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Er ist Opfer einer wilden Hetzjagd

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Der Mörder des israelischen Ministerpräsidenten schwamm auf einer Anti-Rabin-Welle. Soviel zur Frage, wie das passieren konnte, die wir uns angesichts dieses Polit-Mordes und im Falle Österreichs angesichts der Briefbombenserien stellen.

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Der Mörder des israelischen Ministerpräsidenten schwamm auf einer Anti-Rabin-Welle. Soviel zur Frage, wie das passieren konnte, die wir uns angesichts dieses Polit-Mordes und im Falle Österreichs angesichts der Briefbombenserien stellen.

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Jigal Amir (27) aus Herzlia, nördlich von Tel Aviv, fiel bis zu seiner Mordtat eigentlich durch so gut wie nichts unter Hunderten, wenn nicht Tausenden anderen Studenten seiner Art auf. Er belegte das dritte Semester des Jus-Studi-ums, war für seine „rechten” Ansichten bekannt und unterschied sich auch darin in nichts von der großen Mehrheit der Studenten der Bar-Ilan-Uni-versität.

Diese Universität wird vor allem von religiösen Studenten besucht, ja sie gilt nahezu als eine akademische Hochburg der jungen religiösen, aber auch weltlichen Elite, wobei es von Interesse sein mag, daß einige Professoren in der „rechten” Politik engagiert sind. Angeblich soll man besagten Amir bereits einige Male beim Kleben von Plakaten der „Kach”-Par-tei, der rechtsextremen Partei von Meir Kahane, beobachtet haben, der durch Richterspruch verboten wurde, an den letzten Knessetwahlen teilzunehmen.

Da eine Beteiligung an politischen Aktivitäten in jedem Campus verboten ist, erhebt sich die Frage, warum Amir von den Universitätsbehörden nicht gemaßregelt wurde. Eine zweite Frage ist noch wichtiger - nämlich: War der persönliche Schutz Rabins ungenügend?

Politische Attentate, vor allem versuchte, hat es auch früher in Israel gegeben. Meistens mißlangen die Versuche, wie zum Beispiel jener, Ben-Gurion zu ermorden. Es wurde auch versucht, den vorletzten Premier, Jizchak Schamir, anzugreifen; in den fünfziger Jahren wurde einmal ein Minister getötet. Ebenfalls in genanntem Jahrzehnt erschossen zwei junge Attentäter Rudolf (Re-zsö) Kastner, der 1944 und 1945 versucht hatte, ungarische Juden aus den Klauen Eichmanns zu retten und dabei notgedrungen mit Eichmann persönlich verhandeln mußte.

Was den Mord an Jizchak Rabin betrifft, standen die Zeichen seit mehr als einem Jahr bereits auf Sturm. Ein zweiter „Kandidat” war und ist übrigens Schimon Peres, der jetzige temporäre Ministerpräsident. Gegen Rabin wurde seit Oslo eine wilde Hetzjagd eröffnet. Auf Tausenden von Plakaten wurde er als „Verräter” bezeichnet, als „Lügner”; und noch während des letzten Wahlkampfes auch - verhältnismäßig milde - als „Säufer” oder „Besoffener”.

Das Schamloseste und Aller-zynischeste war ein Plakat mit einer Fotomontage von Rabin in SS-Uniform, das während einer Demonstration gezeigt wurde. Die Hetze machte beileibe nicht bei Jizchak Rabin und Schimon Peres halt. Vor einigen Wochen versuchte, allerdings ohne „Erfolg”, ein junger Fanatiker mit seinem Auto den Wagen von Umweltminister Jossi Sarid zu überholen und zwar so, daß der Ministerwagen an das Ende der steilen Straße gedrückt wurde, mit der Absicht, ihn in einen tiefen Abgrund zu stürzen. Ministerin Schulamit Aloni wurde bei einer öffentlichen jüdischen Veranstaltung in New York von einem ehemaligen Israeli auf der Ehrentribüne physisch angegriffen. Bauten- und Wohnminister Ben-Eliezer wurde während einer Fahrt in Jerusalern beinahe aus dem Auto ge-zerrt, er entkam seinen Angreifern nur in letzter Minute.

