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Eine unverhüllte Erpressung

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Pawel Michailowitsch Litwinow, Enkel des Altbolschewiken Maxim Litwinow, der von 1930 bis 1938 Außenminister und von 1941 bis 1943 Botschafter der UdSSR in Washington war, verfaßte nach den Schriftstellerprozessen ein Weißbuch über die Behandlung all jener, die gegen die Verurteilung der Schriftsteller Daniel und Sinjawski protestiert hatten. Die Geheimpolizei erfuhr von diesen Vorhaben des Prominentensprosses und bestellte ihn im September 1967 auf die Lubjanka, wo ihn der Beamte Gostew einem Verhör unterzog. Unmittelbar danach machte Litwinow die Niederschrift des Verhörs und schickte sie an die Redaktion mehrerer westlicher KP-Zeitungen, die sie erst jetzt weitergaben.Sie sind ein Dokument des oppositionellen Rußland, ein Dokument des Mutes und der Ungebrochenheit einer neuen Intelligenz.

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Pawel Michailowitsch Litwinow, Enkel des Altbolschewiken Maxim Litwinow, der von 1930 bis 1938 Außenminister und von 1941 bis 1943 Botschafter der UdSSR in Washington war, verfaßte nach den Schriftstellerprozessen ein Weißbuch über die Behandlung all jener, die gegen die Verurteilung der Schriftsteller Daniel und Sinjawski protestiert hatten. Die Geheimpolizei erfuhr von diesen Vorhaben des Prominentensprosses und bestellte ihn im September 1967 auf die Lubjanka, wo ihn der Beamte Gostew einem Verhör unterzog. Unmittelbar danach machte Litwinow die Niederschrift des Verhörs und schickte sie an die Redaktion mehrerer westlicher KP-Zeitungen, die sie erst jetzt weitergaben.Sie sind ein Dokument des oppositionellen Rußland, ein Dokument des Mutes und der Ungebrochenheit einer neuen Intelligenz.

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„Ich halte es für meine Pflicht, der Öffentlichkeit folgendes zur Kenntnis zu bringen: Am 26. September 1967 wurde ich aufgefordert, in das Komitee für Staatssicherheit zum Mitarbeiter des Komitees Gostew zu kommen (Dsershinskij-Platz 2, Zimmer 537). Unserer Unterredung wohnte ein weiterer Mitarbeiter des KGB bei, der sich jedoch nicht vorstellte.

Ich verbürge mich für die richtige Wiedergabe dessen, was von dem Vertreter des KGB und von mir im wesentlichen gesagt wurde. GOSTEW: Pawel Michailowitsch, uns ist bekannt, daß Sie zusammen mit einer Gruppe von Personen einen Bericht über den jüngsten Strafprozeß gegen Bukowskij und andere verfassen und verbreiten wollen. Wir warrnen Sie davor, das zu tun, andernfalls wird man Sie zur Verantwortung ziehen. ICH: Abgesehen davon, ob ich das nun vorhabe oder nicht, ist mir unverständlich, worin die Strafbarkeit einer derartigen Handlungsweise besteht.

GOSTEW: Darüber wird in Ihrer Gerichtsverhandlung befunden werden. Wir wollen Sie lediglich darauf aufmerksam machen, daß Sie dafür verantwortlich gemacht werden, wenn ein derartiger Bericht in Moskau oder in anderen Städten verbreitet werden sollte oder gar ins Ausland gelangt.

ICH: Ich kenne die Gesetze gut und kann mir nicht vorstellen, welches Gesetz durch die Zusammenstellung eines solchen Dokuments verletzt werden könnte.

GOSTEW: Es gibt dafür einen Paragraphen, einhundertneunzig, Absatz eins. Lesen Sie im Strafgesetzbuch nach.

ICH: Mir ist dieser Paragraph sehr gut bekannt (Untersuchungen auf Grund dieses Paragraphen fallen übrigens nicht in die Zuständigkeit des KGB), und ich kann ihn aus dem Gedächtnis zitieren. Er bezieht sich auf verleumderische Erfindungen, die die gesellschaftliche und staatliche Ordnung der Sowjetunion verunglimpfen. Um was für eine Verleumdung kann es sich aber bei der Aufzeichnung eines Prozesses vor einem sowjetischen Gericht handeln?

GOSTEW: Ihre Aufzeichnung wird tendenziös die Tatsache verdrehen und die Prozeßführung verleumden. Den Nachweis werden die dafür zuständigen Organe erbringen.

ICH: Woher wollen Sie das im voraus wissen? Und überhaupt, anstatt dieses sinnlose Gespräch zu führen und einen neuen Fall zu schaffen, sollten Sie lieber selbst das Stenogramm dieser Gerichtsverhandlung veröffentlichen und damit die in Moskau kursierenden Gerüchte unterbinden. Ich traf gestern ~'ne

Verhört und erpreßt: Litwinow Bekannte, die mir so viel dummes Zeug über diesen Prozeß erzählte, daß es einfach widerlich war, zuhören zu müssen.

GOSTEW: Warum sollen wir es veröffentlichen? Es handelt sich um eine ganz gewöhnliche Strafsache, nämlich um Störung der öffentlichen Ordnung.

ICH: Wenn das so ist, dann hätten Sie um so mehr Grund zur Veröffentlichung, damit sich jedermann davon überzeugen kann, daß es sich tatsächlich um einen gewöhnlichen Fall handelt.

