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Teilung Palästinas: Eine verhängnisvolle Entscheidung

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Der Palästinakonflikt stellt für die UNO eine Gefahr da. Es bleibt nur zu hoffen, dass eine friedliche Lösung gefunden wird.

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Der Palästinakonflikt stellt für die UNO eine Gefahr da. Es bleibt nur zu hoffen, dass eine friedliche Lösung gefunden wird.

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab Großbritannien seine Verantwortung als Mandatsmacht Palästinas ab. Die Zukunft Palästinas lag nun in den Händen der Vereinten Nationen. Deren Generalversammlung, auf die sich dieser Text bezieht, traf am 29. November 1947 eine historische Entscheidung: Sie verabschiedete eine Zwei-Staaten-Lösung, die bis heute nicht existiert und deren Idee noch immer zu heftigen Auseinandersetzungen und Kriegen, wie dem jüngsten Angriff der Hamas auf Israel, führt. (Anm. d. R. 19.10.2023)

Kein glücklicher Stern waltete über der Generalversammlung der „Vereinten Nationen", als sie am 30. November 1947 in Flushing Meadows die Teilung Palästinas zum Beschluß erhob. Leidenschaftlich hatten alle zehn islamitischen Mitgliedsstaaten, vom Nil und Bosporus bis zum Indus, gegen den Plan Protest erhoben. Das neue Dominion Indien hatte sich ihnen angeschlossen. Auch die Philippinen und China standen im Begriff, sich der Opposition zuzugesellen. Die philippinische Delegation wurde in letzter Stunde von Manila aus telephonisch umgelenkt, während China, wie der Labourabgeordnete Price im House of Commons mitteilte, bedeutet wurde, es bringe durch ein ablehnendes Votum die erhoffte Dollaranleihe in Gefahr. Die ganze asiatische Welt verwarf also, wie man wußte, den Plan, dessen Widersinn schon ein Blick auf die inzwischen veröffentlichten Landkarten lehrt.

Vergeblich hatten die arabischen Staaten einen letzten Vermittlungsvorschlag gemacht, das Heilige Land zu einem Föderativstaat nach dem Muster der USA oder der Schweiz umzugestalten, der aus jüdischen und arabischen „Kantonen“ bestehen sollte. Aber die Vollversammlung faßte den Teilungsbeschluß, der die Wirren in Palästina aufs äußerste verschärft und die Institution der Vereinten Nationen selbst in eine schwere Krise gestürzt hat. Der Sprecher der Arabischen Liga, der syrische Delegationsführer Emin Arsl-n, rief der Versammlung nach der Abstimmung zu: „Die Charta der Vereinten Nationen ist tot — ermordet — und Sie kennen die Mörder!"

Die führende Rolle nahmen der bisherigen britischen Mandatsmacht die Vereinigten Staaten aus der Hand. Während sie den Teilungsplan zur Klärung und Festigung der Lage im Mittelmeer betrieben, sah Sowjetrußland darin ein Mittel, die Dinge in Bewegung zu halten. Tatsächlich stammt die wohlorganisierte illegale Einwanderung aus Ländern des Ostblocks. Rußland sah wohl auch voraus, daß die Araber, allen ihren Ankündigungen gemäß, den Teilungsplan vereiteln würden. Dann aber schien die UNO gehalten zu sein, eine internationale Streitmacht zur Durchsetzung des Beschlusses nach Palästina zu entsenden, zu der Rußland ein Kontingent beizustellen willens war. Kam es aber hiezu, so war der Streit mit der Türkei um die Öffnung der Dardanellen müßig —, sowjetische Truppen standen dann kraft eines internationalen Beschlusses am Mittelmeer.

Während in Palästina nach der Entscheidung der UNO sofort der blutige Krieg zwischen Arabern und Juden losbrach, harrte ein fünfköpfiger Untersuchungsausschuß der Vereinten Nationen vergeblich auf die Möglichkeit, in das Land einzureisen und die Übergabe und genaue Abgrenzung der den beiden Streitteilen zugesprochenen Teile vorzubereiten. Die Kommission bestand aus je einem Delegierten von Bolivien, Dänemark, den Philippinen und — Panama unter Vorsitz des Tschechoslowaken Dr. Karel Lisicky. Ihr Leiter hatte bescheiden erklärt: „Niemand könne von fünf einsamen Pilgern, denen nur die Flagge der Vereinten Nationen zur Verfügung stehe, um eine Teilung Palästinas zu erzwingen, Wunder erwarten.“ Inzwischen scheint der Krieg in Palästina eine Art Sport für internationale Abenteurer zu werden. Es liegen Nachrichten vor, daß mehrere hundert Offiziere und Unteroffiziere des ehemaligen deutschen Afrikakorps die militärischen Vorbereitungen der Araber leiten.

