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Eine Gewaltkur für einen Mammutbetrieb

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Zu dem von der AKTION 20 seit 1967 ausgearbeiteten Bundestheatergesetzesentwurf, den die „FURCHE“ als erste Zeitung zur Diskussion stellte, haben nach den Direktoren nun auch die Repräsentanten des österreichischen Rundfunks und Fernsehens Stellung bezogen: Generälintendant Gerd B a-c h e r, die Direktoren Dr. Alfred H a r t n e r (Hörfunk) und Dr. Helmut Z i 1 k (TV) sowie

Professor Wilfried S c h e i b, Leiter der Hauptabteilung Musik im Fernsehen, analysierten in Gesprächen mit „FURCHE“-Mit-arbeiter Karlheinz Eoschitz Vor- und Nachteile dieses Exposees sowie die Möglichkeiten intensiverer Zusammenarbeit des ORF mit den österreichischen Bundestheatern auf der Basis des neuen Gesetzesentwurfes.

Mit großem Optimismus beurteilt man im ORF die Tatsache, daß die „Aktion 20“ das heiße Eisen angepackt hat, mit einer Neuregelung des Komplexes Bundes-theater und Bundestheaterverwaltung in absehbarer Zeit ins Parlament will. Um so mehr, als es längst unerläßlich geworden ist, die innere Struktur dieses Mammutbetriebes endlich gründlich zu überprüfen und im Sinn der Verfassung auf einer günstigeren wirtschaftlichen Basis zu legalisieren. Im ORF versteht man allerdings nicht, daß die Direktoren derart um die Autonomie ihrer Theater besorgt sind und die im Konzept vorgesehene neue Position eines Generaldirektors so vehement angreifen. Den Chefs vom ORF scheint gerade dieser neue Posten als Heilmittel für die wirtschaftliche Gesundung.

Generalintendant Gerd Bacher findet es vernünftig, idaß man sich bei der Abfassung .des Bundes-theatergesetzesentwurfes am Österreichischen Rundfunkgesetz orientiert hat, denn „es hat sozusagen eine Modellfunktion und ist in modifizierter Form ebenso auf die ÖIG oder auf die VÖSt. anzuwenden“. Worin die Stärke dieses Rundfunkgesetzes liegt? „Es stellt den ersten gelungenen Versuch dar, ein solches Riesen-unternehmen in moderner Weise, strukturell vernünftig, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu organisieren. Entscheidend ist, daß dieser Plan konzeptgetreu exekutiert und keineswegs nur in der Idee belassen oder in einem Kompromiß erstickt wurde, wie man dies gern in Österreich tut.“ Kritik am Bundestheatergesetzes-entwurf? „Der Entwurf sagt in verschiedenen Punkten zu wenig aus, ist zu wenig präzise formuliert. Man darf sich nicht täuschen,er schafft nur Voraussetzungen, bietet lediglich Grundsätzliches. Die Verwirklichung hängt hingegen nicht zuletzt von den Sozialpartnern ab, die man erst zur Vernunft bringen muß. Im Grunde geht es da immer wieder um die gleichen leidigen Probleme im Gewerkschaftsbereich, um deren untragbare Forderungen, an denen früher so mancher Plan, auch die Zusammenarbeit des ORF mit den Bundestheatern, gescheitert ist.“ (Die European-Broadeasting-Union-Bestimmungen sehen nämlich lediglich Verhandlungen der Rundfunkanstalten mit den Theatererhaltern vor, was aber in Österreich wegen gewerkschaftlicher Zwischenschaltung nicht durchführbar ist.) Zu den Autonomiebestrebungen der Direktoren der Bundestheater, die Bacher schon aus rein wirtschaftlichen Überlegungen „nicht vertretbar“ erscheinen, meint er: „Entweder eine wirtschaftliche Lösung mit straffer Führung, an der der gesamte Betrieb gesundet, odier die ganze Hoftbaaiter-erbschaft wird eines Tages senkrecht in die Grube fahren!... Man spricht ständig von künstlerischer Freiheit, nie hingegen von künstlerischer oder wirtschaftLicher Disziplin!... Natürlich sind die Bundestheater nicht auf Rentabilität zu führen. In Österreich ersetzt der Steuerzahler den US-Millionär, das heißt, auch er will den größtmöglichen Nutzen aus dem Unternehmen ziehen.“ Darin, daß die Direktoren ihrem „General“ und dieser nur dem Minister verantwortlich ist, sieht Bacher einen Vorteil: „In Österreich fallen immer alle in Ohnmacht und glauben, daß ein Chef jede kulturelle Institution in eine Schuhpastafabrik verwandeln möchte, wenn er auf wirtschaftlich gesunder Basis alles zu regeln trachtet. Aber glauben Sie mir, ein elastisches Konzept und die straffe Führung sind der einzige Weg, die in Österreich beliebten pseudo-genialischen Schlampereien zu vermeiden und hundertprozentig rationell den Betrieb zu führen. Vor allem ist die Annahme der Direktoren, dieser Generaldirektor müßte ein Wundertier sein, völlig falsch! Das ist die österreichische Vorstellung von einem Chef. Der muß gar nicht alles können, er muß nur richtig entscheiden, zu organisieren verstehen.“

