6631803-1956_42_05.jpg
Digital In Arbeit

Einmal kommt der Tag . . .

Werbung
Werbung
Werbung

Dieser Tage besuchte eine Gruppe ehemaliger japanischer Offiziere — es handelte sich, wie Radio Peking hervorhob, ausschließlich um Generäle und Admiräle a. D. — die chinesische Hauptstadt, wo sie auch von Mao Tse-tung empfangen wurde. Man bringt diese undurchsichtige Reise mit dem Problem zusammen, das unter den vielfältigen Sorgen der japanischen Regierung weitaus an erster Stelle steht — mit den Beziehungen Japans zur Sowjetunion.

In seiner gegenwärtigen Form geht dieses

Problem auf den Friedensvertrag zurück, den Japan im Jahre 1952 in San Franzisko zu unterzeichnen gezwungen wurde; genauer gesagt, auf jene von den USA ausbedungene Klausel, die dem Kaiserreich, zusätzlich zu seinen sonstigen Territorialverlusten, den Verzicht auf Südsachalin und die Inselkette der Kurilen auferlegte. Die Rechtsverbindlichkeit dieser Bestimmung, mit der man in Washington den Beitritt der UdSSR zum Vertrag von San Franzisko zu erreichen hoffte, ist zumindest zweifelhaft, denn Moskau hat den Vertrag nie unterzeichnet und den Kriegszustand mit Japan noch immer nicht formell beendet, was die Herren dort allerdings nicht daran hindern konnte, den altjapanischen Inselbesitz, der ihnen als Frucht der militari“ sehen Anstrengungen und eines diplomatischen Rechenfehlers der Vereinigten Staaten sozusagen in den Schoß gefallen war, einzuheimsen. Das wieder war ein Schritt, mit dem sich Japan unmöglich abfinden konnte, nicht nur wegen der strategischen Lage, sondern auch wegen des großen Fischreichtums der Inseln. Für Japan mußte daher die Wiedergewinnung jener Inseln den Kardinalpunkt eines Friedensvertrags mit Moskau bilden. Moskau aber zeigt sich wohl an der Wiederherstellung diplomatischer Beziehungen interessiert, offenbar, um auf diesem Wege erhöhten Einfluß auf die japanische Innenpolitik zu gewinnen. In allen übrigen Fragen aber ertönt das starre Njet.

Diese Situation, aus der die Regierung Hatoyama bisher ebensowenig einen Ausweg zu finden vermochte wie ihre Vorgängerin unter der langjährigen Führung Yoshidas, mußte ihre innenpolitischen Folgen haben. Zunächst natürlich im Lager der KPJ. Die seelische und leibliche Not der ersten Nachkriegsjahre hatte den Kommunisten großen Zulauf gebracht; aus den Reihen der Studenten und der sogenannten Intelligenzschichte relativ sogar mehr als aus der Masse der Arbeiterschaft. Aber der zunehmend deutliche Widerspruch zwischen den kommunistischen Erklärungen und Verheißungen und dem Verhalten der kommunistischen Vormacht Japan gegenüber kostete der KPJ allmählich einen Großteil der damaligen Gewinne: zu Beginn dieses Jahres kam sie mit schätzungsweise 60.000 eingeschriebenen Mitgliedern auf ihren bisher tiefsten Stand. Damit ist freilich über den tatsächlichen Einfluß der KPJ nichts gesagt. Ihre Mitglieder sind durchweg äußerst rührige „Aktivisten“, die trotz ihrer kleinen Zahl viele führende Posten in der Arbeiterbewegung besetzen konnten; so ist zum Beispiel der vom Gewerkschaftsbund SOHYO herausgegebene umfangreiche Nachrichtendienst durchaus im kommunistischen Sinn redigiert.

Trotzdem tritt die Frage des Kommunismus in Japan an Bedeutung und Tragweite weit zurück gegenüber einer anderen, nicht unbedenklichen Entwicklung, an der, so paradox das klingt, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion sozusagen Hand in Hand mitgewirkt haben.

Die Aufgabe, die Japaner im westlich-demokratischen Sinne „umzuerziehen“, hatten die amerikanischen Besatzungsbehörden, namentlich im höheren Unterrichtswesen, den zuverlässigst „progressiven“ Elementen übertragen, die ihnen die Heimat zur Verfügung stellen konnte. Das hat sich entsprechend ausgewirkt. In den intellektuell führenden Schichten des japanischen Volkes ist heute der Materialismus, oft mit einem stark marxistischen Einschlag, sehr weit verbreitet. Man lehnt den Kommunismus wohl ah. aber nicht ideologisch, sondern als Wegbereiter dqs russischen Imperialismus. Daher eine vor allem in den Kreisen der Industrie und der Geschäftswelt merklich zunehmende Bereitschaft, mit vermeintlich autonomen, nicht von Moskau dirigierten Exponenten des Kommunismus einen „Flirt“ einzugehen, von dem man sich zweierlei erhofft: eine Ausweitung des Außenhandels und damit die Ueberwindung der latenten japanischen Wirtschaftskrise und zugleich die Gewinnung eines außenpolitischen Atouts, das der UdSSR und auch den Vereinigten Staaten gegenüber — hier handelt es sich- in erster Linie um Okinawa und den möglichst baldigen Abzug der in Japan stationierten amerikanischen Truppen — wirksam eingesetzt werdet! könnte.

Das sind die Schwierigkeiten, denen Ministerpräsident Hatoyama in seiner eigenen Demokratischen Partei jetzt in wachsendem Mäße begegnet. Man- hält ihm vor.Vnicht alle Möglichkeiten zur Verstärkung der japanischen Position ausgeschöpft und namentlich die kommerziellen und politischen Chancen vernachlässigt- zu haben, die sich aus einem e n g e r e n K o n t a k t mit Ch i n a hätten ergeben können.

Nun ist ein solcher Vorwurf ganz und gar nicht berechtigt. Nirgends außerhalb der chinesischen Grenzen hat man eine so gründliche und umfassende Kenntnis Chinas und ein so klares Bild seiner voraussichtlichen weiteren intwicklung wie in den Kreisen der japanischen

Regierung, der ein Heer tüchtigster China-Experten zur Verfügung steht: die vielen Tausende ehemaliger Offiziere, die in den Jahren ihre Dienstes mit den Okkupationstruppen in den verschiedensten Teilen Chinas mit dem rassen-und kulturverwandten chinesischen Volk vertraut geworden sind und auch heute noch mit ihm geheimnisvollen Kontakt haben. Die japanische Regierung weiß daher aus zuvei lässigsten Quellen, daß die angebliche Chance einer erheblichen Expansion des Handels mit China nur ein Wunschtraum ist. Wenn China auch zweifellos Bedarf an japanischen Investitionsgütern hat, so ist es doch zu arm dazu, in bar oder mit anderen Waren zu zahlen. Und daran wird sich auch in Zukunft kaum etwas ändern können.

In politischer Hinsicht allerdings liegen die Dinge anders. Chinas jährliche Bevölkerungszunahme um acht bis zehn Millionen Seelen ist der entscheidende Punkt. Wie immer sich die ideologische Bindung zwischen den heutigen Machthabern in Peking und in Moskau weiterhin gestaltet: der Tag wird kommen, und das weiß man in Moskau ebensogut wie in Tokio, da die Haltung Japans in einer Auseinandersetzung zwischen Rußland und den nach Lebensraum drängenden chinesischen Massen ausschlaggebend sein kann. Diese Schatten stehen im Hintergrund der Verhandlungen, die die sowjetische Regierung nun in Moskau mit dem japanischen Ministerpräsidenten persönlich aufgenommen hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung