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Erneuerung vor dem Arlberg

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Vor einem Jahr nannte sich Vorarlberg mit Stolz das Land der ungebrochenen politischen Stabilität; das Triumvirat, das im Mai 1945 die Führung übernommen hatte, hielt, unberührt von den Ereignissen, die Geschicke des westlichsten Bundeslandes in starken Händen: Landeshauptmann Ulrich Ilg, der Leiter der Wirtschaftspolitik, Eduard Ulmer, und der glückhafte Finanzreferent Adolf Vögel. Jener Block zeigte den ersten Riß, als Eduard Ulmer durch Erkrankung äusfiel; Vorarlberg empfing in Martin Müller, Kaufmann aus Bürs bei Bludenz, vollwertigen Ersatz.

Ilgs halber Abschied

Im heurigen Jahr wird am 18. Oktober der Landtag erneuert. Landeshauptmann Ilg sorgte zweimal für Überraschungen. Erst legte er den Vorsitz in der Volkspartei nieder und dann teilte er vor dem Bundespräsidenten mit, daß er eine Wiederwahl zum Landeshauptmann nicht mehr anstrebe, jedoch in der Landesregierung verbleiben werde. Er wird das Finanzressort übernehmen und damit Landesrat Vögel ab- lösen. Vögel, der nicht weniger als 25 Landesbudgets ausgearbeitet hat, ist mittlerweile 73 Jahre alt geworden.

Zum Landesparteiobmann und damit künftigen Landeshauptmann wurde der Bürgermeister von Rankweil, Dr. Herbert Kessler, gewählt. Kessler ist Jurist, ein liebenswürdiger Verhandler und Versöhner, dazu ausübender Musiker. Zwischen dem 39jährigen Kessler und dem 59jäh- rigen Ilg liegen genau 20 Lebensjahre; wenn Ulrich Ilg als Finanzreferent in der Regierung bleibt, ergibt sich ein dankbares Vater- Sohn-Verhältnis, das für die Entwicklung im Land das Beste erhoffen läßt.

Die dritte Sensation

Zum Rücktritt Ilgs als Parteiobmann und als Landeshauptmann kam nun die dritte Sensation. In Vorarlberg pflegt jeder Würdenträger lange auf seinem Platz zu bleiben, und wären nicht die Unterbrechungen des autoritären Regimes und des Tausendjährigen Reiches erfolgt, gäbe es gut jede Woche ein goldenes oder silbernes Amtsjubiläum. Nun hat die Volkspartei ihre Kandidatenlisten für den Landtag veröffentlicht: Von 21 Abgeordneten stehen nur sieben auf sicheren und zwei weitere auf fraglichen Plätzen; fast zwei Drittel der bisherigen Mandatare kehren nicht wieder. Es ist dies die umfangreichste Veränderung des Vorarlberger Landtages in ruhigen Zeiten.

Ist damit die strukturelle Änderung der Vorarlberger Bevölkerung, die auch die ÖVP vor neue Wählerschichten stellt, ausgedrückt? Unstreitig wird der AAB innerhalb der künftigen Landtagsfraktion verstärkt, sowohl nach der Richtung manueller Arbeiter als in den Flügel der Intelligenz. Vorbildlich ist das Vorarlberger Prinzip,’ Bürgermeister und andere Kommunalpolitiker in den Landtag zu bringen. Im Landtag geht es weniger um Grundsatzfragen der Politik als vielmehr um höchst reale Interessen der Städte und einzelnen Landesteile. Es ist in der Landstube schon mehr als einmal vorgekommen, daß nach lokalen Gesichtspunkten quer durch die Parteien abgestimmt wurde. In Vorarlberg geht der Föderalismus nicht nur vom Land gegen die Bundeshauptstadt, auch im Land selbst hat jeder größere Ort und jede Talschaft ihr eigenes Gesicht. Dieser Erkenntnis tragen die Wahlwerberlisten der Volkspartei Rechnung.

