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Digital In Arbeit

Eine teure und gefährliche Suche

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Dem wiener juristen Manfred Nowak wurde von der UNO die Aufgabe übertragen, in Ex-Jugoslawien nach Verschwundenen zu suchen. Die Arbeit beginnt.

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Dem wiener juristen Manfred Nowak wurde von der UNO die Aufgabe übertragen, in Ex-Jugoslawien nach Verschwundenen zu suchen. Die Arbeit beginnt.

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DIEFURCHE: Bei meiner letzten Reise durch Bosnien-Herzegowina, zu Ostern, trafen wir in Westbosnien, in Orasac, zurückkehrende moslemische Flüchtlinge, die uns Skeletteile, Schädel, zeigten, wahrscheinlich getötete Verwandte, die sie in ihren zerstörten Dörfern eben erst gefunden hatten Welche konkreten Schritte müssen diese Menschen unternehmen' manfred nowak: Primär sind die nationalen Behörden zuständig, im konkreten Fall also die bosnischen Behörden in Bihac. De facto untersuchen die nationalen Behörden aber nur, wenn sie glauben, daß es sich um Tote ihrer eigenen Nationalität handelt. Diese Aufgabe hat die UN-Menschenrechtskommission in der letzten Resolution ganz klar mir übertragen. Ich war vergangenen Winter dort und die Gräber werden in Kooperation mit dem Tribunal in Den Haag, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz - das IKRK öffnet keine Gräber selbständig - und dem Hochkommissar Carl Bildt professionell geöffnet. Letztlich bin ich aber allein zuständig, wenn die nationalen Regierungen nichts unternehmen.

DIEFURCHE: Die Angehörigen der Toten aus Orasac wenden sich also an die zuständigen bosnischen Stellen Angenommen, die können oder wollen nichts unternehmen, was dann? nowak: Die Leute können sich an unsere Büros in Sarajewo, Mostar, Tuzla oder Banja Luka wenden, die „UN Center of Human Rights field Offices” . Natürlich auch an das IKRK oder an den sogenannten „focal point”, das ist faktisch das Sekretariat der „Expertengruppe für Exhumierungen und Verschwundene”. Die geben das sofort an alle zuständigen Stellen weiter. An vielen Orten werden Massengräber vermutet. Es gibt Funde von Leichenteilen und ähnlichem. Das Untersuchungsteam des Tribunals von Den Haag macht sogenannte „trenching Operations”. Das bedeutet Erstuntersuchung. Ein Gerät, eine Art Sonde, wird in den Boden gebohrt, meist genügt der schreckliche Leichengeruch, um das Grab zu lokalisieren. Die Gräber werden eingezäunt und - besonders wichtig - die IFOR gebeten, ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, damit nicht unautorisierte Personen zu graben beginnen. Das sind oft Angehörige oder auch Journalisten, die dabei Beweise für das Tribunal kaputtmachen beziehungsweise die Identifikation bei der späteren professionellen Öffnung durch Experten unmöglich machen.

DIEFURCHE: Ein Foto ging durch die Presse: General Ratko Mladic, A rmee-chef der Republika Srpska beim Begräbnis von General Djukic in Belgrad — keiner hat ihn festgenommen... nowak: Das ist eine klare Verletzung der Resolution des UN-Sicherheitsrates und des Dayton-Abkommens. Auch Kroaten liefern Angeklagte nicht aus. Hier kommt die Politik ins Spiel. Aber der internationale Druck nimmt zu: Finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau wird gestoppt. Das Ministerkomitee des Europarates hat die Aufnahme Kroatiens verschoben. Eine der Bedingungen für die Aufnahme ist - es geht unter anderem auch um die Herstellung demokratischer Verhältnisse - die Auslieferung angeklagter Kriegsverbrecher.

