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Erhards Gang nach Washington

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Die Reise des Bundeskanzlers Erhard nach den Vereinigten Staaten erfolgt zu einem Zeitpunkt, der Entscheidungen fordert, Entscheidungen, auf beiden Seiten. Dabei ist zu beachten, daß eine Entscheidung, die für die deutsche Politik von höchster Wichtigkeit ist, bereits seit längerem lautlos gefallen ist. Das Junktim zwischen Abrüstung und Wiedervereinigung besteht nicht mehr. Adenauer hatte dieses Junktim dem damaligen Präsidenten Eisenhower und dessen Außenminister Foster Dulles abgerungen, bevor die zwei im Sommer 1965 zur Gipfelkonferenz nach Genf fuhren. In der Folgezeit war das Junktim von den Westmächten stets nachdrücklich vertreten worden. Inzwischen ist es jedoch Bonn aus den Händen geglitten. Im Jahre 1964 hat Erhard nach einem Besuch bei Johnson unter anderem den Satz unterzeichnet, Schritte zur Abrüstung könnten auch der Wiedervereinigung nützlich sein. Damit war ein eventueller Vorrang der Abrüstung vor der Wiedervereinigung anerkannt.

Das Bundeskabinett in Bonn hat die Amenikareise in wiederholten Beratungen vorbereitet. Auch Meß Außenminister Schröder im Auswärtigen Amt eine Analyse der kürzlichen Bundestagsdebatte erstellen, wohl um sicherzugehen, daß das Auftreten Erhards in Washington möglichst im Einklang mit der Mehrheit des Parlaments stehe. Bei diesen Vorbereitungen hat sich die Auffassung Schröders durchgesetzt. Sie ist im Bundestag und in der Öffentlichkeit umstritten und war dies auch im Kabinett. Aber als es darum ging, die Konzeption zu entwerfen, mit der Erhard nach den USA fahren soll, da war Schröder der einzige, der im Kabinett umfassende Vorstellungen präsentierte. Eine Alternative wurde nicht vorgebracht.

Der Verbündete Nummer eins

Demnach wird die amtliche Bonner Außenpolitik aller Voraussicht nach künftig davon ausgehen, daß die USA weiterhin der Verbündete Nummer eins sein sollten. Die Stimmung in der Bundesrepublik ist insoweit einheitlich, daß Deutschland und Europa ohne die Anwesenheit und Einsatzbereitschaft der USA dem Druck aus dem Osten auf die Dauer nicht gewachsen wären. Nur haben alle amerikanischen Versicherungen und Handlungen der letzten Jahre eine deutsche Sorge nicht auszuräumen vermocht. Es ist die Frage, ob die USA im entscheidenden Augenblick bereit wären, ihre Langstreckenraketen auf Sowjetrußland abzufeuern, um einen Angriff auf europäisches — lies: in erster Linie deutsches — Gebiet anzuhalten beziehungsweise zurückzuschlagen. Die deutsche Überlegung geht einfach dahin, der amerikansiche Präsident könnte in solchem Augenblick den Einsatzbefehl hinausschieben, wenn nicht versagen, um das Gebiet der USA vor einem sowjetischen Gegenschlag zu bewahren.

Deshalb bewegt sich die interne und öffentliche Diskussion in Westdeutschland zunehmend darum, wie trotzdem der Schutz der Bundesrepublik sichergestellt werden könne. Die einen — so Schröder — wollen sich auf die USA verlassen, streben jedoch zur Absicherung eine möglichst effektive deutsche Mitbestimmung an. Dabei lautet ihre Formel, daß Mitbesitz noch zweckmäßiger als Mitbestimmung wäre. Die anderen — so F.-J. Strauß — meinen, Europa müsse sich selbständig machen.

Befürchtungen der Verbündeten

In jedem Fall stößt die deutsche Diplomatie bei ihrem Bemühen, die deutsche Mitbestimmung zu verwirklichen, auf Widerstände, die tief sitzen. Auch enge und wohlwollende Verbündete der Bundesrepublik zögern nicht mehr, Deutschen die gleichen Argumente ins Gesicht zu sagen, die schon im Herbst 1954 vor dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine beträchtliche Rolle spielten. Man glaubt — namentlich in Frankreich — in seine langfristigen Überlegungen einbeziehen zu müssen, die Deutschen würden nach Gewährung der atomaren Mitbestimmung eines Tages die Verfügungsgewalt fordern und dann, im Besitz der A-Bombe, zur Rückgewinnung der deutschen Ostgebiete antreten und Europa beziehungsweise die ganze Welt in einen neuen Krieg hineinreißen. Diese Überlegungen lassen sich in der Regel auch nicht durch den Hinweis beseitigen, daß die Bundesrepublik in feierlicher Weise auf die Herstellung von ABC-Waffen im eigenen Land Verzicht geleistet habe und eben nicht den Finger am Abzug haben wolle.

