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Empire und Commonwealth

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Mit der eben abgeschlossenen Commonwealthkonferenz in London beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der Revolution, die vor mehr als vierzig Jahren angefangen hatte, das Gefüge des britischen Imperiums zu erschüttern, und die noch immer fortwirkt, längst nachdem die vom Begriff des Imperiums untrennbare hierarchische Ordnung einer losen Koordinierung Platz gemacht hat. Die britische Kriegserklärung an Deutschland, vom 4. August 1914, war der letzte Akt, den die Regierung Seiner Britannischen Majestät für das gesamte Empire, einschließlich der vier vorwiegend englischen, bereits weitgehend autonomen Dominions setzen konnte; zu Ende des Weltkrieges waren diese Dominions zu Nationen geworden, denen das Recht auf gesonderte Unterzeichnung der Friedensverträge und auf eine gesonderte Vertretung im Völkerbund nicht mehr streitig zu machen war. Es wurde klar, und der große Staatsmann und Soldat Jan Christian Smuts unterstrich es nachdrücklichst an Hand des Beispiels Irland, daß nicht mehr lang damit gezögert werden durfte, den Status der nach Unabhängigkeit drängenden „Mitglieder des Commonwealth“, eine Bezeichnung, die nun allmählich an Stelle des Ausdrucks „Dominion“ in Gebrauch kam, zu revidieren und die Beziehungen dieser Weltreichsglieder untereinander und zum Reich als Ganzem auf eine neue Grundlage zu stellen. Die zu diesem Zweck 1926 abgehaltene imperiale' Konferenz erarbeitete die Lösung, die dann, fünf Jahre später, im sogenannten Statut von Westminster ihren formellen Niederschlag fand. „Das Vereinigte Königreich und die Dominions“, so heißt es dort, „sind autonome Gemeinschaften innerhalb des britischen Empire, von gleichem Status, in keiner Weise einander in irgendeinem Aspekt ihrer inneren oder äußeren Beziehungen untergeordnet, obwohl vereint durch die gemeinsame Treue zur Krone, und frei assoziiert als Mitglieder des Britischen Commonwealth der Nationen“.

Was damals, vor einem Menschenalter, wohl nur von den Wenigsten vorausgesehen worden war. ist inzwischen eingetreten. Der Status autonomer, völlig gleichgeordneter, frei assoziierter Gemeinschaften im Rahmen des „Commonwealth of Nations“ — das Adjektiv „British“ verschwand stillschweigend in der Versenkung — mußte unter dem Druck der durch den zweiten Weltkrieg entfesselten nationalistischen Flut von den vier ursprünglichen, blutmäßig mit dem englischen Mutterland verbundenen Dominions auf erst jüngst zur Eigenstaatlichkeit gelangte Kolonialgebiete des Empire ausgedehnt weiden. Damit war die im Statut von Westminster stipulierte und damals noch jeder Kontroverse entzogene Treue zur Krone — zur britischen Krone, natürlich — als eine allen Mitgliedern des Commonwealth obliegende und sie verbindende Verpflichtung zu einer Fiktion geworden, die wohl noch, außer in Großbritannien selbst, auch in Australien, Kanada und Neuseeland einen gewissen sentimentalen Wert behielt, realpolitisch aber jede Bedeutung verloren hatte und in der Verfassung oder der geplanten Verfassungsänderung der asiatischen und afrikanischen Mitgliedstaaten auch formell negiert wird. Die Indische Union und Pakistan sind Republiken, die Malajische Föderation hat im Yang die-Pertuan Agong ihren eigenen Souverän, in der Südafrikanischen Union wie in Ceylon steht die Proklamierung der Republik auf dem Regierungsprogramm, und auch das zur Zeit jüngste Mitglied des Commonwealth, Ghana, hat sich jetzt für die republikanische Staatsform entschieden. Wenn auch diese Staaten die Königin von England noch als „Oberhaupt des Commonwealth“ anerkennen, so geschieht das aus Courtoisie, und nicht, weil sie dem Vereinigten Königreich etwa einen höheren Rang oder sonst irgendein Vorrecht in der Reihe der „frei assoziierten1' Mitglieder des Commonwealth einräumen wollten.

Worin aber bestehen nun das Wesen und das eigentlich verbindende Element die Assoziation? Darüber sind Bände von Erklärungen und Kommentaren geschrieben worden, ohne daß es gelungen wäre, die Frage klar und eindeutig zu beantworten. Eher läßt sich feststellen, was das Commonwealth nicht ist. Es fehlt ihm jede Voraussetzung eines Staatenbundes, geschweige denn eines Bundesstaates. Es besitzt keine gemeinsame Legislative oder Exekutive, keine gemeinsame bewaffnete Macht, keine gemeinsame Außenvertretung, kein für die Gesamtheit zuständiges Richteramt, und überhaupt keine gemeinsame Institution, der die Mitgliedstaaten irgendwie untergeordnet wären. Es stellt kein Verteidigungssystem dar und keine Zoll- oder Währungs- oder Wirtschaftsunion, noch auch eine auf Verträgen gegründete Vereinigung, wie etwa die Organisation der Vereinten Nationen. Was aber ist es dann wirklich?