Auffallen darf, daß der einzige ÖVP-Abgeordnete des alten Landtages, dessen Wiege nicht zwischen Arlberg und Rhein stand, nicht wiederkehrt. Die Tatsache, daß mindestens ein Drittel der Wähler östlich des Arlbergs geboren wurde, wurde nicht zur Kenntnis genommen. Auch in Vorarlberg vollzieht sich, ein Wandel der gesellschaftlichen Infrastruktur, der mit der Verjüngung allein nicht ausgedrückt ist.

Nicht nach dem Proporz

Vorarlberg ist das einzige Bundesland, in dem die Regierung nicht nach dem Proporz, sondern nach dem Mehrheitsprinzip vom Landtag gewählt wird. Theoretisch könnten alle sieben Regierungsmitglieder von der ÖVP gestellt werden; in der Praxis erhalten FPÖ und SPÖ je einen Sitz. Gegenwärtig sitzen von der FPÖ Elwin Blum (Referat: Wasserbau) und von der SPÖ Josef Schoder (Soziales und Krankenhäuser) in der Regierung, beide gute Fachmänner und ausgesprochene Ireniker. Sie dürfen wiederkommen. Landeshauptmann wird, wie bereits gesagt, Doktor Herbert Kessler, Landesrat für Finanzen der bisherige Landeshauptmann Ulrich Ilg. Auf ihren Plätzen verbleiben dürften Landesstatthalter (so heißt in Vorarlberg der Landeshauptmannstellvertreter) Dr. Gerold Ratz, der innerhalb ėinėr Wahlperiode vom Landtagsabgeordneten zum zweiten Mann der Regierung emporgestiegen ist, und der Wirtschaftsreferent Martin Müller. Das Landwirtschaftsressort, das bisher der Landeshauptmann führte, dürfte einem jungen Landwirt namens Konrad Blank zufallen.

SPÖ und FPÖ: „konservativ”

Zum Unterschied von der ÖVP sind die beiden Flügelparteien gegenüber ihren Mandataren sehr „konservativ”. Die FPÖ, die über fünf Mandate verfügte, ändert nichts. Ihre „Kanone” ist der Bürgermeister von Lustenau, Robert Bösch. Seine Wahl zum Oberhaupt des exportoffensiven Grenzortes verdankte er vor vier Jahren einer Zufallsmehrheit von FPÖ und SPÖ; heute sitzt er gut im Sattel, Beweis dafür, wie wichtig die personelle Besetzung von Posten ist! Ein gutes Zugpferd für die FPÖ ist auch der Sekretär des Kriegsopferverbandes, Werner Melter, der Rekordinhaber an Wortmeldungen innerhalb der letzten fünf Jahre.

Die SPÖ tauscht von ihren zehn Abgeordneten zwei ältere Herren aus. Noch stärker als die ÖVP ist sie eine Partei des Beharrens. Die neue Schichte, welche die SPÖ anderswo mit Geschick erfaßt, vertritt nur der Demosthenes des Vorarlberger Landtages, Dr. Walter Peter; Dr. Peter und Dr. Kessler in einem politischen Rededuell zu hören ist ein Vergnügen. Mit ihrer Kandidatenwaihl hat sich die SPÖ selber die Schranken gesetzt.

Damit dürfte sich im zahlenmäßigen Verhältnis der Parteien wenig ändern. Die Rechenkünstler orakeln hauptsächlich darum, daß infolge seiner stärkeren Industrialisierung der Bezirk Feldkirch dem Bezirk Bregenz ein Mandat abgenommen hat. Wer wird den Sitz in Feldkirch bekommen, wer den Platz in Bregenz verlieren? Dies scheint die größte Sorge. Im übrigen verläßt sich jede Partei auf die Treue ihrer Wähler. FPÖ und SPÖ gehen ohne sichtbares Konzept in den Wahlkampf, die ÖVP hat sich betont verjüngt und auf die Arbeitnehmerschaft ausgerichtet, ohne jedoch dem tiefergreifenden Strukturwandel Rechnung zu tragen. Am Abend des 18. Oktober werden wir klüger sein als heute.

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