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Eine Initiative der Industrie

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Der einflußreiche Verband der schwedischen Industrie hat in den letzten Wochen vor dem 27. Juli — dem Tage des neuerlichen Ansuchens in Brüssel — sozusagen alle Batterien der EWG-freundlichen Propaganda spielen lassen. In kurzen Abständen wandten sich die Sprecher des Verbandes an die Öffentlichkeit, veröffentlichten Briefe an den Staatsminister und malten düstere Zukunftsperspektiven aus, sofern Schweden außerhalb der EWG bleiben sollte. Direktor Paues vom

Industrieverband rechnete der Regierung vor, daß nach einem Beitritt Englands, Dänemarks und Norwegen“! zur EWG — alle diese Länder hatten zu diesem Zeitpunkt bereits um Verhandlungen angesucht — ein schwedischer Export im Werte von 13,8 Milliarden Kronen in die Gefahrenzone geraten würde. Da schon jetzt die Gewinnspannen sehr gering sind, würde das Hinzukommen von weiteren Exporthindernissen 79 Prozent des bisherigen Exportes von

Rohstoffen und Lebensmitteln beeinträchtigen oder unmöglich machen; der Exportverlust bei Manufakturwaren würde fast 4 Milliarden Kronen oder 64 Prozent des bisherigen Exportes betragen, und bei Maschinen und Transportmitteln wären die entsprechenden Ziffern 3,7 Milliarden Kronen und 48 Prozent des Exportes.

Nachdem man seit 1959 im EWG-Raum bereits 13 Prozent des früher besessenen Marktanteiles verloren hat, würden nun neuerlich — so be-

haüptete der Industrieverband — die Arbeitsplätze von 430.000 Angestellten bedroht sein.

Die bloße Assoziierung wäre nach Ansicht der schwedischen Industrie eine sehr mangelhafte Lösung. Das Zusammenschmelzen der EWG-Länder ermöglicht es ihnen, die Zusammenarbeit auf immer neue Arbeitsgebiete auszudehnen, die auch für Schweden von großer Bedeutung sind. Die Problemkomplexe, auf die sich nun die EWG zu konzentrieren be-

ginnt, sind zum großen Teil Im Rom-Vertrag nicht einmal erwähnt worden, und es handelt sich dabei um Fragen, die einträchtig von gleichberechtigten freien Staaten gelöst werden müssen. Bei einer Assoziierung wäre Schweden jedes Mitbestimmungsrechtes beraubt. Und die Neutralitätsfrage — Frankreich selbst hat ja erklärt, daß es sich in Fragen von „vitalem nationalem Interesse“ niemals von den anderen Fünf wird überstimmen lassen, also könne man annehmen, daß auch die bescheidenen schwedischen Vorbehalte Beachtung finden werden!

Dieselbe Argumentierung findet man in einem Großteil der dänischen und norwegischen Presse wieder, die großen Wert darauf legt, Schweden als gleichberechtigtes Mitglied mit in die EWG zu bekommen. Als die beste Lösung erscheint dort der gleichzeitige Beitritt aller skandinavischen Länder und die Assoziierung Finnlands.

Marsch nach Brüssel

Diese Argumentation weist einige sehr schwache Stellen auf: Sie übersieht, daß sich das Schwergewicht der Handelsinteressen aller EFTA-Länder seit 1959 sehr wesentlich verschoben hat. Nicht nur die EFTA hat im EWG-Raum, auch die EWG hat im EFTA-Raum an Boden verloren, zwischen 7 und 9 Prozent

