung von Professor Sering war beendet. Auf dem Heimweg zu meiner Wohnung am Hohenzollern-damm hatte ich noch rasch am Eingang der U-Bahn-Station die „BZ“ gekauft: Regierungskrise, hervorgerufen durch die Demission des Kanzlers, General von Schleicher. Reichspräsident von Hindenburg hat erneut Herrn von Papen empfangen. Morgen wird er sogar mit dem Führer der NSDAP, Adolf Hitler, sprechen. Kann es zu einer Regierung unter dessen Kanzlerschaft kommen?

Ich hatte Eile. Nicht nur war es auf der nebelnassen Straße unwirtlich, es war, auch höchste Zeit für die verabredete Zusammenkunft mit einem leitenden Parlamentarier'der Zentrumspartei. Glücklicherweise war er etwas verspätet, die Fraktion hatte länger als erwartet getagt.

Unsere Konversation ging natürlich von der Regierungskrise aus. Mein Besucher war optimistisch. Jawohl, Hitler würde der nächste Kanzler sein. Man dürfe aber die Gefahren nicht überschätzen. Er sei gut abgeschirmt, vor allem könne man auf den Reichspräsidenten zählen: einige Monate nur werde es dauern, dann werde der Nationalsozialismus abgewirtschaftet haben. — Würde inzwischen nicht unendlich viel unwiederbringlich zugrunde gehen? — Nein, gewiß nicht, was nicht später repariert werden könne. Natürlich würden die Juden zum Handkuß kommen, aber das sei weiter nicht tragisch zu nennen. Sie seien nun einmal unpopulär, wer sie verteidige, riskiere viel und gewinne wenig. Sie zählten auch kaum als Wähler. Man müsse klug sein, die Juden der Stimmung opfern — denn wichtig sei es, vor allem die Macht der Gewerkschaften und der kirchlichen Organisationen zu retten. Gleichheit und Rechte der jüdischen Staatsbürger? Ja, wolle man denn wirklich die Interessen der Gemeinschaft so unbedeutenden Belangen weniger opfern? Das Recht sei nun einmal etwas, was die Massen nicht verstehen — das gehe nur Professoren an. Politik sei doch die Kunst des Möglichen. Hinter der höflichen Fassade tönte die Melodie mit: Junger Student, du hast noch viel zu lernen; gehe lieber zurück zu deinen Büchern und Statistiken beim alten Sering ...

Die Nacht war hereingebrochen. Wir verabschiedeten uns. Ich sollte ihn nie wiedersehen. Ein Jahr später erfuhr ich von seiner Verhaftung durch eine Dreizeilendepesche der Weltpresse.

Ein jeder von uns hat in seinem Leben Begegnungen und kleine Erlebnisse, die mehr formende Kraft besitzen als noch so weise Lehren, weil sie abstrakte Erkenntnisse mit Fleisch und Blut füllen. Für mich jedenfalls ist die Konversation von jenem Jännerabend am Hohenzol-lerndamm in Berlin unvergeßlich geblieben, der Beweis, daß das Recht unteilbar ist Die Demokratie wird dort geprüft und gewogen, wo es sich um das Recht der Minderheiten, besonders der unbeliebten Minderheiten, handelt; denn das Eintreten für den Willen und den Wunsch der Mächtigen und der Mehrheit ist keine Kunst. Diese Erkenntnis verpflichtet auch dann, wenn der Einsatz die eigene Person ist.

Der „Fall Habsburg“ beschäftigt die politische Öffentlichkeit unserer Heimat seit nunmehr drei Jahren. Die rechtliche Substanz und die verschiedenen Schritte, die in den letzten Jahren erfolgten, können wohl als hinreichend bekannt vorausgesetzt werden. Namhafte österreichische Persönlichkeiten wie Justiz-minister- Broda, Universitätsprofessor Günther Winkler und andere mehr, aber auch führende Gelehrte des Auslandes haben das gesagt, was über die juristische Seite der Frage wissenswert ist, ganz abgesehen von dem sehr eingehenden Motivenbericht des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes und der Begründung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes, sich für unzuständig zu erklären.

In jüngster Zeit ist die Diskussion vor allem auf politischer Ebene geführt worden. Es entspricht dies zwar nicht der wahren Natur des Falles und ist eine Tatsache, die juristisch belanglos ist, aber nicht übersehen werden kann. Aus rechtlichen Erwägungen und aus Respekt vor den Gerichten habe ich bisher ein ganzes Jahr lang geschwiegen. Wenn ich heute zu gewissen aufgeworfenen Fragen das Wort ergreife, so geschieht es vor allem darum, weil Gefahr besteht, daß vor der öffentlichen Meinung ein Verfahren in contumaciam stattfinden könnte. Qui tacet consentire videtur.

