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Einladung in den Untergrund

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„Es besteht kein Zweifel, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gegen die KPD in der deutschen Oeffentlichkeit nicht das Gefühl ausgelöst hat, von einem Druck und einer Gefahr befreit zu sein. Diese Stimmung läßt die Frage stellen, ob Verfahren und Urteil nötig, klug und zweckmäßig waren.“ Mit diesen Worten eröffnet die christlich-konservative Wochenschrift „Christ und Welt“, Stuttgart, einen Aufsatz über „Recht und Zweckmäßigkeit“ des Verbotes der KPD in Westdeutschland.

Im Pressedienst der westdeutschen Sozialdemokraten nennt der führende SPD-Abgeordnete Dr. Arndt das KPD-Verbot eine „Eselei mit ganz langen Ohren“ und die der CDU/CSU nahestehende Zeitung „Münchner Merkur“ veröffentlicht unter dickem Balkentitel „Das Verbot der KPD ist politisch unklug“ eine Leserzuschrift: „Mir scheint das auf Antrag der Bundesregierung erfolgte Verbot der KPD unverständlich und höchst bedenklich zu sein. Man hat kaum erst mit Moskau diplomatische Beziehungen aufgenommen und möchte dessen entscheidende Zustimmung zur freien Wiedervereinigung und stößt den kaum etwas umgänglicher gewordenen Verhandlungspartner durch diese, gelinde gesagt, grobe Unfreundlichkeit, vor den Kopf! Prompt bekommen wir von den offiziellen Vertretern der ,Zone' zu hören: die Wiedervereinigung ist damit verbaut! Statt ihrer lebt die Hetze gegen Adenauer und die Bundesrepublik wieder auf. Nichtsdestoweniger sieht Bundesminister Dr. Schröder in dem Verbot und dessen reibungslosen Vollzug eine Bereinigung der Atmosphäre für Verhandlungen mit Moskau! Das geht doch wohl gegen die einfachsten Gesetze der Logik und Psychologie.“

Was geht uns Oesterreicher diese innenpolitische westdeutsche Angelegenheit an? Haben wir, die wir um unsere eigene Freiheit ringen müssen, wollen wir sie nicht verlieren, vielleicht die Verteidiger der westdeutschen Kommunisten zu sein?

Die zweifache Frage erlaubt eine einfache Antwort: jede Schwächung der Demokratie im freiheitlichen Europa, und zumal in unserem größten Nachbarn, Deutschland, droht auch unsere Position zu schwächen; das Verbot der KPD in Westdeutschland ist eine Schwächung der jungen deutschen Demokratie, weil s i e dem einzelnen, dem Staatsbürger, und den demokratischen Parteien, die tägliche notwendige Auseinandersetzung mit den Totalitären „abniram t“, und sie den Gerichten, der staatlichen Verwaltung, der Polizei und Geheimpolizei „anvertrau t“. Nach der Abschiebung der Rechtsradikalen in den Untergrund, zuletzt durch das Verbot der Sozialistischen Reichspartei, wird nunmehr, gesetzlich-rechtlich, ein zweiter Untergrund geschaffen: uneinsehbar für die Oeffentlichkeit.

Eine Demokratie kann aber nur dann wachsen und sich gesund entwickeln, wenn die notwendigen Auseinandersetzungen mit ihren großen und gefährlichen Gegnern sich im Licht der Oeffentlichkeit. abspielen und von allen jenen Staatsbürgern mitgetragen werden, die den Mut haben, für die Freiheit zu kämpfen. Wenn der

Kampf gegen die Freiheit dem undurchsichtigen Dschungel der Geheimdienste, der Staatspolizeien, der Denunziationen anvertraut wird, gehtderDemokratiedieLuft aus: der scharfe Wind der Freiheit, in dem allein eine neue Elite heranwachsen und sich im Kampfe für eine freiheitliche demokratische Lebensordnung bilden und bewähren kann, wird ersetzt durch das muffige Dunkel, in dem Häscher und Gehaschte sich treffen (nicht ganz selten zu seltsamem Zusammenarbeiten).

