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Erben oder Ahnen?

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IM FRÜHLING DER GESCHICHTE. Von Otto von Habsburg. Verlag Herold, Wien 1961. 293 Seiten. Preis 75 S.

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IM FRÜHLING DER GESCHICHTE. Von Otto von Habsburg. Verlag Herold, Wien 1961. 293 Seiten. Preis 75 S.

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„Wir freien Europäer dürfen uns nicht begnügen, Erben zu sein; unsere Aufgabe ist es, als Ahnen in die Geschichte ein- zugehen.“ Mit diesen Worten schließt Otto von Habsburg die Einleitung zu dem Buch „Im Frühling der Geschichte"! Das Buch enthält eine Reihe im Grundthema miteinander verbundener Abhandlungen: Gibt et ein lugendproblem? — Seele und Sendung’Europas — Der Politiker — Der Kaiser — Das Reich — Volk und Volkstum in europäischer Wirklichkeit — Sinn und Aufgabe der natürlichen Gemeinschaften — Familienpolitik im Zeitalter der technischen Revolution — Das Landvolk im 20. Jahrhundert. Der Titel ist einem Ausspruch Papst Pius’ XII. aus dem Jahre 1958 entnommen: „Macht euch Unsere Hoffnung zu eigen und sagt allen: Wir leben in einem Frühling der Geschichte.“

Den Ablauf der Geschichte mit dem des Jahres und seiner Zeiten zu vergleichen, entspricht eigentlich der morphologischen Geschichtsbetrachtung Spenglers, der Lehre von den Zyklen, wie sie die konservative Revolution vertrat. Wie lange solch ein Zyklus dauert, ob seine Jahreszeiten Jahrhunderte oder Jahrtausende oder nur wenige Menschenalter umfassen, ist ein Streitpunkt zwischen den Verfechtern dieser Teorie. Friedrich Hiel- scher nennt unsere Zeit einen Winter der Geschichte. Der neue Frühling werde vielleicht erst nach 200 oder 300 Jahren an- brechen. Aber gerade im Winter, sagt er, wachsen die Saaten unter dem Schnee. Das Neue ist schon da, wir sehen es nur noch nicht, und es könnte die schützende Decke nicht überleben. Was Otto von

Habsburg meint, dürfte von dieser Auffassung nicht so weit entfernt sein. Auch er sieht Ansätze des Neuen, keim- und entwicklungsfähige Saaten, aber er ist sich durchaus im klaren darüber, welche Gefahren ihnen drohen und welcher Anstrengungen es bedarf, diese Gefahren ab- zuwehren. Der optimistisch klingende Titel kann leicht täuschen. Der Verfasser ist keineswegs ein Technoromantiker. Im Gegenteil. Man darf ihn einen christlichen

Realisten nennen, der die Wirklichkeit sieht und die Bedrohung der Epoche durch die größere Aktivität des Bösen erkennt.

Otto von Habsburg bricht eine Lanze für die heutige lugend. „Es gibt heute kein spezifisches Jugendproblem. Die Jugend ist nicht Subjekt, sondern Objekt bestehender Spannungen. Diese gehen vor allem die erwachsene Generation an." Die herrschende Schicht müsse mit der Gewissenserforschung bei sich, nicht bei ihren Kindern beginnen, wenn die Untersuchungen nicht im Sande verlaufen sollen. Nur wer ein Programm der politischen Erneuerung, der moralischen Säuberung und der sozialen Gerechtigkeit habe, könne die Jugend gewinnen. Gegen die Sterilität der gegenwärtig regierenden Schichten wendet sich der Verfasser immer wieder. Die Religion dürfe sich nicht in ein Getto sperren. „Religion muß gelebt werden." Wir brauchen ein neues sozialpolitisches Konzept. Die Sozialcthik läuft heute in den Bahnen des 19. Jahrhunderts, wird als reines Problem staatlicher Fürsorge mißverstanden. Er spricht von „Sozialromantikern". Wir sind auf dem Wege zur klassenlosen Gesellschaft. „Der einzelne trägt die Verantwortung. Er muß beginnen.“ Er erinnert an Winfried-Boni- fatius, an Johanna von Lothringen. „Eines Tages erkennt sich das Volk in diesen Vorkämpfern und begreift seine Mission, und mit dem Glauben an seinen Auftrag wachsen ihm Flügel und strömt die Kraft zu geschichtlicher Tat in seine Seele.“ Was sich heute Politiker nennt und uns führt, entspricht leider meist nicht diesem Ideal. Die Politik gibt uns keine Vorbilder. Man nennt sich Staatsmann, ohne es zu sein. Es fehlt der Wille, der Gemeinschaft zu dienen. Nur vom Religiösen her kann die Politik gesunde Impulse erhalten.

