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Englands Anleihe in USA

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Durch die Tageszeitungen ist die Meldung gegangen, daß nach vier Wochen langer Debatte das Gesetz über die amerikanische Anleihe für England vom Senat mit 46 zu 34 Stimmen angenommen wurde und das englische Unterhaus das Abkommen mit starker Mehrheit bestätigt hat. Der verstorbene Lord Keynes, der mit Botschafter Halifax seinerzeit die Verhandlungen britischerseits führte, hat später eine verhältnismäßig starke Opposition im britischen Oberhaus zu überwinden gehabt, die sich jedoch bei der Abstimmung infolge der derzeitigen verfassungsrechtlichen Lage der zweiten englischen Kammer nicht geltend machte.

Die amerikanischen Regierungsbehörden in Washington, vor allem State department und Treasury, haben in den vergangenen Monaten publizistisch die Notwendigkeit der 3.75-Milliarden-Dollar-Anleihe für England in der Öffentlichkeit klargelegt. Abgesehen von der außenpolitischen Seite der Frage, die die Vereinigten Staaten an der Lage der sogenannten europäischen Atlantikstaaten Interesse nehmen läßt, vertritt das US-Schatzamt im Rahmen der traditionellen Lehre vom wirtschaftlichen Internationalismus die Notwendigkeit einer multilateralen Wirtschaft, die bei Existenz eines Sterlingblocks und des von London aus gelenkten Dollarpools durch Beschränkung des Exportes der Vereinigten Staaten nicht verwirklicht werden kann.

Die Mitglieder des Senates und des Repräsentantenhauses jedoch hatten so lange gebundene Hände und verschlossene Brieftaschen, bis sie sicher waren, daß ihre Wähler bei der nächsten Wahl die finanzpolitischen Entscheidungen der vergangenen Periode gutheißen würden; denn man konnte in den USA im Herbst häufig hören: „Diese Anleihe ist keine Anleihe, sondern ein Geschenk . . .“ oder andere Kreise: „Das wird zu viel Sozialismus zu Hause und zu viel Imperialismus über See ergeben . . .“

Die Ratifizierung dieses Abkommens wird kein Präjudiz für Amerikas Stellungnahme zum Kapitalbedarf anderer europäischer Länder sein. Es ist sicher, daß alle anderen Staaten für ihren Wiederaufbau denApparat der Export-Importbank (3.5 Milliarden Dollar Kapital) und den der Internationalen Bank für Wiederaufbau (gemäß Bretton-Wood-Abkommen 10 Milliarden Dollar Kapital) in Anspruch nehmen müssen, der einen erheblich höheren Zinsendienst beansprucht als die 2 Prozent der 3.7 - Milliarden - Dollar - Anleihe des US-Schatzamtes an das Vereinigte Königreich.

Im Hinblick auf die entscheidende Rolle, die die wirtschaftliche Stellung Englands in den nächsten Jahren im Rahmen einer dringend nötigen europäischen Wirtschaftseinheit spielt, ist es interessant, einige Fragenkomplexe, die bei der Formulierung des Abkommens in Washington eine Rolle gespielt haben, zu untersuchen.

In einfachster Formulierung besteht das Problem für England in der Notwendigkeit, einen Weg zu finden, das Passivsaldo ddß Zahlungsbilanz in den kommenden Rechnungsjahren zu finanzieren; die Einnahmen für britische Exporte werden ungenügend sein, um Importe in dem Umfang aufrecht zu erhalten, wie es für eine beschleunigte Umstellung der Wirtschaft nötig wäre, ohne den Lebensstandard der englischen Bevölkerung zu stark zu senken.