Erläutern wir die nunmehr in Westdeutsch- land neu geschaffenen Schwierigkeiten an einer österreichischen Schwierigkeit vor und nach 1945. Die Ausschaltung der sozialistischen Opposition 1934 hat den damals um seine Existenz kämpfenden Staat gelähmt, da weite Teile der Bevölkerung nicht mehr bereit waren, für ihn zu kämpfen. Die mit reichlich problematischen Mitteln durchgeführte Entnazifizierung nach 1945 hat bis fast auf den heutigen Tag die notwendige innere, geistige, seelische und politische Auseinandersetzung mit den Männern, Mächten und Ideen der „Bewegung“ verhindert, zumindest lahmgelegt: mit eingesperrten, verhafteten, gerichtlich abgeurteilten und polizeilich belangten Menschen gibt es keine öffentliche und sehr oft auch keine persönliche individuelle Auseinandersetzung, einfach da der Gegner nicht antworten kann, und da die an sich sehr notwendige Polemik gegen die Ideen und das ihnen zugrunde liegende Geistesgut als polizeiliche Denunziation, als unlauterer Kampf um Posten, Geschäfte usw. diskriminiert erscheint. Feinsinnige und hochbegabte, wirklich demokratisch gesinnte Köpfe haben in den Jahren nach 1945 die notwendige geistige Auseinandersetzung mit dem weitverbreiteten nationalsozialistischen Gedankengut unterlassen, da sie, in der unguten Atmosphäre der Zeit, sich hier faktisch mit Menschen hätten auseinandersetzen müssen, die gerichtlich und polizeilich gemaßregelt, damals so tief „in der Tinte saßen“, daß es erstgenannten als unanständig erschien, gegen den Geist von Köpfen zu kämpfen, die hinter Stacheldraht saßen. Heute b e-kommenalle, die für wahre Freiheit sind, den Bumerang zu spüren: da die notwendige geistige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen sehr vielen und sehr vielfältigen Ablegern und Verwandten in den letzten zehn Jahren nicht durchgeführt, oft nicht einmal begonnen wurde, treffen wir heute in allen Parteien und fast allen Interessengruppen Menschen, oft sehr einflußreiche Menschen, die mehr pder minder tief infiziert sind von Gedankengängen aus dem überaus fruchtbaren Hydraschoß des Dritten Reiches.

Alle westdeutschen Kenner der politischen, gesellschaftlichen und geistigen Entwicklung in der Bundesrepublik stimmen in einem überein: breite Schichten der Bevölkerung leben in einem Vakuum, in einem Leerraum und sind in keiner Weise einer politischen Auseinandersetzung gewachsen. An dieser politischen Unbildung sind die Politiker in den Regierungsparteien und der Opoosition mitschuldig. Wenn selbst die bisher hochstehendste politische Auseinandersetzung, um die Frage der Wehrdienstverweigerung und das Gewissen der Christen im Atomkrieg, die in der Bundestagsdebatte in den Reden des CDU-Abgeordneten Peter Nellen und anderer gipfelte, von einem führenden Politiker einer anderen Regierungspartei als „nur ein Geschwafel“ bezeichnet wird, dann darf man dem Mann von der Straße sein Desinteressement nicht ztisehr verargen. Da die politische Unbildung und das Nichtinteresse an der Demokratie und der. Verteidigung der Freiheit auch in studentischen und akademischen Kreisen nahezu ein Höchstmaß erreicht haben, forderte vor kurzem die Kieler Studententschaft — Kiel liegt vor den Toren der ostdeutschen Republik — die Errichtung eines Lehrstuhls für das Studium des dialektischen Materialismus in der richtigen Erkenntnis, daß man einen Gegner, der einen Großteil der Erde beherrscht, kennen muß, um sich mit ihm auseinandersetzen zu können.

Durch das Verbot der KPD wird der westdeutsche Normal-Bundesbürger der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus enthoben („das erledigt die Polizei“, „reibungslos“, wie stolz versichert wird), der zum geistigen Kampf willige Geistesarbeiter wird arg behindert (wo soll er das „staatsfeindliche“ Schrifttum, die verbotene Presse, und die in den Untergrund gehenden Gegner treffen, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen?), nicht wenige andere werden selbst weiter nach links abgedrängt, da ihr Unbehagen an der Geistlosigkeit einer Gesellschaft des Wirtschaftswunders sie von Haus aus beunruhigt (wie es ein westdeutscher evangelischer Theologe ausgedrückt hat: „Es scheint, als habe Gott uns Deutsche mit dem Wirtschaftswunder gestraft“).