Man hat mir öffentlich und privat nahegelegt, über meine seinerzeitige Loyalitätserklärung hinauszugehen und sie erneut in erweiterter Form abzugeben. Wenn ich dies nicht getan habe, so vor allem deshalb, weil meine Loyalitätserklärung von einem der höchsten Gerichte der Republik als ausreichend anerkannt wurde. Quod scripsi, scripsi: Ich habe den in früheren Fällen üblichen Text unterschrieben; es ist eine schwere persönliche Kränkung, um nicht zu sagen eine Beleidigung, wenn man mir a priori die Glaubwürdigkeit abspricht. Für diejenigen aber, die derartiges tun, werde ich dadurch nicht glaubwürdiger, daß ich dasselbe in verschiedenen Abwandlungen noch Dutzende Male wiederhole.

Man hält mir vor, daß ich mich vor meiner Verzichtserklärung in diesem oder jenem Sinn geäußert hätte. Ganz abgesehen davon, daß freie Meinungsäußerung zu den Grundrechten jedes Österreichers gehört, ist es doch wohl der Sinn der Loyalitätserklärung und des Gesetzes, daß sie vorschreiben, daß die Angehörigen des ehemaligen Herrscherhauses auf ein Recht verzichten, an dem sie tatsächlich oder angenommenerweise vorher festgehalten haben. Wozu bedürfte es denn sonst einer Verzichtserklärung? Ich habe mich selbstverständlich nicht leichten Herzens zu einer Erklärung entschlossen, die unter das, was ich als Vermächtnis meines Vaters übernommen hatte, einen Schlußstrich zieht. Das müßten doch gerade jene Politiker verstehen, die von sich behaupten, sie hätten ebenfalls nach schweren inneren Kämpfen überlieferte Ideologien und Leitbilder aufgegeben und sich zu neuen Anschauungen durchgerungen. Auch ihre Erklärungen werden oft als unglaubwürdig bezeichnet, und ich habe aufrichtiges Verständnis dafür, daß sie solches Mißtrauen, das den Vorwurf der Lüge einschließt, mit Entrüstung zurückweisen und als illoyal bezeichnen. Ich darf aber wohl auch für mich das Recht zu geistiger Entwicklung in Anspruch nehmen. Haben sich nicht sogar viele sehr bedeutende Staatsmänner gewandelt — man denke an Bismarck, an Churchill, aber auch an Viktor Adler und Karl Lueger, die beide in ihrer Jugend Parteigänger des Alldeutschen Georg von Schönerer gewesen sind? Unserem Vaterland wäre vielleicht manches Leid erspart geblieben, wenn der eine oder andere der führenden Politiker um 1933 die Fähigkeit und den Mut gehabt hätte, über seinen Schatten zu springen und die „Ideologien der toten Geschlechter“, die, nach Karl Marx, „wie ein Alpdruck auf den Lebenden lasten“, zu begraben.

Man hat mir auch nahegelegt — besonders in letzter Zeit und in gewissen Presseorganen —, ich solle „freiwillig“ auf das mir zugesprochene Recht der Heimkehr verzichten. Abgesehen davon, daß dann morgen jeder Politiker seinem jeweiligen Gegner Gleiches empfehlen könnte, würde es bedeuten, daß ich mich selbst für ebenso gefährlich halte, wie die Gegner meiner Rückkehr es von mir behaupten. Ich würde außerdem die österreichische Republik durch die Insinuation beleidigen, sie sei so schwach, sich vor mir fürchten zu müssen, vor einem Menschen, der immer und überall die Idee des demokratischen Rechtsstaates verfochten hat.

Man hat mir auch diskret und „freundschaftlich“ geraten, ich möge mich „freiwillig“ verpflichten, nach meiner Heimkehr keinen Gebrauch von meinen staatsbürgerlichen Rechten zu machen. Auch damit würde ich ein Stück meiner eigenen Menschenwürde preisgeben, würde das Gerede bestätigen, daß meine Anwesenheit in meinem Vaterland dessen Rechtsordnung bedrohe, und würde schließlich die Republik untergraben, indem ich ihr unterstelle, sie könne es sich nicht leisten,allen ihren Bürgern gleiches Recht zu gewähren. Nein, ich bin fest davon überzeugt, daß der demokratische Rechtsstaat in Österreich stark genug ist, die Anwesenheit eines Mannes zu ertragen, der selbst diesen Rechtsstaat für ein hohes, wenn nicht das höchste irdische Gut, die Demokratie als die Selbstregierung des freien Volkes in der modernen Gesellschaft aber für schlechthin selbstverständlich hält. Darum bin ich auch überzeugt, daß die Demokratie durch freie Meinungsäußerung der Staatsbürger nicht gefährdet, sondern viel eher gestärkt wird.

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