Das Problem der passiven Zahlungsbilanz ist in England nur neu in seiner gegenwärtigen Stärke. Schon im Jahre 1931 war das Defizit von laufender Rechnung der Handelsbilanz etwa 500 Millionen Dollar. Während der drei Jahre vor 1939 deckten die Einnahmen für Exporte lediglich etwas mehr als die Hälfte der Kosten von eingeführten Waren und der Passivsaldo der gesamten Zahlungsbilanz betrug etwa 170 Millionen Dollar im Jahr. Nach Ausbruch des Krieges bildete England in den Sterlingländern den Dollarpool, um mit den begrenzten, von London aus zentral gesteuerten Mitteln ein Maximum an kriegswichtigen Gütern beziehen zu können. Kanada konnte allerdings schon damals nicht mehr in den Sterlingblock einbezogen werden.

Als schon im Jahre 1941 die ausländischen Vermögenswerte Großbritanniens von etwa 4.2 Milliarden Dollar im Jahre 1938 bis auf einen Rest von 12 Millionen Dollar ausverkauft waren, wurde die weitere Finanzierung in der Form von Pacht- und Leihverträgen durchgeführt. Da dieses gigantische zweiseitige Clearingabkommen mit der USA bei weitem noch nicht Großbritanniens Kapitalbedarf decken konnte, der englische Export zudem im Vergleich zu 1938 um 30 Prozent abnahm, wuchsen die zusätzlichen Uberseeschulden, gemeinhin „blockierter Sterling“ genannt, bis 1945 zu einer Höhe von 13.5 Milliarden Dollar an. Dazu kommt noch die interne nicht erneuerte Anlagenabnützung, die mit etwa 3.5 Milliarden angesetzt werden muß.

Um mit der US-Anleihe den Friedensrahmen eines multilateralen Handelssystems wieder zu errichten, mußte zunächst zusätzlich zu den Abmachungen eines langfristigen Kredites die Frage der Kriegslieferungen im Rahmen der Pacht-Leih-Verträge geklärt werden. Die ungeheure englische Schuld von etwa 24 Milliarden auf den Leihvertrag wurde gestrichen. Die große Bedeutung dieser Tatsache wird hervorgehoben, wenn man vergleichsweise die vergeblichen Bemühungen der USA nach dem ersten Weltkrieg betrachtet, die Kriegsschulden der Alliierten einzutreiben. Damit hat sich das Wort Roose-velts bewahrheitet, daß der Sieg und ein gesicherter Friede die einzige Münze ist, mit der Leistungen für Pacht-und Leihlieferungen bezahlt werden! Lediglich Güter im Werte von 650 Millionen Dollar, die derzeit in England lagern und dem Verbrauch während dieses Krieges nicht zugeführt wurden, müssen im Rahmen der 3.75-Milliarden-Dollar-Anleihe mit 2 Prozent verzinst zurückgezahlt werden.

Das eigentliche Finanzabkommen besagt, daß England bis zum 31. Dezember 1951 Kredite bis zur Höhe von 3.75 Milliarden Dollar aufnehmen kann, die verwendet werden müssen, um Käufe von Gütern und Dienstleistungen von den Vereinigten Staaten zu erleichtern, um den Vereinigten Königreichen zu helfen, das vorübergehende Nachkriegsdefizit der Zahlungsbilanz auszugleichen und eine Gold- und Dollarreserve zu erhalten.

Die Anleihe wird durch fünfzig jährliche Zahlungen, beginnend mit Dezember 1951,amortisiert, bei einer Höhe des Zinsfußes von 2 Prozent im Jahr. Unter Berücksichtigung der zinsenfreien Jahre bis 1951 beträgt der tatsächliche Zinsfuß 1.6 Prozent. Selbst dieser niedrige Zinsfuß wird die Kosten des Staatsamtes der Vereinigten Staaten mehr als decken. Das Maximum der jährlichen Zahlung für Zinsen und Tilgung würde 140 Millionen Pfund betragen.

Als die britischen Unterhändler festgestellt hatten, daß ein rückwirkender Pacht-Leih-Vertrag, also praktisch ein Geschenk, nicht noch einmal erreicht werden konnte, bemühte sich Lord Keynes eine zinsenfreie Anleihe zu erhalten. Doch betonte er selber im Oberhaus, daß die Unterhändler der Vereinigten Staaten da* Festsetzen eines Zinsfußes für unbedingt notwendig erachtet hätten, wenn der Kongreß und die amerikanische Öffentlichkeit das Abkommen genehmigen sollten.