Der Kommunismus, der in Westdeutschland eine klarumrissene Erscheinung war, durchaus beachtenswert mit seinen 600.000 Wählern (denen weit mehr Gewicht zukommt, als den fluktuierenden Millionenzahlen der Massen, die sich ' zur Mehrheit sehlagen), aber in keiner Weise eine akute Staatsgelahr, erhält einzigartige Chancen, sich im Untergrund zu verbreiten. Was aber vielleicht “clas Schlimmste ist: im Staatsbürger wird nunmehr ein Gefühl der Angst und Unsicherheit erzeugt, das in Krisenzeiten zur Panik und Verlockung auswachsen kann. Denken wir wieder an Oesterreich 1934—193 8: eine geringe Zahl faktisch ..illegaler“ Nationalsozialisten vermochte eine Mehrheit von Andersdenkenden unter schweren Druck zu setzen, weil man ihre Macht im Dunkeln fürchtete. Wer diese Angst geschickt steuert, und ihre trüben Wasser auf die Mühlen des eigenen Interesses lenkt, kann morgen Herr in Deutschland sein. Sind nicht überall Kommunisten? Sitzen sie nicht hinter jedem Fchlschlag im Aeußeren und Inneren? Stehen sie nicht hinter allem Widerwärtigen? Hinter allen, die einer herrschenden Gruppe momentan inopportun, unangenehm, unpassend erscheinen? Die verantwortungsbewußtesten Presseorgane der westdeutschen Bundesrepublik rufen, von Hamburg bis München: „Keine Hexenjagd!“ „Verbot der KPD, nicht Ausrottung.“ „Verfolgung wäre töricht.“ „Es gilt, zweierlei zu vermeiden: einen deutschen McCarthy und einen deutschen Rbosevelf.“ .'.Die freie Meinungsäußerung darf nicht geschmälert werden.“

Wie sieht bereits heute Westdeutschland — zunächst in amtlicher Erwartung — seinen Untergrund? (Vom rechtsradikalen Untergrund soll hier abgesehen werden, obwohl dieser von Tag zu Tag eine größere und einflußreichere Rolle spielt, wie die Versendungen zahlreicher Broschüren und Bücher unter Schleifband und das öffentliche Neu-erscheinen vieler „Prominenter“ von Gestern in Buch und Person beweist.) Im Bulletin der Bundesregierung weist der Staatssekretär Franz The-dieck auf vier mutmaßliche Schwerpunkte der illegalen Tätigkeit der deutschen Kommunisten hin: die „Aktionsgemeinschaft der Arbeiterklasse“ (Arbeiter werden als Parteilose in Positionen der Betriebe und Gewerkschaften eingeschleust); die „Nationale Einheitsfront“; eine Bewegung für die „wahre Demokrat! e“ und gegen Westdeutschland als einen „militärischen Obrigkeitsstaat“; „die Friedensbewegung“, wie Thedieck sagt, „ohne sichtbaren weltanschaulichen Hintergrund und ohne erkennbare Sowjetpropaganda“.

Wenn sich nun der Staatsbürger heute dafür interessiert, was da im einzelnen alles an ihn redrohenden kommunistischen -Organisationen in Betracht kommt, vor denen und vor deren Ideen er sich hüten soll, steht er, mit dem juridischen Fachmann und innenpolitischen Redakteur der größten westdeutschen Zeitung, der sich da vergewissern wollte, vor einem Dschungel: es ist heute in Bonn nicht in Erfahrung zu bringen, „was denn alles in der Bundesrepublik allgemeinverbindlich heute als kommunistische Tarnorganisation zu gelten habe“. Eine halbamtliche, wie versichert wird, unvollständige Liste vom Stand Mai 1956 umfaßt rund zweihundertsechzig Organisationen; da steht die (aufgelöste) Kominform neben dem „Bund zum Schutz der Kinder“, der „Arbeitsgemeinschaft für Puppenspiel“, der „Lucas-Cranach-Gesell-••hftft“ und der „Gemeinschaft zum Schutz der Weserbrücken“. „Bundesinnenministerium, Bundesamt für Verfassungsschutz und Gesamtdeutsches Ministerium lehnen bislang aus teils mehr, teils minder begreiflichen Gründen eine Herausgabe offizieller Listen ab.“ Ein Teil der bekanntgewordenen Organisationen ist inzwischen'von den Gründern aufgelöst oder befindet sich in Umgliederung. wie überhaupt die Namen der einzelnen Tarnorganisationen und ihre Organisationsform in ständigem Wechsel begriffen sind.

