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Eine individuelle Entwicklung

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Auf diese Weise ergibt eine Analyse der allgemeinen Exportliste, daß Österreich die Erhöhungen bei elektrischem Strom der Bundesrepublik, bei lebenden Tieren Italien, bei Tonbandgeräten Holland, bei Molkereiprodukten und chemischen Erzeugnissen Frankreich und Italien verdankte. Anderseits hatten sich schwere Einbußen bei Eisen und Stahl, Textilien und Kleidung, Kupfer, Aluminium und Metallwaren eingestellt, wobei man im einzelnen immer wieder beobachten konnte, daß die Tendenzen in den verschiedenen EWG-Staaten einen oft gegensätzlichen Verlauf nahmen. Bei Eisen und Stahl verursachte Westdeutschland (613,6 Millionen Schilling, minus 26 Prozent) ernste Verluste, die nur durch Fortschritte in Italien (plus 35 Prozent) gemildert werden konnten. Die Stabilität der Maschinen ruhte wiederum auf Erfolgen in Holland, Frankreich und Italien, die alle Rückschläge in Belgien und Westdeutschland auszugleichen vermochten. Die Lieferungen nach der EWG zeigten nicht nur in

der Staatenordnung, sondern eben auch in der Warenordnung eine höchst individuelle Entwicklung, die selbst einem flüchtigen Blick erkennbar wurde, weil an der Spitze der Exporte durchweg verschiedene Warenkategorien figurierten: elektrischer Strom bei Westdeutschland, Holz bei Italien, Tonbandgeräte bei Holland, Magnesit bei Frankreich und Maschinen bei Belgien.

Rascher Aufstieg der EFTA

Der neue Aufschwung der Exporte nach der EFTA (siehe Tabelle B) war eine natürliche Folge des zum Jahresbeginn erreichten vollständigen Zollabbaues, der Industrie, Handel und Gewerbe die Vorteile des Freihandels vor Augen führte, die studiert und ausgenützt, zumindest einmal erprobt werden mußten, neue Chancen, die eine um so größere Suggestion ausübten, als sich die ständigen Hinweise auf den raschen Abschluß eines Vertrags besonderer Art mit der EWG schon seit Jahr und Tag als trügerisch erwiesen. Es blieb ein großer Vorzug der Konven-

tion von Stockholm, daß die EFTA grundsätzlich auf eine einheitliche Regelung der Agrarfragen verzichtet hatte, die der EWG noch immer Schwierigkeiten bereitet. Nachdem Brüssel dem österreichischen Bewerber die kalte Schulter zeigte, obwohl er sich trotz manchen Bedenken und Nachteilen seit Jahren um eine Assoziierung bemühte, standen Wien und die Alpenländer einfach unter dem Zwang, sich endlich einmal ernsthaft um einen besseren Absatz in der Freihandelszone zu bemühen, die im Inland gern als ein handelspolitischer Unsinn und als eine häßliche Mißgeburt der alten Koalition dargestellt wurde, die man so rasch als möglich vernichten sollte.

Heute steht man aber vor der überraschenden Tatsache, daß unsere Exporte nach der Schweiz, Großbritannien und Skandinavien, einschließlich Finnland und Portugal plötzlich eine Zuwachsrate von 17 Prozent erwirkten, von der nahezu alle Kategorien profitierten. Ausnahmen bildeten nur Kupfer, Magnesit, Kunstfasern und Tonbandgeräte. Bei einer recht ansehnlichen Reihe von Warengruppen waren die Exporte nach der EFTA sogar höher als. nach der EWG. Jedenfalls verzeichneten Textilien, Kleidung, Papier, chemische Produkte, Schuh-, Metall- und Kautschukwaren von Jänner bis Juni sogar Zuwachsraten von 30 bis 44 Prozent, wobei die mei-

