6722224-1965_17_03.jpg
Digital In Arbeit

Eine fast unlosbare Aufgabe

Werbung
Werbung
Werbung

Die größte Sorge bereitete mir die Not an Wasser. Im Bezirk gab es nur wenige Zieh- und Schöpfbrunnen, so war einer im „Roten Hahn“, an dem die Leute stundenlang angestellt waren. Durch ein elektrisches Pumpwerk gelang es, Wasser in die höhergelegenen Bezirksteile zu pumpen, so daß man bei einigen Hydranten Wasser holen konnte. Interessanterweise entdeckte man damals eine Quelle unter dem Platz des Wiener Eislaufvereins. Ein Kübel Wasser war nicht mit Gold aufzuwiegen.

, Aber auch sonst s,tand ich vor einer gewaltigen Aufgabe, die unlös-bau.jerschien. In den.Straßen lagen. noch die Trümmer der von Bomben und Beschuß zerstörten Häuser, Leichen, Tierkadaver, dann die Überreste der Biwaks der Kampftruppen. Es gab weder Licht noch Gas noch Wasser, keine Lebensmittel; die Lebensmittelgeschäfte waren leer, und die Bevölkerung wohnte noch zum Großteil in den Kellern. Der städtische Wagenpark war zum Bau von Barrikaden verwendet, die Mäste und Leitungen niedergerissen worden.

Ich habe mein Augenmerk in erster Linie darauf gerichtet, den Obdachlosen wieder Wohnungen zu verschaffen. 326 Häuser waren gänzlich zerstört, 1612 schwer beschädigt und nur 1076 bewohnbar. Ungefähr 100 obdachlosen Familien wurden innerhalb der ersten drei Monate Wohnungen zugewiesen. Daß hierbei Mißgriffe vorgekommen sind, ist selbstverständlich und ließ sich nicht vermeiden. Hierfür sind aber jene verantwortlich, die sich durch unwahre Angaben in den Besitz dieser Wohnungen gesetzt haben, obwohl ich jeden ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht habe, daß unwahre Angaben hinsichtlich Bedürftigkeit und Würdigkeit die Zuweisung ungültig machen würde. Es galt dann, die noch vorhandenen Lebensmittelvorräte ausfindig zu machen, sicherzustellen und so vor dem Zugriff unberechtigter Personen zu schützen und auf die Allgemeinheit gerecht aufzuteilen.

Fuhrwerke zur Beförderung der Lebensmittel, zur Abräumung des Schutts mußten beschafft werden, Leichen bestattet, Tierkadaver vergraben, der Schutt weggeräumt werden, um Seuchengefahren zu vermeiden. Allein im Schlachthaus St. Marx lagen 1800 Tierkadaver, die verscharrt werden mußten; dabei fehlte es an Kalk und Desinfektionsmitteln!

Am 2. Mai 1945 fand die erste Sitzung mit den Parteienvertretern im Gemeindehaus statt, in der ich Ernährungs- und Transportfragen, Aufräumungsarbeiten, die Erfassung und Heranziehung der ehemaligen Nationalsozialisten und alle übrigen lebensnotwendigen Probleme besprach. Im Laufe des Vormittags wurde ich verständigt, daß bei Bürgermeister Körner um 15- Uhr eine

Besprechung sämtlicher Wiener Bezirksbürgermeister stattfinden solle. Diese Besprechungen fanden allwöchentlich statt und verliefen oftmals recht stürmisch.

Ich nahm meinen „Ernährungsminister“, Oberintendant Wassitzky, mit, der unermüdlich für die Verpflegung der Bevölkerung auf den Beinen war, zehnmal im Tag von der Großmarkthalle zum russischen Kommandanten hin- und zurückeilte, dann auf die spärlich beschickten Gemüsemärkte im Bezirk und so fort. Am Abend hatten wir zum erstenmal elektrisches Licht im Bezirk, aber nur für kurze Zeit; erst am übernächsten Tag leuchtete es ständig. Mit dem Ortskommandanten fuhr ich täglich im Bezirk im Auto umher. Es geht ihm alles zu langsam! Er kann es nicht begreifen, daß man die Bombentrichter vielfach deshalb nicht zuschütten kann, weil vorerst die Gas-, Wasserleitungsund Kanalrohre repariert werden mußten und es hierbei an Facharbeitern fehlt.

