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Endstation Neutralität?

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Das Bild Österreichs, sein Image, seine Zukunft, wie immer man es nennen mag, wird am 26. Oktober mehrfach beschworen werden. Die Terminologie solcher Beschwörungen ist bekannt — sie reicht vom „Herz Europas“ bis zum „Grenzwall des Abendlandes“ (von den Hunnen über die Türken bis zu den Kommunisten — und das womöglich in ungebrochener Kontinuität), von der „Brücke zwischen Ost und West“ bis zum letzten „Refugium imperialer Ideen“, von der „Mission im Donau-raum“ bis zum „Bollwerk gegen den Osten“, von der „Hochburg westlicher Freiheit“ bis zur „übernationalen Universalidee“. Was dieses Inventar an Schlagworten zusammenhält, ist die Blickrichtung Vergangenheit, „der Blick zurück in Sentimentalität“. Die Neutralität in solcher Sicht wird krönender Abschluß glanzvoller Vergangenheit, Endstation politischer Ambitionen.

So widersprüchlich diese Schlag-worte in sich sind, so widersprüchlich ist auch das allgemeine Bewußtsein in Österreich: es schwankt zwischen Fortdauer des Kalten Krieges und Verbrüderungen bei Wochenendbesuöhen in Prag im Namen der seligen k. u. k. Vergangenheit, zwischen einem tief verwurzelten Antikommunismus und der Entdeckung, daß jenseits der „Eisernen Vorhänge“ auch Menschen sind. Wie wenig die Realität von 20 Jahren kommunistischen Regimes, die Konsolidierung des Kommunismus und die schüchternen Ansätze zur „Liberalisierung“ zur Kenntnis genommen werden, hat die Reaktion auf die stalinistischen Rückfälle an der tschechischen Grenze gezeigt. Wer zwischen Machtapparat und intellektueller Opposition, zwischen Moskaugefolgschaft und nationalem Weg differenziert, wer feststellt, daß es erste Ansätze zu Kritik und Opposition (auch wenn die Wortführer noch ausgebürgert oder von der Partei ausgeschlossen werden) gibt, gilt in Österreich auch heute noch in vielen Fällen als „fünfte Kolonne“

des Weltkommundsmus. So wenig dynamisch die eigene Geschichte verstanden wird, so statisch sind auch die Vorstellungen über ideologische und politische Situation der Nachbarländer im Osten.

Zwischen sentimentalen Klischees aus der Vergangenheit und dem Festhalten am starren Blockdenken ist kaum Platz für ein neues Verständnis der Neutralität und ihrer politischen Funktion, einer Neutralität, die sich weder als geschichtliche Endstation noch als Bestätigung für die endgültige Zweiteilung der Welt verstehen kann.

Die Neutralität, vor zwölf Jahren beschlossen, gilt heute faktisch als „Staatsgrundgesetz“ und steht damit außer Streit. Die offiziellen Stellungnahmen unterscheiden zwischen militärischer und ideologischer Neutralität, zwischen Neutralität, die zwar den Staat, nicht aber den einzelnen Staatsbürger verpflichtet. Im übrigen wird die Neutralität zu einem reinen Problem des Völkerrechts erklärt und damit für erledigt gehalten. Die Experten des Völkerrechts halten sich an die Haager Land- und Seekriegsordnung; Professoren, die über eine solche strikte Interpretation hinaus versuchen, die Neutralität in die geschichtlichen Zusammenhängo Österreichs einzuordnen, Linien in die Erste Republik zurückzuverfol-gen und vielleicht sogar Folgerungen nicht nur auf dem Gebiet des Neutralitätsrechts, sondern der Neutralitätspolitik au ziehen, werden einer gefährlichen Vermengung von Völkerrecht und Politik bezichtigt und des Neutralismus verdächtigt.

So notwendig theoretische Auseinandersetzungen über die verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Aspekte der Neutralität sind — und daß auf diesem Gebiet noch lange nicht alle Denkmöglichkeiten erschöpft sind, zeigen die jüngsten Kontroversen um die Frage der ..Verteidigung der Neutralität“ —, so wenig ersparen rechtliche Erwägungen die Erarbeitung eines neutralitätspolitischen Konzepts.

Sind schon die traditionellen Interpretationen des Neutralitätsrechts heute nicht unangefochten, weü sie von der These der jederzeit lokalisierbaren nationalen Konflikte aus-

gehen, so genügt auch für die Neutralitätspolitik nicht der Hinweis auf das „Schweizer Modell“. Was dieses „Schweizer Modell“ impliziert und was es nicht impliziert, nicht implizieren kann, müßte erst einmal näher untersucht werden. Abgesehen von den historischen und geopoliti-schen Unterschieden hat Österreich ja schon durch seinen Beitritt zu den großen internationalen Organisationen bewiesen, daß das Schweizer Beispiel nicht sklavisch befolgt werden muß. Als geeigneterer Ansät* für ein neutralitätspolitisohes Konzept bietet sich die weltpolitische Entwicklung seit dem Staatsvertrag an. Wenn auch die authentischen Motive, warum die Sowjetunion dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages zustimmte, nicht erforscht werden können, solange die Archive der Großmächte geschlossen bleiben, läßt sich mit großer Sicherheit doch eines sagen: Staatsvertrag und Neutralität waren der erste Schritt auf dem Weg zur Entspannungspolitik zwischen der Sowjetunion und den USA; die Neutralität war konzipiert als ein Experiment für die Neugestaltung der Ost-West-Beziehungen und nicht als Garantie Österreichs gegen alle zukünftigen weltpolitischen „Belästigungen“.

Die Chancen und Möglichkeiten dieses Konzeptes sind auch heute noch aktuell. Neutralität ist nicht nur völkerrechtliche Theorie; das Völkerrecht steckt nuir den Rahmen ab, den Inhalt bestimmt die politische Praxis. Allerdings ist dieses Instrument der Neutralitätspolitik viel subtiler als manche wahrhalben wollen, seine Handhabung erfordert eine Rangordnung außenpolitischer Werte und damit eine Koordinierung der einzelnen außenpolitischen Ziele — nicht nur der EWG, sondern auch der übrigen. Dieses Konzept einer angewandten Neutralität, angewandt nach „österreichischem Modell“, steht noch aus.

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