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Elf Regionen in Italien?

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In der Herbstsitzung der italienischen Kammer wird eines der Hauptthemen die Bildung von Regionen sein, also die Zusammenlegung von Provinzen in einzelne Regionen. die dann vom Staate verschiedene V erwaltungsfunktionen erhalten und so die Dezentralisierung der bis jetzt in Rom vereinigten zentralistischen Verwaltung herbeiführen sollen.

Das Problem ist alt und in der Verschiedenheit der einzelnen Gebiete zu suchen. Es liegt nicht nur in der geographischen Lage der einzelnen Gebiete, sondern vor allem auch in der Verschiedenheit des Volkscharakters und in den nie versiegenden und immer stärker werdenden Interessengegensätzen zwischen Nord und Süd. Was im industrialisierten Turin, in der großen Handelsstadt Mailand gut ist, kann nicht auf sizilianische Verhältnisse übertragen werden, und was beispielsweise im Aostatal selbstverständlich ist, wird man in Sardinien oder in Kalabrien nicht verstehen und noch weniger anwenden können.

Dazu kommt noch die Verschiedenheit der Bevölkerung und der alte Gegensatz zwischen Norden und Süden. Die Norditaliener sind dank der verschiedenen, ungleich besseren klimatischen Verhältnisse und vor allem dank der Industrialisierung in jeder Beziehung besser gestellt als die Sizilianer oder die Kalabreser, ein Arbeiter in Turin oder ein Handelsangestellter in Mailand verdient ein Vielfaches von dem, was ein einfacher Landarbeiter in Sizilien verdient.

Natürlich liegt die Ursache dieser sozialen Schichtung nicht nur bei den Menschen allein, sondern vor allem in der Bodenbeschaffenheit und darin, daß die seinerzeit von Mussolini gewollte und begonnene, aber bald wieder aufgegebene Bodenreform im Süden noch nicht durchgeführt ist oder doch nur zum kleinsten Teil, so daß einige tausend Großgrundbesitzer Hunderttausenden armen Taglöhnern gegenüberstehen, die kaum etwas zum

Leben haben. Darin liegt auch zum großen Teil die Ursache, daß Italien die größte kommunistische Partei Europas besitzt. Und der rührige Kommunistenführer Togliatti versteht es ausgezeichnet, sich diese Differenzen zunutze zu machen und für die Zwecke seiner Partei auszunützen.

Südtirol und Aosta

Erst nach 1945 ging man daran, das Problem der Regionalregierung wenigstens in einigen Gegenden zu lösen, und bildete vorerst vier Regionen: das französisch bevölkerte Aostatal, im Nordwesten an Frankreich und die Schweiz angrenzend, die Region Süd- tirol-Trentino, jenes Gebilde, um das der heftige Streit in der letzten Zeit geht, die Region Sizilien und die Region Sardinien. Man hat an dem Beispiel der Region des Aostatales gesehen, daß es durchaus möglich ist, einer anderen Volksgruppe eine eigene Autonomie zu gewähren. Es handelt sich nicht um verwaltungstechnische oder juristische Schwierigkeiten, hinter denen man sich in der römischen Kammer so gerne versteckt, sondern es sind andere, rein politische Beweggründe, die man natürlich in der Öffentlichkeit nicht nennen will, wenn man den Deutschen in Südtirol die ihnen feierlich versprochene Autonomie nicht gewährt.

Die Meinungen über die Bildung eigener Regionen gehen unter den italienischen Politikern weit auseinander. Es gibt ebenso viele Befürworter wie Gegner. In der italienischen Zeitung „Successo“ vom Juni 1960 hat der bekannte Journalist Vittorio Gorresio eine Aufstellung der Meinung der bekanntesten vierundzwanzig Persönlichkeiten der italienischen Politik und des öffentlichen Lebens gegeben.

Es ist natürlich nicht möglich, alle Äußerungen hier anzuführen, wir beschränken uns daher auf die großen Linien dieser verschiedenen Stellungnahmen, da darin der große Zwist in dieser aulierst wichtigen Angelegenheit wiedergegeben wird.

Dafür und dagegen

Dafür haben sich vor allem jene Politiker entschieden, die in der Einführung der Regionen eine größere Dezentralisation der Verwaltung und eine größere Machtentfaltung der einzelnen größeren Verwaltungszentren im Norden und Süden des Reiches füi die Gesamtstaatlichkeit von Vorteil halten, und die vor allem auf die wirtschaftliche Struktur und aul die volkspolitische Entwicklung dei verschiedenen Bevölkerungsschichten Rücksicht nehmen wollen. Daß der Großgrundbesitz in Sizilien und in Kalabrien andere Voraussetzungen in wirtschaftlicher und in volkspolitischer Hinsicht hat wie die Kleinwirtschaft in den Marken oder in Umbrien, ist ebenso klar, wie daß die Fabriksbetriebe in Turin und Mailand andere Voraussetzungen haben als die Landarbeiter oder die Taglöhner von Neapel oder Bari oder die Hafenarbeiter von Livorno oder Genua. Aus diesen Gesichtspunkten heraus sind jene Politiker, die für die Einführung der verschiedenen Regionen stimmen, vollkommen im Recht, und es besteht in der letzten Zeit immer mehr und mehr die Tendenz, diesen Notwendigkeiten auch Rechnung zu tragen und die Regionen einzuführen.