stem Bestimmungsländer versicherten, die bestehenden Möglichkeiten seien noch nicht voll ausgenützt. Besonders hoch einzuschätzen waren in Skandinavien der Absatz von Textilien und Kleidung (482 Millionen Schilling, plus 36 Prozent) sowie von elektrischen Apparaten (182,6 Millionen Schilling, plus 105 Prozent), lerner von Papier in der Schweiz und von Maschinen in Großbritannien, während bei Eisen und Stahl die Verluste in Schweden durch Gewinne in Großbritannien gedeckt wurden. Die Textiiiindustrie und die Konfektion, aber auch die Elektroindustrie und die chemische Industrie bleiben am weiteren Ausbau ihrer Lieferungen nach der EFTA in höchstem Maß interessiert, weil sie den erreichten Fortschritt keinesfalls preisgeben wollen und können. Nach Abschaffung der Industriezölle zwischen den EFTA-Stasten wird es überhaupt irreal, vom Aufbau neuer Zollschranken gegenüber der Schweiz, Skandinavien und Großbritannien zu reden, wie es die Dogmatik von Brüssel vorschreibt. Außerdem kann heute wirklich niemand mehr leugnen, daß von allen Mitgliedern gerade Österreich den weitaus größten Nutzen vom Bestand der EFTA gezogen hat.

Notwendiger Abbau der Illusionen

Es ist offenkundig, daß alle Staaten bei Interpretation des Vertrags von Rom, der die EWG aus der Taufe gehoben hatte, einem Irrtum unterlagen. Die Präambel, wonach es sich um die erste Stufe zur wirtschaftlichen Einigung des freien Europa handle, wurde überschätzt. Falls die sechs beteiligten Staaten wirklich dieses Endziel angestrebt haben sollten, nahm ihre Handelspolitik in der Praxis eine ganz andere Entwicklung; denn sie führte zur Spaltung des freien Europa in drei Staatengruppen, in erster Linie Zu den Gegensätzen zwischen EWG und EFTA, die nur die Hochkonjunktur teilweise übertünchte, bis dem peinlichen Prozeß der Zersetzung erst Einhalt durch die Kennedyrunden des GATT geboten wurde. Die Selbstisolierung der

EWG hat viele ehemalige Anhänger schwer enttäuscht. Heute ist das freie Europa von einer wirtschaftlichen oder gar politischen Einigung weiter entfernt als je zuvor. Die Fusion von EWG, Euratom und Montanunion, der weitere Ausbau einer gigantischen Wirtschaftsbürokratie und die Flut der Beitrittsgesuche, die geprüft und katalogisiert, nach ihren Bedingungen und Konsequenzen studiert und untersucht werden, führten zu einer krisenhaften Überlastung von Brüssel,

dessen oberste Richtlinie natürlich die Konsolidierung der eigenen Institution bleibt.

Österreich, einst ein Favorit, wurde bei diesem Wettrennen durch das Veto Italiens und die vorsichtige Zurückhaltung Frankreichs auf einen rückwärtigen, vielleicht sogar den letzten Platz verwiesen. Doch geht es anderen Bewerbern nicht besser. Von einer baldigen Erweiterung der EWG ist überhaupt keine Rede. Es wäre daher hoch an der Zeit, längst überholte Illusionen abzubauen. Gerade ein kleiner Staat sollte wieder den festen Boden unter den Füßen gewinnen, den Julius Raab, der große Realpolitiker, niemals verlassen hat. Illusionen sind immer Folgen einer geringen Kenntnis des Auslands und einer Überschätzung der eigenen Emotio-

nen, vor allem jedoch von falschen, schlechten und einseitigen Informationen. Und was den großen Wirtschaftsraum betrifft, den Österreich benötigt, so haben gerade der Freihandel der EFTA, die Expansion des Osthandels, die Entwicklungshilfe und die wichtigen Kennedyrunden des GATT das Feld unseres Außenhandels in unerhörter Weise erweitert, ohne daß Österreich von seinen unabdingbaren Grundsätzen der Neutralität auch nur das Geringste preisgeben mußte.

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