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Endlose Trauerjahre für Australiens Ureinwohner

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Inoffiziellen Meldungen zufolge könnte Australiens zukünftige Präsidentin die Aboriginal-Füh-rerin Lois 0' Donoghue sein. Ob das den bedrohten Ureinwohnern, die mehrheitlich von Sozialhilfe leben müssen, eine neue Perspektive gibt?

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Inoffiziellen Meldungen zufolge könnte Australiens zukünftige Präsidentin die Aboriginal-Füh-rerin Lois 0' Donoghue sein. Ob das den bedrohten Ureinwohnern, die mehrheitlich von Sozialhilfe leben müssen, eine neue Perspektive gibt?

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Der weiße Holden Pickup, der in der glühenden Mittagshitze langsam durch die Oasen-Stadt Alice Springs in Zentralaustralien fährt, sieht aus wie der Transporter eines Hundefängers. Auf der normalerweise freien Ladefläche ist ein riesiger Käfig montiert. Plötzlich biegt der Wagen scharf nach links ab und fährt auf einen Wiesenstreifen auf, wo ein paar Aboriginalmän-ner im Schatten der Bäume vor sich hindösen. Polizisten in Uniform steigen aus, verlieren nicht viele Worte, ergreifen einen der Männer und stecken ihn in den Käfigbau. Ab ins Gefängnis, der Mann war wahrscheinlich betrunken. Etwa zwei Stunden später wiederholt sich eine ähnliche Szene in der Todd Mall, der Einkaufsstraße von Alice Springs. Diesmal ist es ein Laden-dieb, der in den Käfigaufsatz gesteckt wird.

Die schwarzen Australier leben im eigenen Land mehrheitlich von Sozialunterstützung. Bei der letzten Volkszählung 1991 wurde eine Arbeitslosenrate von 30,8 Prozent errechnet. Das Geld, das die Ureinwohner erhalten, wird normalerweise vertrunken. Die Aboriginals wurden durch die Zivilisation seelisch zerstört - was kann Geld somit für ein Naturvolk bedeuten, dem seine Lebensgrundlage, der Glaube an die Gesetze der Natur, ihre Traumzeit, zerstört wurde? Mit der Kampagne „Boozers are Loosers” - Säufer sind Verlierer - versucht die australische Regierung eine Anti-Alkoholkampagne einzuleiten, um den entwurzelten Menschen wieder die Chance eines sinnerfüllten Lebens zu ermöglichen.

Man weiß nicht genau, wieviele Aboriginals in Australien vor dem Eintreffen der „First Fleet” 1788 lebten. Der Anthropologe Radcliffe-Brown schätzte 1930 die Population auf rund 300.000; andere seriöse Studien nehmen eine Zahl von rund einer Million für den ganzen Kontinent an, mit 500 bis 600 Stämmen und mehr als 200 verschiedenen Sprachen.

Als Rasse werden die Aboriginals überleben, aber haben sie auch als Kulturvolk noch eine Chance? In Broome (Westaustralien) startete man einen landesweit einmaligen Versuch: es galt das Sterben ganzer Stammeskulturen zu stoppen, indem die mündlich überlieferte Geschichte der Stammesältesten aufgezeichnet und gedruckt wird, um so den modernen Nachfahren einer der ältesten Kulturen der Menschheit erhalten zu bleiben. Der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein, mehr nicht.

Die Aboriginals wurden erst 1960 als australische Staatsbürger anerkannt. 1962 erhielten Aboriginals erstmals das Wahlrecht auf Beschluß des Bundesparlaments. Seit 1966 gelten auch für sie die staatlich anerkannten Mindestlöhne, 1967 wurden sie zum ersten Mal bei der Volkszählung berücksichtigt. Ein Meilenstein auf dem Weg zur Anerkennung der Ureinwohner als vollwertige Staatsbürger war ein Befe-rendum aus demselben Jahr, bei dem die Australier mit überwältigender Mehrheit einer Verfassungsänderung zustimmten, die sämtliche Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich Aboriginal-Fragen von fundamentaler Bedeutung auf die Bundesregierung in Canberra übertrug.

1971 zog der erste Aboriginal -Neville Bronner - als Senator ins Bundesparlament ein. Am 12. Juli des gleichen Jahres - dem Aborigi-ne's Day - wurde auch zum ersten Mal die Aboriginal-Flagge gehißt. Die Fahne ist horizontal in eine schwarze und eine rote Hälfte geteilt, mit einem gelben Kreis im Zentrum. Die schwarze Hälfte symbolisiert die schwarzen Menschen, die auf roter Erde leben. Rot ist zugleich Farbe des Ockers, der von den Aboriginals für Zeremonien verwendet wird. Der gelbe Kreis steht symbolisch für die Sonne, die ständige Erneuerin allen Lebens.