De Gaulle als Kassandra

Darüber hinaus wird auf französischer Seite wieder der Gedanke ins Spiel gebracht, die Deutschen könnten mit Hilfe der Atombombe sich einmal wieder gegen Frankreich wenden. Wahrscheinlich hat hier auch de Gaulies dunkle Bemerkung, Frankreich müsse sich hüten, in gewisse Konflikte hineingezogen zu werden, ihren Ursprung. Dies alles hat zur Folge, daß sowohl die USA wie Großbritannien wie Frankreich eine deutsche Mitbestimmung nur so weit zulassen wollen, daß die Deutschen niemals den Einsatz der A-Bombe befehlen beziehungsweise auslösen können. Bonn besitzt infolgedessen in dieser Frage keine Alternative. Es kann nicht einem Verbündeten drohen, sich mehr an einen anderen anzulehnen, weil dieser ihm mehr atomare Rechte einräume. .

MLF: Immer mehr Fragezeichen

Dies ist der Grund, weshalb deutscherseits der Plan einer Multilateralen Atommacht (MLF) mit äußerster Hartnäckigkeit betrieben worden ist. Man sagte sich in Bonn, daß die Bundesrepublik sich nicht gänzlich aus der nuklearen Verteidigung ausschließen lassen dürfe und darum am zweckmäßigsten eine Lösung wäre, die Westdeutschland die Mitbestimmung gemeinsam mit anderen gewährte. Freilich ist inzwischen sichtbar geworden, daß im Bundestag hinter das Vorhaben immer mehr Fragezeichen gesetzt werden und daß die Unterstützung durch andere NATO-Staaten schwindet.

Der britische Plan einer ANF ist ein erklärtes Gegenprojekt gegen die MLF mit dem Ziel, die Einsatzentscheidung aus dem kontinentalen europäischen Raum heraus zu verlagern. Bonn hat deshalb von Anfang an die Grundzüge des britischen Planes zurückgewiesen, wenn es sich auch grundsätzlich bereit erklärt hat, über ihn zu diskutieren. Holland dürfte einem multilateralen Projekt nur noch nahetreten, wenn zuvor zwischen London und Bonn eine Übereinstimmung erzielt wäre, die beim kürzlichen Besuch Schröders in London nicht geglückt ist. Außerdem hat der holländische Außenminister Luns öffentlich erklärt, der Einfluß der Bundesrepublik auf die atomaren Waffen dürfe nie so groß sein wie der britische. Italiens Haltung zugunsten einer MLF ist zumindest nicht mehr so entschlußfreudig wie einst.

Angesichts dieses Sachverhaltes hat in jüngster Zeit in der Bundesrepublik mehr und mehr die Auffassung um sich gegriffen, daß aucl andere Lösungen ins Auge gefaß werden müßten. Bei diesen Erwägungen konnte Bonn immerhir unterstellen, daß die USA aus grundsätzlichen Überlegungen bereit seien den deutschen Wünschen entgegenzukommen. Bonn hat dabei für sich daß die USA augenscheinlich alle: tun wollen, um das Atiantischi Bündnis zu festigen und ihre Zusagt einzulösen, die nichtnuklearei Mächte an der atomaren Vertel digung zu beteiligen.

Allerdings hat MacNamaras neuester Vorschlag, mehrere Ausschüss in der NATO einzusetzen, dem amt liehen Bonn nicht genügt. Die Bun desrepublik soll zwar im wichtige! Planungsausschuß vertreten sein der die Ziele aussucht, nicht aber in Informationsausschuß, der die mili tärische Lage feststellt und beurteilt Nach deutscher Ansicht hängt di Arbeit des Planungsausschusses zi sehr von den Entscheidungen de anderen Ausschusses ab, als daß mal von ausreichender Mitbestimmuni der Bundesrepublik reden könnte.

Unter wessen Schirm?

Unter diesen Umständen ist völlig offen, auf welcher Plattform sich Johnson und Erhard bewegen und welchen gemeinsamen Nenner sie herausfinden werden. Vor Jahresfrist ist Erhard einmal nahegelegt worden, de Gaulle vorzuschlagen, daß die Bundesrepublik und Frankreich gemeinsam die 600 bis 800 Mittelstreckenraketen aufstellen sollten, die Sowjetrußlands Mittelstreckenraketen in Schach halten könnten, so daß Westeuropa zu deren Bekämpfung nicht auf die amerikanischen Langstreckenraketen angewiesen wäre. Erhard ist jedoch nicht darauf eingegangen. In der Tat bleibt es für die Bundesrepublik gleich, ob sie dem atomaren Schutz der Amerikaner oder der Franzosen vertraut. Der eine wie der andere will sich den Einsatzbefehl vorbehalten.

Im Hintergrund des Problems steht das geplante Abkommen über Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Die Bundesregierung ist zur Zeit nicht bereit, einem derartigen Abkommen beizutreten, solange nicht ihre atomare Mitbestimmung befriedigend geregelt ist. Sie glaubt, annehmen zu können, daß die amerikanische Regierung dem Rechnung tragen will, ja, daß sich vielleicht auch mit Moskau hierüber reden ließe. Sollte die Bundesregierung aber ein Abkommen unterzeichnen, ohne daß diese Voraussetzung erfüllt wäre, so müßte sie, wie es heute den Anschein hat, mit innerpolitischem Widerstand rechnen. Strauß hat dies bereits angedeutet. Einflußreiche deutsche Kreise sind überhaupt gegen den Beitritt zu einem solchen Abkommen, gleichviel, wie die atomare Mitbestimmung Bonns in der NATO geregelt wäre.

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