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Eine vernachlässigte Front

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Doch diese Tagung zeigte auch, daß der Staat Israel sich in den letzten Jahren hauptsächlich auf die politische und militärische Front konzentriert und dabei leider die wirtschaftliche Front völlig vernachlässigt hatte. Ein Zyniker, der an dieser Tagung teilnahm, erklärte darnach: „Das Markanteste an der Wirtschaft Israels ist — daß es keine gibt.“ Ganz so schlimm ist es trotzdem nicht, denn Israels Wirtschaft führt jährlich Waren dm Werte von zirka 400 Millionen Dollar aus, während sich die Gesamteinfuhr im letzten Jahr auf 1300 Millionen Dollar belief. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Industriemaschinen, industrielle Einrichtungen, neue Schiffe, Rohmaterial und insbesondere um die für die Verteidigung des Staates benötigten Waffen.

Der Sechstagekrieg und die ihm vorangegangene allgemeine Mobilisierung bewiesen, daß trotz des großen Menscheneinsatzes in der Armee die Industrie, vor allem die Exportindustrie, das Produktionsniveau einhalten konnte, und zwar mit Hilfe von Überstunden und Voll-

aller Kräfte arbeiten, doch wenn wir mit anderen Ländern konkurrenzfähig sein wollen, muß die Produktivität um vieles verbessert werden.“

Die Arbeitsbedingungen in Israel gehören mit zu den besten auf der ganzen Welt. Die Arbeitgeber zahlen durchschnittlich 40 Prozent des Arbeitslohnes für soziale Bedingungen» wie 'Pensionskasse, Urlaub usw. Inlvielen Arbeitszweigen sind die Arbeiteverhaltwisse sogar besser als in Skandinavien. Doch diese sozialen Errungenschaften entsprechen nicht dem technologischen Niveau der israelischen Industrie und stellen daher eine schwere Bürde dar.

Die hohen Arbeitslöhne müssen die Produktion selbstverständlich verteuern.

„Strategische“ Industrieplacierungen

Das Fehlen von Rohmaterialien erschwert die Produktion in Israel. Aus Sicherheitsgründen wurden die neugegründeten Industrieanlagen über das ganze Land verteilt. Das Rohmaterial wird meistens per Lastwagen in die oft einige hundert

femungen vom Ankunfts- und Bestimmungshafen dös Fertigprodukt kolossal verteuern. Aber nur auf diese Art konnte man für viele tausende Neueinwanderer, die in der Negevwüste angesiedelt wurden, Arbeit finden. Diese Situation ging oft bis ins Absurde. Neueinwanderer wurden angesiedelt, dann wurde von einer anderen Regierungsstelle eine Fabrik eröffnet, ohne auf das Nichtvorhandensein des nötigen Rohmaterials Rücksicht zu nehmen, so daß zum Beispiel in Kiriath Schimone, im Norden des Landes, eine große Gemüsetrockenanlage errichtet wurde und das Gemüse aus dem Süden des Landes kam. Zu dieser Zeit herrschte nämlich im Lan-dessüden Vollbeschäftigung, im Norden dagegen Arbeitslosigkeit.

Keine Vergleichsmöglichkeit

Doch man kann Israel nicht mit einem europäischen Land vergleichen. Die Bevölkerung wuchs von zirka 700.000 bei Staatsgründung im Jahre 1948 auf ungefähr 2,7 Millionen im Jahre 1967. Zirka eine Milliarde Dollar wurden in Industrieunternehmen, Kupferminen, Elektrizitätsanlagen investiert, eine weitere Milliarde im Transportwesen und eine dritte Milliarde Dollar in den Bau von 630.000 Wohnungen. Israels Ausfuhr setzt sich folgendermaßen zusammen: Zitrusfrüchte (zirka 20 Prozent), Diamanten (geschliffen), pharmazeutische Produkte, Sperrholz, Autoreifen und andere Guimmiwaren, Chemikalien, elektronische Anlagen und Blektro-artikel, Rohölprodukte, Konserven, Maschinenteile und in kleinem Ausmaße Rohmaterialien, wie zum Beispiel Kupferzement und Pottasche. Israels Textilindustrie konnte sich

einsatz aller verfügbaren Arbeitskräfte. Finanzminister Zwi Dinstein erklärte dieser Tage dem Schreiber dieser Zeilen: „Der Krieg hat bewiesen, daß wir selbst bei Vollbeschäftigung in der Industrie eine schleichende Arbeitslosigkeit haben. Bei vollem Einsatz und Arbeitswillen wurde mehr als das Doppelte geleistet. Man kann zwar nicht immer in solch einer Anspannung

Kilometer entfernten Fabriks-aniagen vom Ankunftshafen transportiert. Ähnlich verhält es sich mit den Fertigprodukten, die in die Großstädte und Transporthäfen gebracht werden müssen.

Im Negev, im Süden des Landes, wurden einige große Textilfabriken gegründet, obwohl das nötige Wasser vom Norden des Landes hin-geleältet werden muß und die Ent-

in den letzten Jahren langsam durchsetzen, und einige Modeartikel, wie Badeanzüge, Jerseykleider und Regenmantel sowie Pelze, sind bereits gefragte Artikel auf dem Weltmarkt.