ihres früheren Marktanteiles, und hier handelt es sich um Länder, die zu den kaufkräftigsten der Welt gehören: Schweden, Dänemark, Norwegen und die Schweiz! Zwar geht der Export des Nordens in den EWG-Raum ununterbrochen zurück, doch der Export in die anderen EFTA-Länder steigt daher um so rascher. Anderseits konnten auch die nichtskandinavischen EFTA-Länder ihren Marktanteil im Norden zwischen 4,4 und 8,6 Prozent erhöhen. In den ersten fünf Monaten -dieses Jahres fiel die Einfuhr Schwedens aus dem EWG-Raum um 2 Prozent, die Einfuhr aus dem EFTA-Raum stieg um 9 Prozent. Die Ausfuhr in die EWG verminderte sich um 4 Prozent, die Ausfuhr in die übrigen EFTA-Län-der erhöhte sich um 16 Prozent. Dieses Zahlerwerhältnis findet man mit kleinen Variationen in der Handels-statistik aller nordischen Länder wieder. Die EWG — so groß und wichtig dieser Länderblock ist — verliert an Bedeutung, die EFTA-Partner gewinnen an Bedeutung! Irgendwo muß ein Punkt kommen, da der Verlust der EFTA schwerer wiegen wird als die Erlangung der EWG-Mitgliedschaft, und diesem Punkt nähert man sich im Norden rasch. Die sehr wache dänische Exportindustrie warnte bereits vor einem bedingungslosen Eilmarsch nach Brüssel, da man die Bedeutung der bisherigen Weggefährten nicht unterschätzen dürfe!

Direktor Tore Browaldh von der „Svenska Handelsbanken“, der größten Geschäftsbank Schwedens, rechnet mit einem schwedischen Beitritt zur EWG frühestens im Jahre 1971. Die größten Probleme, vor die sich die sohwadische Wirtschaft gestellt sieht, sind jedoch die ungeheuer gesteigerte amerikanische Konkurrenz auf dem Weltmarkt und die dauernd sich verschlechternde Konkurrenzkraft der eigenen Industrie, in der die Lohnerhöhungen seit einer Reihe von Jahren die Produktionserhöhungen übersteigen. Dieses Problem gilt — nach Browaldh — für fast alle europäischen Staaten. Viele Schwierigkeiten, die man heute auf die Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in diesem oder jenen Wirtschaftsverband zurückführt, entstehen ganz einfach aus der Unfähigkeit oder dem Unwillen, den eigenen Verbrauch der vorhandenen Produktionskraft anzupassen und der eigenen Wirtschaft jene Stärke zu geben, die es ihr ermöglicht, mit dem amerikanischen Giganten zu konkurrieren!

Rücksichten auf Finnland

In der schwedischen Diskussion wird sehr selten zum Problem Finnland Stellung genommen: Die Regierung will nicht davon sprechen und die Opposition hütet sich, hier ein heikles Thema anzurühren. Unmittelbar nach dem neuesten schwedischen Verhandlungsansuchen war es in Moskau zu einer sehr scharfen Reaktion gekommen. Eine Vollmitgliedschaft Schwedens müßte unter den gegebenen Verhältnissen zur Einbeziehung Finnlands in den osteuropäischen Wirtschaftsraum und zur Errichtung einer Grenze quer durch die Ostsee führen. Finnland hat sich unter großen Schwierigkeiten und dabei erstaunlich rasch in den letzten Jahren in die skandinavische Zusammenarbeit eingefügt. Alle übrigen Länder haben davon profitiert; Finnland selbst hat es in seiner Stellung gegenüber der Sowjetunion den Ritte-ken gestärkt. Alles das wäre bei einer Aufgabe der schwedischen Neutralität in Frage gestellt, wobei noch zu beachten ist, daß heute nicht eine einzige schwedische Partei die Aufgabe der bündnisfreien und neutralen Stellung verlangt. Es ist sehr zweifelhaft, ob nach einem Regierungswechsel im Herbst 1968 diese außenpolitische Linie verlassen werden kann.

Und hinter Finnland steht natürlich die große Sowjetunion, mit der Schweden bei einem Verlassen der Neutralität entlang einer 2000 km langen Linie konfrontiert werden würde. Sicherlich wird man sich in Stockholm niemals als vorgeschobener Posten der EWG (sprich der NATO nach russischer Auffassung!) fühlen, doch es kommt hier eben auch darauf an, wie es der große Nachbar im Osten sieht und deutet!