Am Beispiel Karls V. zeigt Otto von Habsburg, worin das Ewige am Kaisergedanken zu finden ist. Karl V. verkörpert ein politisches Programm. Der Kaiser dürfe kein territorialer Herrscher sein. Als der Kaiser von Österreich 1867 seine Kaiserwürde in Parallele zum ungarischen Königstitel setzte und diesen als gleichwertig anerkannte, sei es mit der Mission des internationalen „Arbiter", des Schiedsrichters, zu Ende gewesen. Karl V. weist uns — Otto zitiert Carl J. Burckhardt und Peter Rassow — den Weg zum Verständnis neuer politischer Aufgaben. „Die Realitäten von 1556 sind heute Gespenster. Es gilt, die neuen Wirklichkeiten zu entbinden", also gegen Nationalismus, Materialismus und Imperialismus eine christliche Ordnung der Welt zu erkämpfen. Im Bilde des „Reiches" spiegeln sich das alte wie das neue, das ewig sich gleichbleibende Leitbild vom gerechten Staat und von der gerechten Völkerord- nung. „Es gibt keine deutsche Reichsidee mehr, die für sich allein Zukunft hätte. Nur ein großes abendländisches Reich, ein freier Bund freier Völker, wird im Atom- Zeitalter Geschichte machen können." Auch das Zusammenleben der Völker stellt uns im Zeitalter der Atomwirtschaft, der absoluten Freizügigkeit, des Verkehrs mit Ultraschallgeschwindigkeit und der Weltraumfahrt vor neue Aufgaben. Volk, Staat, Nation müssen neu gedacht werden, damit wir sie in größere Ordnungen einbauen können. Wichtig wird es dabei sein, den Wert und den Sinn der „natür lichen Gemeinschaften" zu begreifen, ohne deren Bewahrung wir dem Superstaat erliegen würden. Die Lebensfrage der Demokratie ist nicht die Durchsetzung des Mehrheitswillens, sondern der Schutz der Minderheit, die Verwirklichung einer gerechten Ordnung auch für die Schwachen. Nur durch die Sicherung der natürlichen Gemeinschaften, also durch richtig verstandenen Föderalismus, läßt sich eine wirkliche Demokratie schaffen. „Der Mensch hätte nichts gewonnen, wenn er wohl den höchsten Lebensstandard erreichen könnte, dafür aber seine Rechte, seine Freiheiten, also seine Seele, verlieren müßte." Die wichtigste dieser Gemeinschaften ist die Familie. Die Schwächung der Familie ist eine der entscheidenden Ursachen unserer Katastrophen in diesem Jahrhundert. Die technische Revolution ist ambivalent. Sie kann die Fa-

milie völlig zerstören, sie kann aber auch die Bahn freimachen für ihre Stärkung.

In großen Umrissen zeigt Otto von Habsburg, wie eine neue Gesellschaft, ein neuer Staat und eine neue Ordnung der Wirtschaft aussehen könnten, wenn die gewaltigen Kräfte des Atomzeitalters entbunden und zugleich gewisse ewig gültige Gesetze der Schöpfungsordnung bewahrt werden sollen. Der Marxismus behauptet, daß es genüge, die Produktionskräfte zu entfesseln. Auf dem ökonomischen Unterbau entwickle sich von selbst eine neue Gesellschaft mit der ihr eigenen Moral. In Wahrheit formt der Marxismus-Kommunismus die neue Gesellschaft und die neue Ökonomie nach seinem Bilde und deterministisch: als Welt des kollektiven Termitenmenschen und einer Oligarchie der Gottesfeinde.

Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Klärung der Begriffe, eine Handhabe für den politisch tätigen Christen, aber auch für alle Menschen, denen Friede und Gerechtigkeit ein inneres Herzensbedürfnis sind.

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