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Digital In Arbeit

Eine sehr einfache, komplizierte Sache

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Mein Bub ist von einem dreimonatigen Landaufenthalt wieder zurückgekommen. Er sieht blühend aus, hat kräftig zugenommen und ist auch ein Stück gewachsen. Alles sehr erfreuliche Dinge.

Da er aber nicht auf längeren Vorrat essen konnte und, kaum daheim, schon wieder Hunger hat (Luxus, den der kleine Kerl sich leistet), sind wir gezwungen, uns für ihn die ihm zustehenden Lebensmittelkarten zu holen.

Das ist auch nur eine Kleinigkeit: man geht auf die zuständige Kartenstelle und holt sie sich.

Weil meine Frau stark beschäftigt ist, ich aber heute Zeit habe, erbiete ich mich, die Lebensmittelkarten für den Buben zu holen. Solche Kleinigkeiten erledige ich im Handumdrehen. Ich verspreche meiner Frau, daß ich in längstens einer halben Stunde wieder zurück bin.

Und ziehe los.

Die Kartenstelle habe ich in kaum zehn Minuten erreicht. Glück muß der Mensch auch noch haben, es sind keine Leute da, ich brauche mich nicht anzustellen.

.Bitte, ich möchte meinen Jungen, der gestern von einem Landaufenthalt zurückgekommen ist, wieder anmelden und mir die Lebensmittelkarten für ihn holen.“

Die Beamtin nickt mir freundlich zu und sagt ihrerseits: „Bitte um die Abmeldebestätigung.“

„Abmeldebestätigung? — Habe ich keine!“

„Müssen Sie haben!“

„Haben wir trotzdem nicht. — Wie er fort ist, hat die Hausbesorgerin die Karten mitgenommen und hier abgegeben.“

„Bitte, einen Augenblick, da muß ich in der Kartothek nachseh :n.“

Die Beamtin geht und sieht in der Kartothek nach. Es vergeht eine kleine Weile, dann erscheint sie wieder. „Stimmt“, sagt sie, „die Karten sind zurückgebracht worden. Aber die Hausbesorgerin hätte sich müssen eine — Abmeldebestätigung geben lassen. Ich kann Ihnen nicht helfen, aber weil Sie diese Abmeldung nicht haben, müssen Sie in das Zentralernährungsamt und sich dort eine — Abrechnung geben lassen.“

Also schön. Na ja, wenn das so ist, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als eben in das Zentralernährungsamt zu gehen.

Es ist noch nicht spät am Vormittag, ich habe noch eine Menge Zeit, also benütze ich die Straßenbahn. Fahre bis zum Ring, gehe die paar Schritte bis zur Strauchgasse, erreiche das Zentralernährungsamt, frage mich von Schalter zu Schalter weiter und bin in kürzester Zeit beim richtigen. Brauche mich wieder nicht anzustellen.

Ich bringe mein Anliegen vor.

„Ja“, sagt der Beamte, „die Abrechnung für Ihren Jungen können Sie ohne weiteres haben, nur — geben Sie mir eine Bestätigung, daß er auch wirklich zurückgekommen ist.“

„Bitte, hier habe ich die Anmeldebestätigung von der Hausfrau.“

„Tut mir leid, aber — das ist nicht amtlich.“

„Tja, wo soll ich da was Amtliches hernehmen?“

„Das ist doch ganz einfach. Sie gehen auf das Jugendamt der Stadt Wien in der Rathausstraße, suchen das zuständige Referat auf und lassen sich dort diese Bestätigung ausfertigen,“

Na ja, wenn es durchaus nicht anders geht . . .

Ich finde das Jugendamt und finde auch das zuständige Referat. Man ist so höflich, wie ich es gar nicht gewohnt bin und hän-'digt mir die Bestätigung darüber, daß mein Bub gestern vom Landaufenthalt zurückgekommen ist, geradezu mit Vergnügen aus. Eine ganze Reihe von Frauen hat sich mittlerweile eingefunden, die auch so eine Bestätigung verlangen.

Nun zurück auf das Zentralernährungsamt. Jetzt stehen schon zehn oder zwölf Leute vor-mir. Es dauert eine halbe Stunde, bis ich drankomme.

Der Beamte schaut die Bestätigung des Jugendamtes an, nickt zustimmend mit dem Kopfe und sagt. „Ja, die ist richtig. Jetzt gehen Sie auf Ihre Kartenstelle und lassen sich von dort eine Abmeldebestätigung ausstellen, mit der kommen Sie dann wieder zu mir.“

Ich schaue möglicherweise ein wenig dumm drein, denn der Beamte fragt mich, ob ich verstanden hätte. Ich sage, daß ich wohl verstanden hätte, aber der Meinung wäre, ich würde jetzt gleich die von der Kartenstelle gewünschte Abrechnung von ihm erhalten.

Das ginge nicht, werde ich belehrt, dazu sei die Abmeldebestätigung notwendig.

Da kannst nix machen . ..

Ich fahre also wieder auf die Kartenstelle. Muß mich auch da schon anstellen. Wie ich daran hin, daranzukommen, behauptet eine Frau plötzlich, ich sei nach ihr gekommen, also komme sie vor mir, und weil ich nicht streiten will, lasse ich sie noch vor. Die Frau braucht eine Ewigkeit. Sie will, soviel ich verstehe, eine Seifenkarte für jemanden, der vor drei Monaten bei ihr war, dann weggezogen ist und sich jetzt neuerlich in ihrem Haushalt eingefunden hat.