GOSTEW: Alle Informationen übe“ diesen Fall stehen in der ,Wetscher-naja Moskwa' vom 4. September. Darin steht alles, was man über diesen Prozeß wissen muß. ICH: Erstens sind diese Informationen dürftig. Der Leser, der von dem Fall bislang nichts gehört hat, versteht einfach nicht, worum es geht. Zweitens sind sie erlogen und verleumderisch. Den Redakteur der ,Wetschernaja Moskwa' oder denjenigen, der ihm diese Informationen gab, sollte man wegen Verleumdung zur Verantwortung ziehen...

GOSTEW: Pawel Michailowitsch, diese Informationen sind völlig korrekt. Merken Sie sich das.

ICH: Dort heißt es, daß Bukowskij sich schuldig bekannt hat. Ich habe mich mit diesem Fall befaßt und weiß genau, daß er sich nicht schuldig bekannte.

GOSTEW: Was heißt das schon — bekannte oder bekannte nicht? Das Gericht erklärte ihn für schuldig, aiso ist er schuldig.

ICH: Ich spreche jetzt nicht von der Entscheidung des Gerichts, und auch im Bericht geht es nicht darum, sondern um das eigene Schuldbekenntnis des Angeklagten. Das ist ein völlig selbständiger juristischer Begriff.

GOSTEW: Pawel Michailowitsch, merken Sie sich: in der .Wetscher-naja Moskwa' steht alles drin, was die sowjetischen Menschen über diesen Fall wissen müssen, und es entspricht völlig der Wahrheit. Sie aber warnen wir: wenn irgend jemand, ob nun Sie, Ihre Freunde oder irgendein beliebiger anderer, diesen Bericht verfassen sollte, so werden docl. Sie dafür zur Verantwortung gezogen werden.

ICH: Das ist interessant. Sie sprechen von der Verantwortung vor dem Gesetz, aber das Gesetz sieht vor, daß immer nur der Täter für seine Handlungen verantwortlich ist.

GOSTEW: Sie können es aber verhindern.

ICH: Sie haben mir immer noch nicht erklärt, worin Gefährlichkeit und Strafwürdigkeit dieser Handlungen liegen.

GOSTEW: Sie wissen sehr gut, daß ein solcher Bericht von unseren ideologischen Feinden ausgenutzt werden könnte, besonders am Vorabend des 50jährigen Jubiläums der Sowjetmacht.

ICH: Ich kenne aber kein Gesetz, nach dem jemand zur Verantwortung gezogen werden kann, nur weil er ein nicht geheimes Dokument verbreitet hat, das von irgend jemandem zu irgendwelchen Zwek-ken genutzt werden könnte. Zahlreiche kritische Berichte aus sowjetischen Zeitungen könnten von irgend jemandem ebenfalls ausgenutzt werden.

GOSTEW: Sie verstehen schon, worum es geht. Wir haben Sie nur zu warnen. Ihre Schuld wird das Gericht beweisen.

ICH: Gewiß. Ich zweifle nicht daran: Das ist allein schon durch den Prozeß gegen Bukowskij klar geworden. Und mein Freund Alexander Ginsburg sitzt wegen ebensolcher Handlungen, vor denen Sie mich gewarnt ' haben, bereits im Gefängnis. GOSTEW: Wenn Ginsburg vor Ge.% . rieht kommt, werden Sie erfahren, was er getan hat. Wenn er unschuldig ist, wird er freigesprochen werden. Sie glauben doch nicht, daß jetzt im fünfzigsten Jahr der Sowjetmacht ein sowjetisches Gericht eine unrichtige Entscheidung fällen kann?

ICH: Warum ist dann gegen Bukowskij geheim verhandelt worden? GOSTEW: Die Verhandlung war öffentlich.

ICH: Aber es war unmöglich, in den Gerichtssaal zu gelangen. GOSTEW: Wer hineinkommen mußte, kam auch hinein. Die Vertreter der Öffentlichkeit waren anwesend, und mehr Plätze gab es nicht im Saal. Wir waren nicht bereit, deswegen die Verhandlung zu vertagen.

ICH: Das heißt also, daß die Bestimmung über die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen verletzt wurde.

GOSTEW: Pawel Michailowitsch, . wir haben nicht die Absicht, mit Ihnen zu diskutieren. Wir warnen Sie nur. Stellen Sie sich vor, die ganze Welt würde erfahren, daß der Enkel des großen Diplomaten Lit-winow derartige Dinge treibt — das wäre ein Fleck auf seinem Andenken.

ICH: Nun, ich glaube, daß er mir nichts übelnehmen würde. Kann ich gehen?

GOSTEW: Bitte. Das beste für Sie wäre jetzt, nach Hause zu fahren und alles zu vernichten, was Sie haben.

Ich weiß, daß ein ähnliches Gespräch auch mit Alexander Ginsburg zwei Monate vor seiner Verhaftung geführt wurde. Ich protestiere gegen solche Praktiken der Stactssicher-heitsorgane, die eine unverhüllte Erpressung darstellen. Ich bitte Sie, diesen Brief zu publizieren, damit im Falle meiner Verhaftung die Öffentlichkeit über die vorausgegangenen Begebenheiten unterrichtet ist.

Assistent beim Lehrstuhl für Physik des Moskauer Lomonossow-Instituts für Feine Chemische Technologie

Moskau, K-l, Alexej-Tolstoj-Straße 8/78

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