In zahlreichen Synagogen werden jeden Samstag in Predigten von einigen - beileibe nicht allen - Rabbinern Flüche, Verwünschungen und Exkommunizierungen gegen die „verbrecherische” Regierung geschleudert, die es wage, „Teile des Landes Israel an die arabischen Mörder zu verkaufen”. Der starken rechten Opposition fällt es schwer, die Grundregel der Demokratie zu akzeptieren, daß die Mehrheit, und sei sie noch so klein, eben doch eine regierungstragende Mehrheit ist, die Beschlüsse fassen und in Taten umsetzen kann und darf.

Nächster Mord ist schon zu riechen

Selbstverständlich beinhaltet das Programm der größten Oppositionspartei, des Likud, sowie der übrigen kleineren rechten Parteien keine Ideologie der Attentate. Aber unter der Ägide des jetzigen Likud-Vorsitzen-den Benjamin Netanjahu wurde geduldet, daß sich Hunderte von rechtsextremen Anhängern der Kahane Partei „Kach” mit ihren gelben Hemden in die Li-kud-Demonstrationen einmischen und den Eindruck erwecken konnten, als seien sie der authentische Ausdruck des Likud. Netanjahu und ein Teil der Führung des Likud ließen zynisch ihre Demonstrationen von den Badikalen mißbrauchen - Hauptsache es ging gegen die Regierung Rabin-Peres.

Aber auch im Likud gibt es besonnene Stimmen, wie die von Benjamin Zeew Begin, dem Sohn des verstorbenen Ministerpräsidenten, oder die des ehemaligen Justizministers Dan Meridor, die Netanjahu vor solcher Politik scharf warnen und die verstehen, daß sich ähnliches morgen auch gegenüber einer Likud-Regie-rung wiederholen kann.

Die allgemeine politische Atmosphäre ist derart aufgeheizt, daß man den nächsten Mord um die Ecke bereits riechen kann. Vielleicht wird nach dem Mord an Rabin eine Denkpause eintreten, aber die übelriechenden Schwaden von Pech und Schwefel sind bereits spürbar. Ist es denn ein Wunder, wenn in solcher Atmosphäre ein oder ein Dutzend junger, verbohrter, aber sonst als „normal” geltender Leute bis zur Gluthitze aufgehetzt werden, bis hin zu einem Brudermord?

Viele meinen, daß Mena-chem Begin, hätte er bei einer Demonstration das Rabin-Bild mit der SS-Uniform erblickt, sofort seine Autorität genützt und einfach befohlen hätte, das Plakat habe auf der Stelle zu verschwinden. Daß „Bibi” Netanjahu dieses und anderes unterlassen hat, bringt ihm nun den Ruf eines hemmungslosen Zynikers ein. Als die Menge vor dem Ichilov-Krankenhaus erfuhr, daß Rabin soeben verschieden sei, wurde ein Transparent herumgezeigt, das besagte: „Bibi! Das Blut Rabins klebt an deinem Kopf!”

Der Mörder oder dessen geistige Hintermänner ist/sind stolz, Rabin ermordet zu haben. Er oder sie glauben, damit dem Friedensprozeß den Garaus gemacht, den „Ausverkauf” Erez Israels nicht hingenommen zu haben. Sicherlich gibt es eine Minderheit - es mögen vielleicht fünf bis zehn Prozent der jüdischen Bevölkerung sein —, die den Mord begrüßen. Ich selbst habe mit solchen Leuten am Tage nach dem Mord gesprochen. Diese kommen meist aus den weniger gebildeten Schichten der Bevölkerung und - überraschend unerwartet -nur zu einem kleinen Teil aus der Gruppe der West-Bank-Siedler, die größtenteils und sogar hochoffiziell den Mord verurteilen.

Nicht ganz zu Unrecht befürchten die Siedler, daß ihnen der schwarze Peter des Anhei-zens des Anti-Rabin-Klimas zugeschoben werden könnte.

Jizchak Rabin war bei Lebzeiten populär. Aber der ermordete Rabin wurde noch im Augenblick seines Ablebens zur Legende. Seine unversöhnlichsten politischen Widersacher kamen zum Abschied an seinen Sarg. Politisch hat der Mörder genau das Gegenteil von seinem Ziel, den Friedensprozeß zu stoppen, erreicht: Noch nie war der Friedensprozeß so populär wie gerade jetzt, noch nie war die Politik der Arbeiterpartei so unumstritten wie nach dem feigen Mord. Das heißt allerdings nicht, daß diese Einigkeit nicht wieder dem garstigen politischen Alltag Platz machen wird. (Zur Stimmung in Israel siehe Seite J).

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