Gott sei Dank, die Frau hat ihre Seifenkarte. Nun bin ich an dir Reihe.

„Am Zentralernährungsamt haben sie mir gesagt, ich muß von Ihnen eine Abmeldebestätigung bringen, erst dann kann ich die von Ihnen gewünschte Abrechnung erhalten“, verkünde ich.

Die Beamtin schüttelt den Kopf: „Eigentlich ist das nicht notwendig, so viel ich weiß, aber — ich will Ihnen keine Schwierigkeiten machen.“

Es ist erfreulich, wie gutmütig die Menschen geworden sind. Besonders neu ist et mir, daß man auf den Ämtern trachtet, den Kunden alles so leicht als möglich zu machen.

Auf Grund der Kartothek schreibt mir die Beamtin die gewünschte Abmeldebestätigung heraus. Und ich rutsche wiec! :r los. •

Ein Blick auf die Uhr überzeugt mi ;h davon, daß es mittlerweile ziemlich spät geworden ist, und-da ich also mit der Zeit schon knapp bin, benütze ich nicht mehr die Straßenbahn, sondern iaufe zu Fuß in die Strauchgasse.

Diesmal sind es schon mindestens zwanzig Leute, die vor mir stehen. Endlich komme ich aber doch dran. Ich lege die Abmeldebestätigung der Kartenstelle und Ankunftsbestätigung des Jugendamtes vor.

Der Beamte prüft beides genau, überlegt eine Weile, dann wendet er sich mir zu und fragt: „Sagen Sie einmal, wenn Sie die Ankunftsbestätigung für Ihr Kind uid auch die Abmeldebestätigung haben, wc tu brauchen sie dann eigentlich von uns her eine Abrechnung?“

Ich muß ihm bescheiden gestehen, daß ich das auch n'ht weiß.

„Also“, und die Stimme des Beamten ist nun sehr energisch, „eine Abrechnung ist vollkommen überflüssig. Gehen Sie auf Ihre Kartenstelle und sagen Sie dort, daß wir Ihnen gesagt haben, Sie brauchten auf Grund der Anme'debestatifrung durch das Jugendamt und der von der Kartenstelle ausgestellten Abmeldebestätigung . keine Abrechnungsbestätigung mehr. Haben Sie verstanden?“

„Nein!“ antworte ich schlicht und wahrheitsgemäß.

„Also, dann hören Sie zu, ich will es Ihnen noch einmal wiederholen — —

„Nein, lassen Sie'“ sage ich schnell. ,'Jch habe verstanden. Es ist mir nur einen Augenblick lang so vorgekommen, als hätte ich nicht verstanden“ Und ich schau dazu, daß ich so schnell als möglich wegkomme.

So, und nun heißt es rennen, seist sperrt mir die Kartenstelle die Türe vor der Nase zu. Ich überhole juf der Maria-hilfer Straße drei Straßenbahnen und ein Gefährt, das möglicherweise ein Autobus sein könnte und komme w;rklich noch vor Torschluß in die Kartcnstelle.

Ich bin der letzte Gast

Und sage meinen Spruch auf' „Auf dem Zentralernährungsamt haben Sie mir gesagt, daß ich auf Grund der Anme1debes-ätigLing durch das Jugendamt und der Abmeldebestätigung von Ihnen keine Abrechnur ;s-bestätigung mehr brauche und Sie mir die Lebensmittelkarten ausfolgen können.

Die Beamtin nimmt mir mehr- Formultre ab, schaut sie an, legt sie auf den Schreibtisch hin, sieht in der Kartei nach, kommt zurück und sagt: Nein, Abrechnuns-bestätigung brauchen Sie jetzt keine mehr. Einen Augenblick

Sie geht wieder weg kommt neuerlich zurück, trägt auf einem großen grünen Blatt etwas ein, ich muß auf einem n-ch größeren weißen Blatt unterschreiben und de.nn erhalte ich die Lebensmittelkarten für meinen kleinen Herrn Sohn.

Als ich die Karten in der Fland habe, gestatte ich mir die Frage' „Sagen Sie, wenn ich mir allein vom Jugendamt die Anmeld--bestätigung geholt hätte, würde das nicht auch genügt haben, denn die Armeld~-bestätigung habe ich ja von Ihnen selbst und die Abrechnungsbestätigung vom Zentralernährungsamt habe ich sowieso nicht gekriegt, was meinen Sie?“

Die Beamtin schaut eine Weile vor s ch hin, man sieht, sie denkt ziemlich angestrengt nach, dann lächelt sie mich freundlich an und sagt: „Natürlich, das wäre auch gegangen. Aber — jetzt ist es ja schon anders auch gegangen , . .“

Ich bin in Gnaden entlassen. Man wa überall sehr freundbeh zu mir. Auch anzustellen brauchte ich mich nirgends besonders lange.

Nach acht Uhr früh bin ich von zu Hause weg. Jetzt ist es ein Uhr durch. Und — ich habe schon alles erledigt.

Es war eine ganz einfache Sache. Bloß — ein wenig kompliziert.

Aber: allzu leicht soll es der Mensch auf der Welt gar nicht haben, sonst würde er übermütig.

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