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Entscheidung am Reifen

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Der bevorstehende Wechsel an der Spitze des Unterrichtsministeriums wird sich unter ungewöhnlichen Umständen vollziehen. Nicht eine Minister-, nicht eine Regierungskrise, nicht ein akuter Konflikt verursacht ihn. Dr. Ernst Kolb verläßt seinen Amtssitz am Minoritenplatz, weil ihn seine Vorarlberger Heimat ruft und geltend macht, daß sie ihn für landeswichtige Aufgaben braucht. Für den Gerufenen ist charakteristisch, daß er, der sein Amt in der Zentralregierung mit Geist und Charme leitete und bei einem sehr kärglichen Budget vor aller Welt das kulturelle Profil Oesterreichs zu formen wußte, mit dem des Landeshauptmann-Stellvertreters des „Ländle" willig vertauscht. Er verzichtet auf die höhere Würde', um bescheiden und treu dem Heimatvolke zu gehorchen. Ein echter Demokrat. . ….

Das Amt, das Ernst Kolb führte, ist ein schweres Amt. Er war als Handelsmini’stet in die Regierung getreten. Mit welcher eleganten Selbstverständlichkeit er nach der Uebernahme des Unterrichtsamtes aus der völlig, anders gearteten merkantilen Sphäre die Uebersiėdlung in die kulturpolitische vollzog, war für den Beobachter ein spannendes Schauspiel. Spöttern, die am Wege standen, hat er, ohne Worte zu machen, das Spotten bald abgewöhnt. Auch nicht die Geschichte der Ministerien der Kaiserzeit hat ein Beispiel eines ähnlich verlaufenen Ressortwechsels. Unter den zentralen Staatsämtern ist das Unterrichtsamt wie kein anderes mit scheinbar unbeweglich festgefahrenen, scharfkantigen Problemen zum Schaden des Gemeinwohles und des Verfassungslebens belastet. Hier ist noch immer ein wirklicher Ausgleich zwischen weltanschaulichen und parteipolitischen Stellungen der großen Parteien ausständig. Offenbar ist es leichter, sich über animalische Bedürfnisse und leichter sich über Export und kommerzielle Liberalisierung zu verständigen als über die geistigen und seelischen Lebenserfordernisse des Menschen, mag auch die Bestätigung dieser Alternative eine fatale Fehlentwicklung der Demokratie darstellen. Mit diesem Lagebestand hat der scheidende Führer des Unterrichtsamtes tapfer gerungen, immer der aufrechte bekenntnistreue katholische Mann, dessen Wirken aus unerschütterlichen Ueberzeu- gungen hervorgeht. Es war nicht seine Schuld, wenn manche schon aufgelockerte und zu Erwartungen berechtigende Stellung wieder verschüttet wurde.

Sein Nachfolger wird kein Fremdling in den Gefilden, die ein Minister für Unterricht — den vollständigeren Titel „Kultus und Unterricht" hat die österreichische Republik wenig sachgemäß verkürzt — zu betreuen hat. Der junge Dr. Heinz Drimmel erlebte die harte Lebensschule eines Werkstudenten, bevor er in die Beamtenlaufbahn eintrat. Als Vertrauensmann der jungen Akademikergene- ration wurde er Sachwalter der Oesterreichi- schen Hochschülerschaft vor dem letzten Kriege; als Sekretär des Unterrichtsministers Dr. Hurdes, als Leiter der Sektion Hochschulverwaltung im Unterrichtsministerium wurde Drimmel eine der ersten Fachkräfte der Unterrichtsverwaltung. Auch die Kultussektion wurde ihm zugewiesen. Mit ihm ist aus der österreichischen Beamtenschaft einer ihrer Besten nach vorne gerufen. Er kommt nicht aus dem Parteiwesen der Republik. Das kann, wie Beispiele der Vergangenheit zeigen, eineGefährdung bedeuten, wenn dann in kritischen Situationen die parlamentarische Deckung versagt, weil der Fachmann in dem oder jenem politischen Brettspiel ausgestochen worden war. Man darf darauf vertrauen, daß die Volkspartei, die jetzt einen. ausgezeichneten Beamten für größte Aufgaben einsetzt, dafür auch ihrer Verantwortung bewußt ist.

Für das Außerordentliche und das Außer-' gewöhnliche dieser Berufung darf man die Begründung erblicken in sachlichen Motiven von großer Bedeutung. Oesterreich ist in den letzten Jahren aus der Aera der Nachkriegszeit und ihrer Improvisationen herausgetreten. Zuerst begann man klug und erfolgreich die Finanzen und die Wirtschaft zu untermauern. Jetzt ist es hohe Zeit, mit allem Ernst und aller Kraft das kulturelle und geistige Gefüge unseres Staates zu befestigen und an die Stelle einzelner Aktionen eine planmäßige umfassende gesetzgeberische Arbeit zu sėtžen, die der Schule und einer aktiven Kulturpolitik zugewendet ist. Deshalb die Berufung eines Fachmannes, der. wohl vertraut ist mit. den Klippen, die überall auftauchen, wo es um Schule, Erziehung, Hochschulreform, Kulturpolitik der öffentlichen Hand geht. Ein Ende finden soll auch das Knausern um die geistigen Existenzbedürfnisse unserer akademischen Jugend, um eine wissenschaftliche Elite, aus der schon viel zu viele abgewandert sind, die nun im Ausland, da sie in der Heimat nicht Platz fanden, höchste Stellen einnehmen, nicht zu reden von den Forschungsanstalten, die in Oesterreich keine Unterstützung erhalten konnten und die nun ihren Gastländern reiche Früchte durch die industrielle Auswertung ihrer Grundlagenforschung einbringen.

Und noch eines und das Wichtigste: Es wäre cn erfreuliches Zeichen staatspolitischer Einsicht und innenpolitischer Konsolidierung, wenn jetzt aus der innerösterreichischen Entwicklung der letzten Jahre die Konsequenzen gezogen würden. Es sollte doch endlich innerhalb der Koalitionsparteien die Erkenntnis siegen, daß ohne schweren Schaden für Staat und Volk nicht der dauernde Kriegszustand um die Grundsatz- und Gewissensangelegenheiten des katholischen Volkes etabliert bleiben darf, ein Kriegszustand, der dann für den einen Teil um so verletzender ist, wenn seine Beendigung von dem anderen Teilhaber an der Staatsführung kein Opfer seiner Rechtsgrundsätze und keine Minderung seiner politischen Stellung umschließt.

Die letzten Wahlen haben deutlich dargetan, daß die Koalition der beiden großen Parteien für absehbare Zeit das einzige tragfeste System darstellt. Das ist gut so. Politik und öffentliches Leben werden nicht lauterer, sauberer und charaktervoller, wenn irgendeine kleine dritte Potenz zum sogenannten Zünglein an der Waage wird, dessen Schwankungen häufig, wie genugsam demonstriert worden ist, mehr von Konjunktur und Interessen des politischen Konzertes bestimmt werden als von sachlichen Gründen. Man hat gerne Akt genommen von dem jüngst aus sehr sorgfältigen Erwägungen des sozialistischen Zentralorgans aufklingenden Worte, daß der Bestand des Staates auf der jetzigen Koalition beruht, eines Systems, das Geschicklichkeit, Geduld und Zugeständnisse erfordere. Der Satz ist richtig. Doch wenn das Arbeitsbündnis der beiden großen Parteien seinen Sinn und seine Legitimation aus dem Dienst am Staate empfängt, dann ist es not wendig, daß kein Partner gegen den Sinn der Koalition von dem anderen Opfer auf Kosten der Grundsätze und der Herzensangelegenheiten der hinter ihm stehenden Volksmassen begehrt. Es wäre einigermaßen primitiv und falsch, die Gegensätze, welche die beiden Koalitionspartner trennen, einfach mit den Begriffen „konservativ-reaktionär" und „fort schrittlich" abstecken zu wollen. Aber die Koalition erhält Sinn und Seele und Kraft einer zu großen Aufgaben berufenen Arbeitsgemeinschaft, wenn sie auf dem Respekt vor den fundamentalen Grundsätzen des Partners und auf der Herstellung eines redlichen loyalen Nebeneinander beruht. Die Zeit wäre reif, diese Basis zu befestigen.

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