Eines ist sämtlichen Commonwealthländern jenseits der Meere eigen. Sie haben ausnahmslos lange Zeit, zum Teil jahrhundertelang, England gehört. Diese frühere Zugehörigkeit hat bei ihnen allen, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der geschichtlichen Entwicklung, mehr oder weniger tiefe Spuren hinterlassen, und in diesem Sinn ein gemeinsames Erbe; gemeinsame Vorstellungen von bestimmten Werten und Idealen, von Freiheit und Rechtssicherheit vor allem und von der Gestaltung des politischen Lebens, und dementsprechend eine weitgehende Übereinstimmung in den dem englischen Vorbild angepaßten verfassungsrechtlichen Einrichtungen der Gesetzgebung, der Regierung und der Judikatur. Diesem gemeinsamen Erbe sind auch, zur Zeit noch wenigstens, die vielfachen persönlichen, beruflichen, wirtschaftlichen, kulturellen und sogar sportlichen Beziehungen zuzuzählen, die mit dem Ende der imperialen Herrschaft Großbritanniens keinen Abbruch erfahren haben. Trotz alledem, so wertvoll sich die britische Erbschaft für den Aufbau und die Konsolidierung der unabhängig gewordenen Staatswesen auch erwies, sie hat nicht hingereicht, um die heterogenen Völker, über denen einst die britische Flagge geweht hat, zu einer effektiven Einheit zu verbinden; und sie muß weiter an Wirksamkeit verlieren, je stärker sich das nationale Selbstbewußtsein der neuen Staaten entwickelt. Das Commonwealth ist einem Klub ehemaliger Schüler einer englischen Public Scb,qol,vergleichbar, die noch mit Stolz die alte Schulkrawatte tragen, sich in der Regel auch noch so benehmen, wie man es sie in der Jugend gelehrt hatte, und bei' Gelegenheit gern-rmt den alten Kollegen zusammenkommen, ohne aus dieser Kameradschaft irgendeine Verpflichtung oder das Recht auf Einblick in die Privatangelegenheiten des anderen abzuleiten. Ebenso haben die Regierungschefs der Commonwealthstaaten, die vor allem auf die Wahrung ihrer unbeschränkten Souveränität bedacht sind, bei ihren periodischen Konferenzen bisher alles sorgfältig vermieden, was als Kontrolle der einzelstaatlichen Politik und somit als Anerkennung einer der Gemeinschaft übergeordneten Autorität ausgelegt werden könnte. Nur so konnte der Schein einer gemeinsamen Front aufrechterhalten bleiben, obwohl sich die Mitglieder von den theoretischen Grundlagen des Commonwealth bereits entfernt hatten; wie Pakistan mit der Aufhebung der Verfassung, wie Indien mit dem zweideutig neutralistischen Kurs Nehrus, wie Ghana, wo Dr. N'krumah die demokratische Maske fallen ließ, um den Weg der absoluten Diktatur zu beschreiten.

Jetzt, zum erstenmal, ist dieser Schein durchbrochen worden. Ungeachtet der Beschwichtigungsversuche MacMillans, dem es darum zu tun war, die äußere Harmonie der Konferenzteilnehmer nicht durch eine Debatte über die Rassenpolitik der Regierung Verwoerd stören zu lassen, gelangte dieses heiße Eisen in den Mittelpunkt der Diskussion. Verärgert durch die Erklärung des südafrikanischen Vertreters, seine Regierung denke nicht daran, auch nur um einen Zoll von ihrer politischen Linie abzuweichen, ging der energische Premierminister von Malaja, Tengku Abdul Rahman, zum Angriff über und erteilte der Regierung in Pretoria eine Zensur, der sich die übrigen Regierungschefs, wenn auch nicht ganz ohne Bedenken, angeschlossen haben. Damit hat sich Abdul Rahman ein Verdienst von vielleicht weittragender Bedeutung erworben, wie immer diese Zensur sich in Südafrika selbst auswirken mag. Denn wenn das Commonwealth seine allein noch übrige Bedeutung als afro-asiatisch-britische Gesprächsplattform und damit als ein gewisser Stabilisierungsfaktor in Hinkunft behalten kann, dann nur, wenn in seinem Rahmen Freiheit und Gleichheit der Menschen und Völker, unbeschadet ihres Stammes und ihrer Hautfarbe, als ein Gebot gelten, dem sich jeder Staat, der dieser Assoziation angehören will, unterwerfen muß.

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