Erst vor zehn Jahren erhielt das Volk der Anangu seine Heiligtümer zurück 1985 gaben die weißen Australier den Aboriginals, genauer gesagt dem Volk der Anangu, seine Heiligtümer zurück: Kata Tjuta - oder die Olgas, in der Sprache der weißen Australier, und Uluru, Touristen besser bekannt als Ayers Rock. Im Besucherzentrum des Uluru-Natio-nalparks wird der Gast darauf hingewiesen, daß es den Anangu lieber ist, wenn man Uluru nicht besteigt. Jedes Jahr sterben Touristen beim Versuch, Uluru zu besteigen, weil sie ihre körperliche Konstitution überschätzen. Hitzschlag und Herzinfarkt sind die häufigste Todesursache. Die Anangu sagen, daß es sie traurig macht, wenn ein Mensch auf ihrem heiligen Berg stirbt, erklären die Schautafeln des Besucherzentrums. Die Touristen lesen es - und haben den Aufstieg in vielen Fällen schon hinter sich.

20 Prozent der Eintrittsgelder und 75.000 Australische Dollar jährlich kassiert das Volk der Anangu, weil es per Vertrag den Uluru-Na-tionalpark für 99 Jahre an die Australische Begierung verpachtet hat.

1988, das Jahr, in dem die weißen Australier die 200jährige Besiede-lung des Kontinents feierten, erklärten die schwarzen Australier zum „Jahr der Trauer”. Unter dem Druck der Öffentlichkeit versprach die australische Regierung zur 200-Jahr-Feier erneut die AViedergutma-chung der begangenen Fehler. Noch mehr Hilfsprogramme mit Millionenaufwand wurden angekündigt, noch mehr Wohlfahrtsgelder begannen zu fließen.

Aber ist eine Wiedergutmachung überhaupt möglich? Beispiele aus den einzelnen Bundesstaaten zeigen, daß die wirklichen Probleme anders gelagert sind. In Arnhem Land im Norden des Bundesstaates Queensland etwa wird ' Bauxit abgebaut, ohne daß die dort ansässigen Stämme sich dagegen wehren können. Zwar erhalten sie eine finanzielle Entschädigung, müssen aber hilflos mitansehen, wie das Land zerstört wird.

1993 war das UN-Jahr der Indi-genen Völker, und im selben Jahr tagte auch die Internationale Menschenrechtskonferenz in Wien. Im Zentrum stand die Frage, wie das kulturelle Überleben der Urvölker gesichert werden kann. Während in Wien Tausende Vertreter von Re-gierungs- und Nichtregierungs-Or-ganisationen über Menschenrechte diskutierten, war die australische Öffentlichkeit mit einer heftigen Debatte über die Landrechte der Aboriginals beschäftigt.

Mit dem „Mabo Judgement” wurde 1992 die Legende von der Terra Nullius aufgehoben - bis dahin galt als rechtliche Grundlage, daß Australien bei der Landung der ersten Europäer ein unbesiedeltes, freies Land gewesen sei. In einer Entscheidung vom High Court of Australia wurden den Aboriginals endlich die Ur-Landrechte anerkannt, die ihnen mit der Europäischen Inbesitznahme des Landes 1788 geraubt wurden. Spät - 204 Jahre zu spät.

Knapp vor Jahresende 1993 wurde dann der „Native Title Act” angenommen; im Vorfeld der Debatten wurden 200 Änderungen eingebracht. Wichtige Zusätze beinhaltet die Garantie, daß die Regierungen der einzelnen Staaten beim Vollzug des neuen Gesetzes an das Gesetz der Rassendiskriminierung gebunden sind, das die Fischerei- und Jagdrechte der Ureinwohner schützt. Ein weiterer Zusatz hebt das Recht des Staates auf, Landbesitzrechte der Aboriginals zugunsten öffentlicher Projekte einzuschränken.

Grüne Senatoren kämpften für das Gesetz, Oppositionsparteien, die konservative „Liberale Partei” und „Nationale Partei” bekämpften das Gesetz. Kritik kam von den konservativen Regierungen Westaustraliens, Victorias, New South Wales und Tasmaniens. Die Victorianische Gesetzgebung etwa erlaubt den Aboriginals, Landansprüche anzumelden, aber es kann bis zu 15 Jahre dauern, bis sie es auch erhalten.

Es hieß, Australien sei bei der Landung der ersten Europäer unbesiedelt gewesen

Westaustralien kam der Bundesregierung im November 1993 mit einem eigenen Gesetz zuvor, das Landrechte der Aboriginals aufgehoben hat, jedoch damit das Australische Antidiskriminirungsgesetz unterläuft. Das Land ist Hochburg des Bergbaus, dort wird das meiste Land von Aboriginals zurückgefordert. Es gab Befürchtungen, daß potentielle Investoren abgeschreckt werden könnten.

Die halbstaatliche Aborigines and Torres Strait Islanders Commission, kurz ATSICC, hat einen sechsteiligen Führer zum Native Title Act herausgegeben.

Wie kann nun ein Aboriginal-Volk Landbesitzansprüche geltend machen?

■ Der Stamm muß nachweisen, daß ihm das Land gemäß den Aboriginal und Torres Strait Islander Gesetzen gehört. Das können sie, indem die Stammesältesten aus ihrer Tradition wahre Geschichten über das Land erzählen können. Anthropologen, Linguisten und Historiker können zugezogen werden.

■ Das Volk darf die traditionellen Beziehungen zum Land nicht verloren haben. Stämme müssen nachweisen können, daß niemand anderer Landrechte auf das von ihnen geforderte Land beansprucht. Sie müssen auch nachweisen, daß sie im Land waren, bevor die nicht-indige-nen Siedler auftauchten.

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