Zur Zusammenarbit ORF-Bundestheater: „Gerade durch die intensive Zusammenarbeit Hörfunk und TV mit den Bundes-theatern verspreche ich mir eine Belebung des Wiener Theaterlebens, vor allem eine Niveausteigerung. Für die direkte Über-itragung wie für die Aufzeichnung brauchen wir nicht-alltägliche Stücke: höchste Konzentraitaon der Aufführung, hervorragende Qualität sind Voraussetzung. Der ötztaler wie der an der Piesting wird vom Theater eines Tages genau soviel verstehen, wie der, der an der Quelle sitzt. Speziell das Burgtheater, mit dem die Zusammenarbeit ohnedies recht gut anläuft, wird erst so zum wirklichen Nationaltheater werden, indem es bis in den hintersten Talwirtkel dringt., Schwieriger ist freilich die Auswertung des Musiktheaters: Ungeheure Kosten, besonders durch das Farbfernsehen, zwingen zu internationalen Koproduktionen. Nur so sind Großprojekte heute kapitalisierbar. Die Bundestheater dürfen sich allerdings kaum hohe finanzielle Erwartungen machen. Die Zusammenarbeit wird gewiß interessante Beiträge liefern, sie wird indes finanziell kaum ins Gewicht fallen, wie mancher heute meint.“

Hörfunkdirektor Dr. Alfred Harfner findet den Bundestheaiter-gesetzesentwurf im ganzen vielversprechend, wenn auch • höchst unvollständig: „Der große Unterschied zum Rundfunkgesetz liegt dm Fehlen der Sicherung der Fd-nanzierungsbasis, in der leider unausgesprochenen Verpflichtung der Theater ihrem Erhalter gegenüber, im Mangel einer präzisen Aufgabenstellung, in der der Auftrag jedes einzelnen Hauses wie der Auftrag der Gegenwartsliteratur genau geregelt sind, ferner in einer Präzisierung der Kontakte mit den Länderbühnen usw. Vor allem das offene Finanzierungsproblem wiegt schwer. In dieser Hinsicht sollte man sich den Entwurf noch einmal gründlich überdenken, zumal es keine Sanierung ohne Finanzbasis gibt. Es ist fraglich, ob nicht überhaupt die Basis einer Ges. m. b. H. vorteilhafter wäre, so daß die Bundestheater ein Wirtschaftskörper auf der Grundlage eines privaten Unternehmens würden. Rationalisierungen und Einsparungen wären da auf jeden Fall einfacher durchzuführen.“ Bezüglich der Zusammenarbeit mit dem Hörfunk und den Möglichkeiten für die Bundestheater, daraus Kapital zu ziehen, meint Hartner: „Die Mitwirkung des Hörfunks kann lediglich bedingt sein. Er kann vorwiegend Musdk-theater berücksichtigen, und zwar bis zu sieben Opern pro Jahr. Eine Abkehr von der direkten Theaterübertragung ist ja schon lange zu verzeichnen. Außerdem produzieren wir selbst jährlich vier Opern, meist Werke, die sonst kaum zu hören sind, soeben den „Corre-gidor“, 1970 „Nachtflug“. Doch will ich nicht vorgreifen, da ich erst die Vorschläge Milan Horvats, des neuen ORF-Symphonde-orchesterchefs, abwarten möchte. An einen finanziellen Gewinn der Bundestheater aus den Hörfunkaufnahmen ist jedenfalls kaum zu denken, da die Hauptsumme an die beteiligten Künstler geht. Dr. Hartner kommt noch auf die Position des Generaldirektors zu sprechen, die er als „fast autoritär“ bezeichnet: „Vielleicht ist es sogar problematisch, daß der .General' lediglich dem Minister verantwortlich ist, um so mehr, als dieser in allen Fragen sich jeweils erst mit der Materie befassen muß oder einen Beamten beauftragen wird. Das Rundfunkgesetz sieht hier einen Aufsichtsrat vor. Das bietet große Vorteile!“