DIEFURCHE: Es hieß, wenn der Boden aufgetaut ist, beginnt die Öffnung der Gräber - jetzt ist Juni... nowak: Weder das Tibunal noch ich haben mit der Arbeit begonnen. Sicher ist, daß das Tribunal in wenigen Wochen, in diesem Sommer, beginnt. Ich arbeite natürlich eng mit dem Tribunal zusammen, schon aus Kostengründen. Aber im Gegensatz zu mir identifiziert das Tribunal nicht alle Toten, ihm genügt es festzustellen, wie die Leute getötet worden sind. Für mein Mandat ist es notwendig, daß ich auf der Suche nach den Verschwundenen alle Toten identifizieren lasse. In Srebrenica gibt es zum Beispiel an die 8.000 Verschwundene. Wir wissen nicht, wieviele Gräber es gibt, wieviele Überlebende sich durchschlagen konnten. Ich brauche für alle möglichst genaue Hinweise, sogenannte „ante mortem datas”, aufgrund derer wir die Toten identifizieren können. Das ist ein großer Aufwand, auch finanziell.Wir brauchen forensische Expertenteams. Das bedeutet sehr hohe Personal- und Sachkosten: Labors, LKWs, Bagger... Wir haben einen von der UNO eingerichteten Fonds und sobald genügend Geld eingezahlt ist, kann ich mit der Arbeit beginnen. Für ein Jahr kostet die Erstellung der „ante mortem datas” für 8.000 Personen plus Exhumierung, Identifizierung und Wiederbestattung von den ersten 1.000 Personen etwas mehr als sechs Millionen Dollar. Eine sehr schlimme Sache ist die Verminung der Massengräber. Wir können den forensischen Expertenteams kein Risiko zumuten -und die Entminung ist enorm teuer.

DIEFURCHE: In Bosnien hört man immer wieder, daß die Toten in den Massengräbern im Kampf gefallene Soldaten und Zivilisten sind, also keine Massakrierten, Verschleppten, Gefolterten nowak: Wir müssen unterscheiden: Kriegsvermißte bei bewaffneten Konflikten zu suchen, ist nach der Genfer Konvention Aufgabe des IKRK. Der deutsche Ausdruck „Verschwundene” bezieht sich eher auf das Menschenrechtsproblem des „Verschwindenlassens” in Diktaturen ohne Kriegszustand.

DIEFURCHE: Im ehemaligen Jugoslawien gibt es sowohl Kriegsvermißte im bewaffneten Konflikt als auch Verschwundene. nowak: Das Problem ist, daß beide Phänomene zusammenkommen und die UN-Arbeitsgruppe da nichts machen kann. Meine Recherchen haben ergeben, daß der Großteil der Personen eben nicht Opfer bewaffneter Konflikte ist, sondern ganz bewußt nach den Kampfhandlungen aus den Häusern geholt und verschleppt worden ist. Das war häufig nicht das Militär selbst, sondern das waren paramilitärische Einheiten, wie die Leute von Arkan oder Seselj auf serbischer Seite, die gefoltert, vergewaltigt und ermordet haben. Nie wird von einer Behörde zugegeben, daß Leute verschleppt wurden. Das Spital in Vukovar ist im klassischen Sinn Beispiel für schwere Kriegsverbrechen. Die Verschwundenen - Verwundete und auch Personal - sind von der Serbenarmee herausgeholt und vor den Augen des IKRK und der EU-Reobachter abtransportiert worden. Das war im November 1991, seither sind sie verschwunden. Die Koaten haben alle „ante mortem datas” der Opfer. Es ist keine Vorarbeit der UNO nötig, die Autopsien können in Zusammenarbeit mit uns in kroatischen Spitälern durchgeführt werden, sobald es die komplizierte Situation in Ostslawonien erlaubt, die Ovcara-Gräber zu öffnen. Eine ganz andere Frage ist die der serbischen Verschwundenen nach der Krajina-Rückeroberung durch die kroatische Armee. Hier ist die Zusammenarbeit mit den Kroaten viel schlechter. Weil die Serben geflüchtet sind, bekomme ich erst langsam Informationen herein, aber auch bei den Kroaten muß mehr Druck ausgeübt werden, damit Gräber geöffnet werden können, in denen Serben vermutet werden.

DIEFURCHE: Wie schaut die Zusammenarbeit mit Belgrad aus? nowak: Die wichtigen Informationen liegen beim serbischen Geheimdienst und bei der Armee in Belgrad. Weder ich noch die Kroaten oder Moslems bekommen Informationen, trotz vieler bilateraler Missionen - sogar auf Ministerebene. Auch nach Dayton kommen wir nicht weiter.

DIEFURCHE: Gibt es Hoffnung für die Angehörigen der Verschwundenen' nowak: Wieviel der zirka 30.000 Verschwundenen noch leben, kann niemand sagen. Erst kürzlich habe ich einen angeblich aus einem Geheimlager geschmuggelten Brief bekommen. Verschwundene tauchen aber kaum mehr auf. Aber sollen wir den Müttern und Frauen alle Hoffnung nehmen?

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