Nach Europa? Ja! Doch niemals um jeden Preis! Und auch nicht um den Preis Finnlands! Man wird nicht den Bund mit diesem Land aufgeben, um in einen Verband zu kommen, der zwar kein neutrales Schweden, wohl aber ein Griechenland der Militärdiktatur ertragen zu können glaubt!

Ein neutraler Norden, die kühnste Lösung

Wenn die römischen Verträge die Volimitgliedschaift eines neutraler Schwedens unmöglich machen unc es Schweden selbst nicht möglich ist für den Beitritt mit der Aufgabe seiner allianzfreien außenpolitischer Linie zu bezahlen —, ist da das Beiseitestehen Schwedens und die Zersplitterung des Nordens die einzig denkbare Folge?

Dies wäre zweifellos eine äußers

unglückliche Entwicklung, nicht nur für Schweden. In der allerletzten Zeit werden deshalb Stimmen laut, die auf eine dritte denkbare Möglichkeit hinweisen, die zweifellos ein weitausgreifendes Umdenken erfordert, anderseits aber eine wirklich kühne Lösung darstellen könnte.

In dieser Diskussion geht man von drei Voraussetzungen aus:

• Der politische Charakter der EWG ist durch die Haltung Frankreichs im gewissen Sinne „entschärft“ worden, die Bindung an die NATO ist lok-kerer geworden und sowohl die NATO als auch der Warschauer Pakt haben viel von ihrer Geschlossenheit eingebüßt.

• Die wirtschaftliche und auch politische Zusammenarbeit der nordischen Länder ist so erfolgreich und in mancher Beziehung beispielhaft auch für die übrige Welt gewesen, daß sie unter allen Umständen erhalten bleiben sollte.

• Schwedens allianzfreie Politik hat

das Land aus zwei Weltkriegen her aushalten können. Diese Politik mul als ein Sicherheitsfaktor von große Bedeutung bewertet werden. Di Verteidigungskosten und der Ver zieht auf wirtschaftliche Vorteil (auf Grund einer EWG-Mitglied schaff) müssen als tragbare Koste für diese Sicherheit betrachtet wer den. Vor die Alternative gestellt, die sen Preis zu zahlen oder sich einer Bündnis anzuschließen, das das Lani in eine militärische Katastroph stürzen kann, dürfte sich die Mehr heit des Volkes für die Neutralitä entscheiden.

Schon im nächsten Jahr wird ma in Dänemark und Norwegen übe das weitere Verbleiben in der NAT( entscheiden müssen. Erst kürzlich ha Schwedens Verteidigungsministe eine Erklärung abgegeben, in der e heißt, daß Stockholm jederzeit berei sei, mit Norwegen und Dänemar gemeinsame Verteidigungsmaßnah men zu diskutieren. Ein Austritt de

beiden Länder aus der NATO und

ein engeres Zusammengehen mit Schweden würde eine völlig neue Situation schaffen. Ein wirtschaftlich starker skandinavischer Block, der sich zu einer bündnisfreien Außenpolitik bekennt, könnte sich sowohl als Vollmitglied wie auch als assoziiertes Mitglied eine ganz andere Bewegungsfreiheit sichern als das einzelne skandinavische Land. So könnte man zweifellos sich das Recht bewahren, auch mit osteuropäischen Ländern Handelsverträge abzuschließen, zu selbstgewählten oder zweiseitig ausgehandelten Bedingungen.

Das große Vertrauenskapital, über das die USA einmal verfügen konnte, ist zusammengeschmolzen. Eine Alternative zur NATO ist von neuem interessant geworden. Eine Nordische Verteidigungsunion erscheint wieder als eine natürliche Lösung einiger großer Probleme, und dies nicht nur in Stockholm!

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