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Eine schließlich haltlose These

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Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel” begann in Nummer 6 vom 31. Jänner 1966 mit dem Abdruck der deutschen Übersetzung des Jesus-Buches von Joel Carmichael. Es handelt sich um die Titelge- schichte der Nummer. Man erwartet also eine Sensation. Ist es eine?

Hier die Thesen des Buches, in den Worten Rudolf Augsteins, der in einem einführenden Artikel seine Leser über den Hauptinhalt des Buches informiert. „Da die Römer Aufruhr mit dem Tod am Kreuz bestraften und da unzweifelhaft ist, daß die Römer Jesus verurteilt (und nicht etwa nur das jüdische Urteil bestätigt) haben, sieht Carmichael es als zwingend an, daß Jesus von den Römern wegen politischen Aufruhrs hingerichtet wurde.”

„Jesus war nicht nur potentiell, sondern ganz real ein Aufrührer gegen die römischen Oberherren, und die Evangelien stecken voller Hinweise, die zu eliminieren den Verfassern in ihrer unhistorischen Betrachtungsweise nicht beigekommen ist, obwohl das von ihnen entworfene Bild derart verwirrt wurde.” „Jesus hat versucht, sich des Tempels mit Waffengewalt zu bemächtigen.” „Nicht die Juden, sondern die Römer sind verantwortlich für den Kreuzestod Jesu. Daß Jesus wegen der Anmaßung .König der Juden1 zu sein, am Kreuz hingerichtet wurde, gewinnt Wahrscheinlichkeit (natürlich nicht mehr!).” „So vermutet Carmichael (und belegt mit Indizien), der erste Prozeß vor dem Hohen Rat sei nur eine tendenziöse Verdoppelung des einen einzigen Prozesses vor den Römern, dessen Konturen verwischt worden seien.” Augstein referiert nicht nur, er fällt auch Urteile. Ja, er steht nicht an, zu erklären: „Man muß nicht Soldat, nicht Zivilist und auch nicht Theologe sein oder gewesen sein, um zu erkennen, daß der Orientalist Carmichael die Texte auf der Suche nach Indizien für einen bewaffneten Aufstand zu sehr strapaziert. Was seine Phantasie ihm eingibt, kann so gewesen sein, aber ebenso ist auch möglich, daß es nicht so war.” Augstein spricht von Carmichael „etwas willkürlich gehandhatater Methode”, seiner „etwas extravaganten Mdll- tärthese” und davon, daß „sich Carmichael von seiner eigenen Streitmachtthese hat blenden lassen”. Doch: „Vielleicht bedurfte er eines exaltierten Gegenbildes, um sich dem Klischee zweier Jahrtausende entgegenzustellen.”

Nun, das klingt wohl ganz vernünftig. Ist nicht aber dieses exaltierte Gegenbild selbst schon ein Klischee? In Wahrheit ist es nämlich nichts anderes als ein Aufguß dessen, was schon früher von einigen Außenseitern der Wissenschaft den staunenden Zeitgenossen vorgesetzt wurde: vor rund 200 Jahren von dem Aufklärungstheologen Hermann Samuel Reimarus, in unserem Jahrhundert von dem Marxisten Karl Kautsky (Der Ursprung des Christen tums, Stuttgart 1908) und vor allem von dem jüdischen Gelehrten Robert Eisler (Iesous basileus ou basileusas, Heidelberg 1928/30). Natürlich ist damit, daß eine Ansicht schon früher vertreten wurde, nicht deren Unwert bewiesen. Aber man muß doch mit Bedauern vermerken, daß dem Verfasser entgangen zu sein scheint, wie sehr sich die Wissenschaft mit Eislers Thesen befaßt hat und zu welchem Urteil sie dabei gekommen ist.

Keine ernsthafte Geschichtsforschung

Trotzdem besteht kein Zweifel: Carmichaels Grundthese, daß Jesus allein von den Römern verhaftet, als politischer Rebell verurteilt und gekreuzigt worden ist und daß die Darstellung der Evangelien über einen Prozeß vor dem Hohen Rat antijüdische Legende sei, ist unhaltbar und hat mit ernsthafter Geschichtsforschung nichts zu tun.

Hier seien aus Platzgründen nur zwei Argumente angeführt: Wer behauptet, Jesus sei allein vom römischen Gericht, und zwar als Aufrührer verurteilt worden, müßte eine einleuchtende und überzeugende Erklärung dafür geben können, warum außer Jesus nicht auch wenigstens einige seiner Jünger verurteüt und hingerichtet worden sind. Es gehört zum Begriff des Aufruhrs, daß daran eine Mehrheit von Personen beteiligt ist.

Eindeutig widerlegt wild Carmichaels These aber durch keinen Geringeren als durch den Apostel Paulus. In seinem ersten Brief, den wir von ihm besitzen, den im Jahr 52 nach Christus geschriebenen ersten Thessalonikerbrief, bezeichnet er die Juden als diejenigen, die den Herrn getötet haben (2, 15). So hätte sich der Apostel, der früher selbst ein Todfeind Jesu war, niemals ausdrücken können, wenn er den Standpunkt von Joel Carmichael geteilt hätte, daß Jesus einzig und allein auf Grund eines Urteilspruches des Pilatus durch römische Soldaten gekreuzigt wurde. Wohl aber konnte Paulus so schreiben, wenn er mit dem ältesten Evangelisten der Auffassung war, daß zuerst die Juden selbst ein Todesurteil über Jesus gefällt und dann von Pilatus seine Verurteilung und Hinrichtung nach römischem Recht erzwungen haben.

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