Dagegen sind in erster Linie jene Politiker, die in der Dezentralisation der Verwaltung eine Machtver- streuung befürchten, und die der Meinung sind, daß dadurch die Großmachtstellung Italiens gefährdet werde. Vor allem wollen die Gegner der Regionalpolitik, die hauptsächlich in Rom sitzen, die Vormachtstellung Roms als politische Verwaltungszentrale nicht geschmälert sehen. So behauptet Ernesto Fassio, daß durch die Einführung der Regionen Italien „wieder in eine Reihe von Großherzogtümern zerfalle, wie im Mittel- alter, und die Kleinstaaterei würde wie vor dem Risorgimento das geeinte

Italien zerstören und um seine heutige Weltmachtstellung bringen". Der Großindustrielle aus Genua zitiert Dante, der schon im 14. Jahrhundert diese Kleinstaaterei als das Übel Italiens bedauert hat, und erinnert an die Worte Giuseppe Mazzinis, die er im Gefängnis von Savona in seinem Werke „Giovane Italia“ ausgesprochen hat und die nur auf die Einigkeit des Vaterlandes in einer einzigen Volksrepublik gerichtet waren.

Der Großindustrielle Gaetano Mar- zotta meint, daß durch die Einführung der Regionen Italien um hundert Jahre zurückversetzt würde und „wir in kurzer Zeit einen Föderalismus haben würden, der sich mit Zisalpinien, Transalpinien, dem Kirchenstaat und dem Königtum beider Sizilien vergleichen lasse“.

Der Journalist Giovanni Ansaldo versteigt sich sogar zur Behauptung, daß in einem föderalistischen Italien nur noch der Papst regieren würde. Und der Journalist Spadolini fürchtet, daß durch ein dezentralisiertes Italien dem Kommunismus Tür und Tor ge? öffnet werde.

Man könnte diese Stellungnahmen für und wider die Einführung der Regionen beliebig fortsetzen.

Die Kommission tagt

Da aber auf die Dauer die Stellung gegen die Regionen nicht zu halten ist, hat man bereits eine Kommission zum Studium dieser entscheidenden Frage unter dem Vorsitz des Senators Tupini eingesetzt, und diese Kommission hat auch ihre Arbeiten beendet und sie der Kammer vorgelegt, die im kommenden Herbst die Diskussion darüber eröffnen wird.

Gegenwärtig bestehen in Italien bereits vier selbständige Regionen, und zwar: Südtirol-Trentino, das französische Aostatal, Sizilien und Sardinien.

Geplant sind folgende Regionen, über deren Grenzen und deren Ausdehnung jedoch noch große Differenzen bestehen: 1. Lombardei mit den Zentren Mailand, Brescia und Bergamo, 2. Venetien mit den Zentren Venedig und Triest und mit Friaul, das aber in der letzten Zeit auch eine Forderung nach eigener hat, 3. Piemont mit den’"Zentren tTuria,. iÄdÄtGuneo, ; -tnuUgiwttÄ ße dem Zentrum Genua und der ganzen Levante, 5. Emilia-Lunese mit Bologna und La Spezia, 6. Toskana mit Florenz, Livorno und Pisa, 7. Doppelregion Umbrien mit den Marken und den Abruzzen, mit den Städten Ancona, Rimini, Pesaro und Pescara, 8. Kalabrien mit Reggio Calabria und S. Giovanni, 9. Dauna Lucana mit den Hafenstädten Bari und Brindisi sowie Tarent, 10. die Region Neapel (die kleinste Region nach dem Aostatal) mit der Zentrale Neapel selbst, und schließlich Italien mit der Hauptstadt Rom.

Was kostet es?

Die Kosten der ersten Anlegung und des Funktionierens der Regionen werden mit 220 Milliarden Lire berechnet, wovon 163 Milliarden bereits heute vom Staate effektiv getragen werden und die direkt auf die Regionen zu übertragen wären, wie zum Beispiel 42 Milliarden, die der Landwirtschaft zufließen, während 57 Milliarden neu hinzukämen. Durch Übernahme von Staatsbeamten in die Regionen würde sich von den 57 Milliarden ein Teil einsparen lassen.

Die Auswirkungen der Studienkommission sind klar: Wenn der Vorschlag auf Bildung der Regionen angenommen würde, so sind in erster Linie die finanziellen Hintergründe zu berücksichtigen, und unmittelbar könnten aber auch die Auswirkungen auf rechtlichem und verwaltungstechnischem Gebiete folgen. Auf politischem Gebiete wird die Frage der Bildung von Regionen zu einer Kardinalfrage der ganzen italienischen Innenpolitik werden, da die Gegensätze zwischen Nord und Süd, zwischen hochentwickelten und unterentwickelten Gebieten vor allem zur Geltung kommen dürften.

Aber für Südtirol ist gerade in dieser Frage eines von Wichtigkeit: Wenn schon Regionen gebildet werden, so ist es auch möglich, die jetzige Region Südtirol-Trentino in zwei getrennte Regionen Südtirol und Tren- tino umzuwandeln. Damit aber würde vor allem der größte Einwand seitens der italienischen Kammer fallen: daß die Verfassung diese Fragen nur mit Zweidrittelmehrheit lösen kann.

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