Begreift man, wie groß die Versuchungen der Denunziation (aus geschäftlichen und anderen Rücksichten und Interessen) hier sind? Wie soll sich der Staatsbürger nicht in diesem Dschungel verirren, zumal da eine ganze Reihe von Ideen und Anliegen als „kommunistisch infiltriert“ genannt werden, die aus ganz anderen Gründen und Perspektiven von Gegnern des Kommunismus, die aber auch Gegner von Parolen einzelner herrschender Gruppen sind, vertreten werden, wie etwa die Fragen um die Wiederbewaffnung. Wie sehr gilt da die Mahnung Ernst Müller-Meiningens: ..Soll unser politisches Leben nicht verlogen, öd und :teril werden“, dann müßte hier äußerst behutsam vorgegangen werden. „Was aber die KP-Hydra anlangt, so ist es eine verteufelte Sache, ob Herakles-Schröder die richtigen und nicht die falschen Köpfe trifft.“

Aus der Fülle der Bedenken, die in Westdeutschland selbst angesichts der nunmehr geschaffenen innenpolitischen Situation — einer Opposition, die in der Regierung nichts mitzureden hat, und einem immer größer werdenden Lintergrund — erhoben werden, seien hier nur noch zwei vorgestellt, da sie auch uns Oesterreicher sehr angehen.

Was geschieht, wenn die vielen tausend Halbstarken, die, wie jeden Tag die Zeitungen melden, in Rudeln von 200, 300 und mehr sich der Polizei zum Kampf stellen, sich vom Gangsterideal abwenden und politisch werden? Haben sie vorgestern in Hamburg-Bergedorf das Händel-Archiv verwüstet, so haben gestern bereits 2 000 Jugendliche im Stadtzentrum von Braunschweig randaliert. „Nach Feststellungen der Polizei war das Treffen durch Flüsterpropaganda unter Lehrlingen und Oberschülern vorbereitet worden. Wer die Drahtzieher waren, konnte auch durch die Einvernehmung der Festgenommenen bisher nicht einwandfrei geklärt werden. Allerdings hat die Polizei festgestellt, daß eine ungewöhnlich große Zahl von Jugendlichen aus der Ostzone sich an diesem Tag in Braunschweig aufhielt.“ Was geschieht, wenn ein aktivistisch-,.bewegt er“ Teil der deutschen Jugend die

Einladung in den Untergrund ann i m m t ?

Und, zweitens: was geschieht, wenn an Westdeutschland die Einladung zur Wiedervereinigung herantritt? Denn dann, und das hat die Bundesregierung erklärt, können die Kommunisten sich wieder zur Wahl stellen. — Das angesehenste Schweizer Blatt, die „Neue Zürcher Zeitung“ hat in einem Leitaufsatz als Gründe für das innere Widerstreben mancher Kreise in Westdeutschland gegen dessen heutige Regierung den Umstand genannt, „daß die Bundesrepublik eben de facto nicht der Staat aller Deutschen ist, sondern nur ein provisorischer Teilstaat“. Ist es sinnvoll, diese geschichtliche Tatsache, Provisorium zu sein, noch dadurch zu unterstreichen, daß man alle Mittel von Staat, Polizei und Verwaltung aufbietet, um eine politische Bewegung als illegal zu erklären, die man morgen als legal anzuerkennen bereit ist, und mit deren wirklich großen Exponenten man sich auf sehr lange Zeit auseinandersetzen wird müssen? Droht hier nicht eine große Sache, der Kampf um die Freiheit, erniedrigt zu werden? Einfach, weil man ihn dem Staatsbürger abnimmt und der Polizei und den Beamten anvertraut - bis auf Morgen, wo er, vielleicht durch einen neuen Verwaltungsakt, aufgehoben wird? Das Schwert der Demokratie ist berufen, gegen Personen, Formationen und publizistische Erzeugnisse in konkreten Einzelfällen zu kämpfen, es wird stumpf, wenn es zu Pauschalliquidierungen verwendet wird

Der O e s t e r r e i c h e r, dem es mit der Freiheit in der Welt, in Europa, in seinem eigenen Lande ernst ist, möchte in der v/estdeutschen Bundesrepublik nicht ein Provisorium sehen, sondern den ersten Pfeiler einer jungen deutschen und europäischen Freiheit; so wie die Luftbrücke in Berlin ein Pfeiler war, ein Pfeiler in den Himmel von Morgen. Eben deshalb sieht er mit Sorge auf die jetzt dort „von oben“ her dekretierte Selbst-beschränkung der Demokratie, die, wenn nicht starke positive Kräfte erwachen, der KP, dem linken und rechten Arm des deutschen Untergrundes mehr nützen wird als der Freiheit. Es wirkt nicht beruhigend, daß Bismarck einst die Deutsche Sozialdemokratie mit denselben Grundgedanken verbot, wie jetzt Bonn die KPD ...

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