Fernsehdirektor Dr. Helmut Zilk findet, daß man mit dem „Aktion-20“-Entwurf erst sozusagen auf halbem Weg steht. Er befürwortet „die totale Zentralisierung“ für alle Gebiete der Kultur als „Form, durch die die gesamte Subventionspolitik in eine neue Fasson gebracht wird“: „Man gibt enorm viel für Förderungen aller Kulturgebiete aus, der Effekt ist indes oft sehr gering, weil tausend Stellen irgend etwas tun. Koordination tut längst not. Die kommerzielle Führung der Bundestheater durch einen straff organisierten Apparat ist da nur ein Teil eines noch ausstehenden Gesamtkonzepts.“ Der Generaldirektor soll jedenfalls kein „Erfüllungsgehilfe“ sein: „Ich möchte nicht Burgtheaterdirektor sein unter so einem Chef, wenn durch ihn nicht das System eine Aufwertung erfährt.“ Zusammenarbeit war schon früher ansatzweise vorhanden, wurde aber wieder aufgegeben wegen der TV-feindlichen Verträge der Staatsoper mit dem Bertelsmann-Verlag, der ihr „vermutlich nur Nachtedle gebracht“ hat: „Die Entwicklung ist aber nicht stehengeblieben, es ist heute schwerer geworden, ins Geschäft einzusteigen. Immerhin, wir verhandeln über eine Opernproduktion, und im Burgtheater ist Direktor Hoffmann ebenfalls um intensivere Kontakte zu uns bemüht. Die Schwierigkeiten liegen allerdings in den Generalverträgen und bei den Gewerkschaften. Für eigene ständige Produktionen wird das österreichische Fernsehen kaum das Geld aufbringen können. Die Zusammenarbeit auf toternationaler Ebene ist daher wegen der Kosten unerläßlich. Allerdings, wir werden unsere Partner erst an der Staatsoper interessieren müssen, weil sie aus dem Geschäft ist. Die Staatsoper ist besser als ihr Ruf in Wien, sie ist allerdings fünf Jahre lang aus dem Gespräch gewesen. Und in Europa laufen die Leute nicht mit erhobenen Händen herum, um ihr zuzujubeln. Auch ist Geld rarer geworden, besonders in der Bundesrepublik, und man muß neue Konzepte des Arrangements finden; Aber allmählich wird sich die Kontaktnahme mit dem Ausland wieder einspielen. Die Aufzeichnung der ,Missa solemnis' unter Leonard Bernstein anläßlich des Staatsopemjubiläums macht jedenfalls einen neuen Anfang.“

Professor Wilfried Scheib, TV-Musikchef, der an der Entwicklung des Bundestheatergesetzes-entwurfes in der „Aktion 20“ selbst mitgearbeitet hat, ist hinsichtlich der Durchführung des Reorganisationsplanes sehr optimistisch. Der Generaldirektor, der ein Fachmann par excellence sein muß, ist für ihn das „Um und Auf“ der Neugestaltung. Scheib schwebt, wie Gerd Bacher, eine Befruchtung des Opern- und Theaterlebens in Wien vor, eine Niveausteigerung durch die Zusammenarbeit mit den technischen Medien. Er sieht darin eine Möglichkeit zu neuen interessanten Engagements, die bisher nicht zustande gebracht wurden. Die künstlerische Unabhängigkeit der einzelnen Theater ist seiner Meinung nach in genügendem Umfang gewährleistet. Von einer Einschaltung und Heranziehung der Industrie und Privatwirtschaft als Mäzen verspricht er sich indes vorderhand nicht allzuviel. Dazu sind, wie auch Dr. Thalhammer schon in seinem „Furche“-Inter-view betonte, vorderhand zu viele grundlegende gesetzliche Neuregelungen notwendig.

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