Im St. Marxer Schlachtviehhof lagen zahllose verendete Kühe und Ochsen, die von der Bevölkerung wegen der Beschießung nicht mehr geborgen werden konnten und qualvoll verdurstet waren. Der große Löschteich war zur Aufnahme der Kadaver bestimmt, aber es fehlte an Kalk, um die Epidemiegefahr zu vermeiden. Es war mir trotz wiederholter Urgenzen bei Bürgermeister Körnerund Vizebürgermeister Stei-n-hart nicht möglich, Kalk aufzutreiben. Täglich fuhr ich mit dem Kommandanten nach St. Marx und mußte seine Vorwürfe über mich ergehen lassen.

Dazwischen wieder besichtigten wir die Kinos, die mit größter Beschleunigung in Gang gesetzt werden sollten. Damit betraute ich Vater und Sohn P., welch letzterer 1938 mit mir auf der Elisabethpromenade saß und später als Literaturrezensent der „Ravag“ und Schriftleiter zu großem Ansehen gelangen sollte. Ständig überwachten wir die Buchdruckereien im Bezirk, denen jede Betätigung untersagt war, mit Ausnahme der Elbemühl-Druckerei, die verhalten war, jedes Druckstück — ins Russische übersetzt — dem Kommandanten zur Genehmigung vorzulegen. Auch ich mußte meine sämtlichen Kundmachungen von ihm approbieren lassen.

Ich entwarf viele und ließ sie durch Hilfspolizisten im Bezirk anschlagen. Da es damals keine Zeitungen gab, war dies eine Wohltat für die Bevölkerung, die ich dadurch über die wichtigsten Vorfälle unterrichten und gleichzeitig beruhigen konnte. Es war eben wieder jemand da, der auf Recht und Ordnung sah!

Als Geschenk zum 1. Mai hatte mir der Kommandant eine alte Feuerspritze feierlich übergeben. Diese dürfte schon 60 Jahre alt gewesen sein; immerhin war es die erste in Wien, und Bürgermeister Körner, dem ich es meldete, freute sich sehr darüber. Ich bestellte Major von B. zum Feuerkommandanten, der die sich allmählich meldenden ehemaligen Feuerwehrleute sammelte und so den Grundstock für die Wiener Feuerwehr bildete. Erst Monate später kamen die von der Deutschen Wehrmacht nach Westen verschleppten Löschgeräte unter den Führung des Feuerwehroffiziers Josef Holau-bek nach Wien zurück. Holaubek wurde Kommandant der Feuerwehr und später Polizeipräsident von Wien.

Eine der wichtigsten und vordringlichsten Aufgaben, die mir der Ortskommandant stellte, war die Erfassung sämtlicher Industrie- und Gewerbebetriebe des Bezirkes, und zwar nach Anzahl der beschäftigten Personen, Maschinen — diese wieder nach Erzeugungs-, dann Anschaffungsjahrumsätzen, Vorräten usw. Ursprünglich hatte er mir dafür eine Frist von 24 Stunden gestellt! Es brauchte längerer Unterredungen, um ihm die Unmöglichkeit dessen begreiflich zu machen. Endlich konzedierte er sechs Wochen. Mit der Überwachung wurde Hauptmann Kusmin beauftragt, mit dem sich der von mir beauftragte Dr. v. Sch. rasch befreundete. Mein Beauftragter hatte einen Stab von fast 60 ehrenamtlichen Mitarbeitern aufgestellt und zog den Abschluß der Arbeiten So weit, hinaus,, daß bei Übergabe der umfangreichen Listen der Bezirk bereits an die britische Besatzungsmacht übergegangen war und somit die Verschleppung wertvoller Maschinen verhindert werden konnte.

Ab 4. Mai speiste ich täglich in der russischen Offiziersmenage am Heumarkt im ehemaligen Restaurant Meissl. Der Kommandant hatte mich gebeten, sein Gast zu sein. Ich nahm unter der Bedingung an, daß ich von meinen ehrenamtlichen Mitarbeitern einige mitnehmen dürfe. Dies gestattete er mir ohne weiteres. Es war mir eine große Freude, ihnen die schweren und aufopferungsvollen Dienste in einer Zeit, wo alles Hunger ilitt, wenigstens damit teilweise entlohnen zu können. Sie hatten es alle notwendig. Da war Ing. Heinrich L., der buchstäblich zum Skelett abgemagert war, und dem ich die Leitung der Fahrbereitschaft übertragen hatte. Ab 6 Uhr stand er mit seinen getreuen Helfern D. und T. am Karl-Borromäus-Platz und teilte das Fuhrwerk, das sich dort sammeln mußte, ein. Denn kein Fuhrwerk durfte sich ohne Fahrterlaubnis auf der Straße zeigen.

(Wird fortgesetzt)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung