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Entscheidung im August

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Der Kremlgewaltige war ün Frühling dieses Jahres in Bulgarien gewesen. Er hatte dort nach dem Rechten gesehen (und dabei zu viel Allzulinkes entdeckt). Doch er glaubte, warten zu können. Erst im August dürfte der Entschluß gefaßt worden sein, in Sofia gründlich Ordnung zu schaffen. Der für jenen Monat anberaumte 8. Parteikongreß wurde vertagt; mehrmals und schließlich bis zum 5. November. Auf dieser Tagung der höchsten Parteiinstanz sollte ein umfänglicher Wirtschaftsplan auf 20 Jahre beraten werden. Man bereitete ferner eine Revision des Parteistatuts vor. Einige Formulierungen dieser neuen Magna Charta des bulgarischen Kommunismus waren für den Kenner des Parteijargons deutlich genug; so vor allem der Kampf gegen den Personenkult, als eine der Hauptaufgaben eines untadeligen Genossen. Eine Sitzung des Zentral-Komitees, über deren eigentlichen Zweck nichts an die Öffentlichkeit drang, hatte am 14. September den Wissenden das Kommende noch klarer angekündigt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich im Angesicht der sich heranwälzenden Vernichtungsmaschine Tscherwenkoff. der bereits aller Parteiwürden entkleidet war, Jugoff und Cankoff, einst untereinander grimmig verfeindet, wirklich zusammenfanden, um dem Verhängnis zuvorzukommen. Es ist ihnen aber nicht gelungen, ihm zu entgehen. Nach einem letzten großen Krach, der eben durch die Kritik der Jugoff und Cankoff Nahestehenden ausgelöst wurde, flog Schipkoff am letzten Oktobertag in die Sowjethauptstadt, wo ohnedies die Parteiführer der Satellitenstaaten einzeln zum Rapport hinbefohlen waren. Dabei ist im Gespräch mit Chruschtschow das Urteil gefallen oder eher das von Schipkoff vorgelegte Verdikt bestätigt worden.

Heimgekehrt, ließ der Erste Parteisekretär Bulgariens den Ministerpräsidenten am 2. November in aller Form absetzen, aus dem Politbüro, zusammen mit Cankoff ausschließen und den Gerichten zur Prüfung der Amtstätigkeit überstellen. Die gestürzten Größen, deren Bild in aller Eile aus dem Festsaal entfernt wurde, in dem der Parteikongreß tagen sollte, sind seit einer Woche unter Hausarrest: in Erwartung weiterer Maßnahmen. In der fünfstündigen Eröffnungsrede, die Schipkoff vor dem Kongreß hielt, wurde nach einem Bericht über den Zwanzigjahrplan, zur größten Überraschung der meisten Parteigenossen und noch mehr der Öffentlichkeit, Jugoff, Cankoff und einige weitere Mitschuldige als „brutale Verbrecher gegen die sozialistische Gesetzlichkeit“ entlarvt. Und wie das so in kommunistischen Ländern Sitte ist, wurden sie plötzlich der schlimmsten Untaten angeklagt, dann in eine zurückdatierte sträfliche Gemeinschaft gebracht, die nie bestanden haben kann. Jeder, der über ein nicht zu kurzes Gedächtnis verfügt, wird sich dessen entsinnen, daß Tscherwenkoff und Jugoff zueinander wie Hund und Katze standen, daß es sich ähnlich zwischen Jugoff und Cankoff verhielt. Wenn, wohl mit Recht, der 1949 hingerichtete Kostoff als unschuldig bezeichnet wird, wendet man gegen den einstigen Mitschuldigen an dieser schändlichen Untat, Jugoff, ähnliche Methoden an, wie sie dieser gegen Kostoff verwendet hatte. Und zudem dies: Jugoffs Ankläger haben viele Jahre mit diesem Verbrecher und mit dessen Kumpanen in einer Regierung gesessen.

Die wahre Ursache des Entschlusses, so spät Sühne für die besagten „brutalen Verletzungen der sozialistischen Legalität“ zu fordern, blitzt sofort hervor, sobald wir die beiden nächst Jugoff und Cankoff wichtigsten Neuverdammten unter die Lupe nehmen: Russi Christoschoff, vormals Chef des Planungsamtes und in diesem Frühjahr als Botschafter nach Pankow abgeschoben; vor allem aber Georgi Kum-bilieff — Exaußenhandelsminister, ebenfalls in diesem Lenz abgesägt und zum Botschafter in China ernannt. Es sind eben die offenen und die getarnten Vertreter der chinesischen Partei, die daran glauben müssen. Hinter ihnen trachten andere mögliche Opfer der Proskription, die Haut und womöglich den hohen Posten zu retten. Denn Schipkoff möchte die Gelegenheit benützen, um ringsumher die noch aufragenden Träger eines in der Politik Bulgariens angesehenen Namens loszuwerden. Da hilft nur schnelle Selbstkritik samt reuigem Schuldbekenntnis. Rajko Damianoff hat beides vor den Parteikongreß vorgebracht. Wird er Vizeministerpräsident bleiben? Generaloberst Michailoff scheint ins Wanken zu kommen, und sogar das Staatsoberhaupt. Dimitri Ganev, sitzt nicht sehr fest auf seinem Fauteuil.

Inzwischen wird der Sofioter Kongreßsaal Schauplatz kaum noch verhüllter Redekämpfe zwischen Sowjetleuten samt Anhang und dem chinesischen Delegierten Wu Schu Tschuan. Die auswärtigen Delegationsführer promoskauer Tendenz, voran der sowjetische Chefideologe Suslow und dessen polnischer Kollege Zambrowski, stärken Schipkoff den Rücken. Eine neue Equipe wird sichtbar, die sich um Schipkoff schart. Deren nun in den Vordergrund drängendes Mitglied, Stanko Todoroff, der als einziger Vizeministerpräsident von Format an der Seite des Ersten Parteisekretärs übriggeblieben ist und der neben diesem auf dem Kongreß das große Wort führt, der zudem durch einen am Tag von Ju-goffs Sturz in der Moskauer „Prawda“ veröffentlichten Artikel über die Lage in Bulgarien als besonderer Günstling des Kremls designiert worden ist, er kann sich bald ab neuer Nebenbuhler Schipkoffs entpuppen. Diese Personenfrage tritt allerdings, ebenso wie nach dem Schicksal Jugoffs und seiner nun als Sündenböcke mit ihm und Tscherwenkoff in Acht und Bann getanen Mitverbrecher, vor den sachlichen Problemen in den Schatten. Mag speziell Jugoff mit aller Wahrscheinlichkeit dem Strick und vielleicht gar einer langen Haft entrinnen — man ist ja, ... wenn alle Stricke gerissen sind und sogar wenn man ein paar Jahre Kerker gefaßt hat, nicht umsonst Schwiegervater von Chruschtschows Herzensfreund, des großen sowjetischen Dichters Scholochow; was bedeutet das neben den beiden weltpolitischen Aspekten der bulgarischen Haupt- und Staatsaktion? Denn in Sofia sind zwei Konsequenzen und Ursachen des Schichtwechsels offenbar geworden-die unter Chruschtschows Patronanz geschehende Annäherung Bulgariens an Jugoslawien (das den Sieg Schipkoffs freudig begrüßte) und vor allein die Erweiterung des Risses zwischen Moskau und Peking, das hier, wo es hart auf hart ging, von seinen heimlichen Freunden, den unsicheren Kantonisten, Tschechoslowakei und Rumänien, im Stich gelassen und verleugnet wurde.

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