Eine Erleichterung für England bedeuten die Klauseln für automatische Stundung der Zinszahlungen in den Fällen, in denen Großbritanniens Einnahmen für Export heimischer Erzeugnisse und für andere Dienstleistungen weniger als 866 MillioTi Pfund im Jahr betragen. Die allgemeine wirtschaftliche Lage und politische Einflüsse werden die mehr oder weniger häufige Notwendigkeit der Stundung bestimmen.

Den Vereinigten Königreichen schreibt das Abkommen in keiner Weise vor, wo und wie die Dollars verwendet werden sollen. England mußte sich lediglich verpflichten, sie nicht zu Schuldzahlungen ah dritte Länder zu verwenden, die zur Zeit der Zeichnung des Abkommens bestehen. Den amerikanischen Unterhändlern stand dabei der Gedanke vor Augen, England zu verhindern, das Geld zum Zahlen der 11-Milliarden-Dollar-Schuld von „blockierten Sterlingbeträgen“ zu verwenden, und zu erreichen, daß Britannien zumindest so viel : m Jahr importiert, wie es von der USA ausleiht.

Bezüglich der vorhandenen Schulden an „blockierten Sterlingbeträgen“ verpflichtet sich Großbritannien im Abkommen, zu einem möglichst nahen Zeitpunkt Vereinbarungen mit den Empireländern zu treffen. Amerika ist daran interessiert, daß diese Empiraforderungen in gewisser Hinsicht wie die Pacht-Leih-Forderungen behandelt werden, so daß zumindest ein Großteil abgeschrieben wird. Ein Kommentar einer indischen Zeitung zeigt jedoch, daß gewisse politische Schwierigkeiten im Innenverhältnis der Empireländer in dieser Frage eine Rolle spielen, da darinnen jeder Versuch einer Abschreibung von Indiens „blockierten Sterlingguthaben“ in London „schier als Raub“ bezeichnet wird.

Es geht über den Rahmen dieser Abhandlung hinaus, zu untersuchen, wie weit der Punkt des Vertrages über Verbot von Vorzugspreisen bei gegenseitigem Handelsverkehr das Empire-Präferenzsystem oder das Zollsystem der Vereinigten Staaten beeinflußt.

Es kann jedoch abschließend gesagt werden, daß im Abkommen noch keineswegs bindende Grundsätze enthalten sind, die die größere Wirtschaftseinheit Großbritanniens endgültig in ein multilaterales und internationales System einfügen. Es ist eine beachtliche Tatsache, daß nicht nur das besprochene Finanzabkommen, sondern auch die damit zusammenhängenden Abmachungen von Bretton Woods und die Vorschläge für übernationale Handelsorganisationen (State department: „Proposais for expansion of work, trade and employment“) keine definitiven Bestimmungen für Kontrollen enthalten, die bei Nationalwirtschaften oder Großräumen als notwendig erachtet wurden, um das hohe Ziel voller Produktion, voller Beschäftigung und einer Verstärkung des Handelsumsatzes zu erzielen.

Durch Annahme des Finanzabkommens ist jedoch Großbritannien in die Lage versetzt, die hoffnungsvollen Ansätze von Bretton Woods durch aktive Mitarbeit zu erweitern; denn nach Ansicht maßgeblicher amerikanischer Wirtschaftler wäre die Labourregierung im Falle der amerikanischen Ablehnung des Vertrages gezwungen gewesen, innerhalb des eigenen Wirtschaftsraumes nicht an der Durchführung der Bretton-Woods-Vereinbarungen mitzuarbeiten.

Die Hoffnung Europas jedoch ist es, daß unter allen Umständen vermieden wird, daß sich mitten durch den Kontinent eine einschneidende wirtschaftliche Grenzlinie hinzieht und uns daher nur bedingt an einer übernationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit teilnehmen läßt.

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