Doch um die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen, muß sich vieles ändern — und vieles kann geändert werden. Die Steuern auf das Rohmaterial sowie auf das Fertigprodukt behindern nach Ansicht der israelischen Industriekapitäne erheblich. Die Regierungskontrolle ist sehr scharf, da die Exportündustrien Suibsidien erhalten. Doch diese Kontrolle ist mit sehr viel Bürokratie verbunden, die indirekt die Produktion verteuert.

Auch in Israel weidet der Amtsschimmel

Der Amtsschimmel ist einer der gefährlichsten Feinde der israelischen Wirtschaft. Man findet ihn überall: Investoren, die eine neue Fabriksanlage errichten wollen, brauchen dazu eine Unzahl von Bewilligungen, und der Leidensweg von Amt zu Amt nimmt vielen die Lust, ihre rosigen Pläne auszuführen. Die Wirtschaftsplanung Israels wird durch die Arbeitslosigkeit, die heute zirka 50.000 volle Arbeitslose und weitere 50.000 teilweise Beschäftigte umfaßt, erschwert. Hierzu kommt noch, daß man mit einer durchschnittlichen Einwanderung von zirka 30.000 Seelen pro Jahr rechnet.

Die Verbesserung der Situation wird durch die „vested interests“ der Gewerkschaften um vieles erschwert. Solange das Prinzip „last in — first out“ herrscht, das heißt, wenn der zuletzt Aufgenommene als erster entlassen wird, kann die Arbeitsmoral nicht verbessert werden. Die Gewerkschaften widersetzen sich auch in den meisten Betrieben der Akkordarbeit. Oft ist es heute so, daß schlechte Arbeiter nicht entlassen werden können, trotzdem bessere zu finden wären. Vielfache Versuche von selten des Industriellenverbandes wurden bisher von den Gewerkschaften schroff abgewiesen. Nur in Ausnahmefällen, wie zum Beispiel der Sechstagekrieg, stellt es sich heraus, daß man viel besser arbeiten kann.

In den neuerrichteten Industriebetrieben ist die Situation in dieser Hinsicht besser, da es keine alteingesessenen Arbeiter gibt und man im allgemeinen von Anfang an mit Akkordarbeit beginnt.

Die militärischen Erfolge Israels konnten die Wirtschaftslage nicht verbessern. Das Durchschnittseinkommen pro Kopf in Israel belauft sich auf zirka 1000 Dollar pro Jahr. In den momentan von Israel besetzten Gebieten beträgt dieses Durchschnittseinkommen zirka

120 Dollar pro Jahr, so daß von einem Zusammenschluß der beiden Wirtschaften überhaupt nicht die Rede sein kann. In den besetzten Gebieten handelt es sich im allgemeinen um wirtschaftlich unterentwickelte Regionen. Selbst dieser niedrige Lebensstandard konnte nur mit Hilfe von Zuschüssen gehalten werden, yon den zirka eine Million Einwohnern der besetzten Gebiete sind ungefähr 350.000 Flüchtlinge, die meist keine richtige Beschäftigung haben und nur von den UNRWA-Rationen leben.

Die Wirtschaftspolitik der Regierung wurde dieser Tage wie folgt festgesetzt:

• Preisstabilität (Einfrierumg der Löhne, Gehaltsaufbesserungen nur dann, wenn sie mit ansteigender Produktion verbunden sind).

• Verbesserung der Produktivität.

• Verbesserung der Regierungsdienste sowie Vereinfachung der Bürokratie.

• Aufmunterung der Investition in Industrie und Landwirtschaft durch großzügige Regierungsanleihen sowie verschiedene Erleichterungen.

Fehlinvestitionen

Ein Teil der Schwierigkeiten in Israels Wirtschaft ist auf Fehlinvestitionen zurückzuführen, zum Beispiel wurde das israelische Flaggschiff „Schalom“ gegen den Rat von Wirtschaftsexperten auf Drängen des damaligen Mlnisteirpräsidenten Ben Gurion hin gekauft. Den Schifffahrtsexperten war es Mar, daß dieses Schiff halbleer den Ozean überqueren wird, da Touristen, die Israel besuchen, im allgemeinen das Flugzeug dem Schiff vorziehen. Auch war die Kalkulation a priori eine zu teure, so daß man von Anfang an mit Verlusten rechnen mußte. Ein Disput mit der religiös-nationalen Partei, die darauf bestand und es durchsetzte, daß nur koscheres Essen geliefert wird (nach jüdttsöh-ribualen Speisegesetzen), führte dazu, daß viele verwöhnte Amerikaner lieber ihr gewohntes Essen auf einem anderen Dampfer verzehrten. Notgedrungenerweise wurde die „Schalom“ nach großen Verlusten an eine deutsche Schiffahrtsgesellschaft verkauft.

Man hat bis nun genug bittere Erfahrungen mit solchen Prestige-mvestitionen gesammelt und hat daraus gelernt.

Israel wird sich nun mit aller Energie der dritten, der Wirtschaftsfront, widmen müssen. Man will vor

allem jene Industrien entwickeln, die viel „know-how“ und wenig Rohmaterialien brauchen. Japan und die Schweiz sind die beiden wirtschaftlichen Vorbilder Israels. Inwieweit diese Vorbilder nachgeahmt werden können, wird die Zukunft

erweisen. Die Ansätze dazu sind bereits da. Denn trotz allem ist im Vergleich mit den Nachbarstaaten die Entwicklung Israels eine immense, und der Unterschied zwischen Israel und den besetzten Gebieten ist wie Tag und Nacht.

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