Tatsächlich treten auf Seiten der Araber nicht mehr Irreguläre, sondern einheitlich uniformierte, modern ausgerüstete und gutgeführte Einheiten ins Gefecht; die bisherige militärische Überlegenheit der zionistischen Organisationen ist erkennbar verlorengegangen. Tausende gediente Soldaten verschiedenster Nationen sollen sich beworben haben, bei den Arabern mitzukämpfen, unter denen amerikanische Leute vom Gefreiten bis zum Generalleutnant. Die britischen Truppen haben mit dem Abmarsch bereits begonnen, der bis 1. August beendet sein soll. Aber schon zum 15. Mai übergibt England die gesamte Verwaltung des Landes und damit die Verantwortung für alle weiteren Ereignisse der UNO und beschränkt sich von diesem Tage an auf den Schutz seiner Räumungsoperationen.

England erklärt, dem Ausschuß der Vereinten Nationen keinen Schutz gewähren zu können. Für die weitere Zukunft hat die Arabische Liga alle Mitgliedstaaten aufgefordert, sofort nach Abzug der britischen Besatzungsstreitkräfte Truppen nach Palästina zu senden. Der frühere Großmufti, einer der Führer im Streite, konnte erklären, er sei nie so zuversichtlich gewesen, daß die arabische Sache siegen werde, wie jetzt. Es ist ein Hilferuf, wenn die Palästinakommission in einem Bericht an den Sicherheitsrat das sofortige Eingreifen der Vereinten Nationen fordert, um den „drohenden Zusammenbruch von Verwaltung und Sicherheit abzuwenden".

Mit diesem Zusammenbruch müsse bei Beendigung des britischen Mandats (also zum 15. Mai) gerechnet werden. Der Bericht weist darauf hin, daß der Einsatz internationaler Streitkräfte zur Durchsetzung des Teilungsplanes unumgänglich sei, Hier nun teilen sich die Wege Rußlands und Amerikas, die dem Teilungsplan gemeinsam Pate gestanden waren! Amerika kann nicht wünschen, daß russische Formationen an einer solchen internationalen Sicherungstruppe teilnehmen. Das Staatsdepartement hat deshalb zunächst .die Araberfürsten zur Mäßigung gemahnt und vor übereilten Beschlüssen gewarnt. Diese haben mit der Erklärung geantwortet, daß sie keinem Staat, der sich für die Teilung Palästinas einsetze, gestatten würden, Erdölleitungen durch ihre Gebiete zu betreiben oder neue derartige Leitungen anzulegen. Ein Wink, der an die amerikanische Adresse gerichtet ist. Die amerikanischen Zionisten, über die zögernde Haltung des State Departement verärgert, haben bei einer Ersatzwahl in Bronx dem Kandidaten der Partei Wallaces zum Siege über seinen demokratischen Gegenkandidaten verholfen. Trotz dieses peinlichen Zwischenfalls hat vor wenigen Tagen das Staatsdepartement erklärt, internationale Truppen seien nach der Satzung der UNO nur bei Gefährdung des Weltfriedens, nicht aber zur Durchführung von Beschlüssen der UNO einzusetzen.

Gewiß wäre es nun möglich, auf die seinerzeit auch von England und bei der Generalversammlung von der Arabischen Liga vorgeschlagene Lösung zurückzugreifen, Palästina ungeteilt zu lassen und innerhalb seiner Grenzen je ein autonomes jüdisches und arabisches Gebiet zu schaffen. Der mächtige radikale Flügel der palästinensischen Juden, dem selbst die Teilung des Landes nicht genügt, weil er auf das Ganze Anspruch erhebt, will aber, auf den Beschluß vom 30. November gestützt, bis zum äußersten kämpfen. Und vor allem müßte Rußland seine Zustimmung zur Abänderung des Novemberbeschlusses geben

Die Lage hat sieb nun durch eine Reihe von Mißgriffen so ernst gestaltet, daß das britische Außenamt in einem Memorandum zur Palästinafrage die durch den Teilungsbeschluß aufgeworfenen Probleme als Zerreißprobe für die Vereinten Nationen darstellt. „Es wird“, so heißt es in der Denkschrift, „in der nächsten Zeit zu ernsten Spannungen innerhalb der Vereinten Nationen kommen, die weitaus schwerwiegender sein werden, als alle, die die UNO bisher durchmachen mußte.“ Generalsekretär Trygve Lie selbst hat in besorgten Worten auf die Gefahren hingewiesen, die das Palästinaproblem für die Organisation der Vereinten Nationen bedeute.

Man kann nur hoffen, daß sich hier, wie sooft in ernster Stunde, ein "Weg zu friedlicher Lösung" finden werde. Wenn man den Ablauf dieser stürmischen Entwicklung verfolgt, muß man aber mit Bedauern feststellen, daß die Wirklichkeit hinter den Erwartungen, die in die Vereinten Nationen zu setzen waren, zurückgeblieben ist; denn die Maßnahmen, die diese Institution im Palästinastreit getroffen hat, waren weder unparteiisch noch zielsicher noch konstruktiv. Der unter unfreundlichen Grabreden verabschiedete Völkerbund hatte in den 14 Jahren, von seiner Gründung bis zum abessinischen Krieg, eine lange Liste erfolgreich gelöster Spannungen, geschlichteter Konflikte zu verzeichnen, eine Liste, welche die „Vereinten Nationen" noch nicht begonnen haben.

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