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Es begann vor einem Jahr...

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Als die österreichische Bevölkerung heuer daranging, ihre Weihnachtskäufe zu tätigen, mag es ihr vielleicht gar nicht so recht zum Bewußtsein gekommen sein, unter welchen grundverschiedenen Voraussetzungen sie dies gegenüber den vergangenen Jahren tun konnte. Wochen-, ja monatelang vorher konnte jeder einzelne das ihm oder seinen Lieben passend erscheinende Geschenk aussuchen, er konnte von einem Geschäft zum anderen wandern, subtile Vergleiche hinsichtlich Qualität und Preise anstellen, er konnte sich Zeit lassen, um sich gegebenenfalls erst in den letzten Tagen vor dem Fest endgültig zu entscheiden, ohne Gefahr zu laufen, daß das begehrte Geschenkstück entweder überhaupt nicht mehr oder doch nur zu einem wesentlich höheren Preis erhältlich wäre.

Es ist eine der schönsten Gaben des Lebens, daß wir Menschen alles Schwere und üble so schnell vergessen und jede Besserung gleich als selbstverständlich hinnehmen. Es ist jedoch manchmal ganz gut, der vergangenen Beschwerden zu gedenken, sei es nur darum, um sich der besseren Gegenwart dankbar zu erfreuen.

Mochte man noch die beiden „Schillinggesetze“ von 1945, die den arglosen Österreicher um einen Großteil seiner etwa geretteten Reidismarkbestände brachte, als einen Tribut für die „Befreiung" hinnehmen, so zeigte sich alsbald, daß dieser Tribut umsonst gezahlt war, da in nicht allzu langer Zeit die Preise zu steigen, die Lebenshaltungskosten sich zu erhöhen und der Geldwert zu sinken begann. Statt nun gleich damals das Übel an der Wurzel zu fassen, den Staatshaushalt zu äquili- brieren und die Inflation abzustoppen, verfiel man im August 1947 auf die Idee, durch ein generelles Preis-Lohn-Abkom- men die Stabilisierung herbeizuführen. Und als sich diese Gewaltmaßnahmen, wie es die Wissenschaft übrigens, vorausgesagt hatte, schon nach drei Monaten als wirkungslos erwiesen, griff man kühn zu dem berüchtigten „Währungsschutzgesetz"

vom Dezember 1947, das es dem blinden Spiel des Zufalls überließ, ob dem einen Staatsbürger zwei Drittel seiner Geldmittel weggenommen oder dem anderen alles belassen wurde.

Um kurz zu sein: natürlich mußte auch das Währungsschutzgesetz versagen, ebenso wie sich die ihm trotzdem noch folgenden vier weiteren Preis-Lohn-Ab- kommen als Fehlschläge erwiesen, weil man niemals eine Wirtschaft und eine Währung mit Gewalt, sondern nur organisch sanieren und stabilisieren kann. Die einzige organische Art der Stabilisierung laßt sich aber letzten Endes in einem höchst primitiven Satz zusammenfassen: nicht mehr Geld auszugeben, als die Einnahmen betragen. Dieser Satz gilt ebenso für Staat, Länder, Gemeinden und öffentliche Unternehmungen wie für den Privathaushalt, er gilt aber — mutatis mutandis — nicht minder für das Gesamtinvestitionsvolumen, die Kreditgewährung und die Gestion der Nationalbank.

Welches Unheil hat aber das hartnäckige Abweichen von dieser volkswirtschaftlichen Grundregel, der immer wieder wiederholte Versuch, aus 2 mal 2 fünf zu machen, in Österreich angerichtet!

Statistiker haben ausgerechnet, daß von 1000 Reicbsmarlc, die sich etwa jemand aus dem Zusammenbruch von 1945 gerettet hatte, ihm heute kaum 100 Schilling verbleiben; statt einer Zimmereinrichtung kann man sich heute einen Bilderrahmen kaufen!

Es erscheint unmöglich, in einem kurzen Artikel die materiellen Nöte, Kümmernisse und Beschwerden, aber auch die daraus erwachsenen seelischen Tragödien auch nur anzudeuten, die die Geldentwertung der letzten sechs Jahre bei Hunderttausenden, ja Millionen guter Österreicher hervorgebracht hat.

Mindestens gleichrangig damit ist aber auch der demoralisierende Einfluß zu werten, der auf ebenso viele Hunderttausende ebenso guter Österreicher durch die jahrelang betriebene „kontrollierte" Inflation ausgeübt wurde. Wenn wir in der Vergangenheit einzelne — glücklicherweise so seltene! — Fälle von Unregelmäßigkeiten im Kreis unserer sonst vortrefflichen Beamtenschaft beklagen mußten, wenn wir von Schiebungen hörten, wenn man unserer Bauernschaft und unserem Unternehmertum mangelnden Wirtschaftspatriotismus vorwirft, wenn wir gegenüber dem Ausland in der Produktivität der Arbeit im Rückstand geblieben sind — um nur einige wenige sinnfällige Beispiele zu nennen —, so sind diese unerfreulichen, volkswirtschaftlich schädlichen Erscheinungen letzten Endes der systematischen Geldentwertung in der Vergangenheit zuzuschreiben.

Inflation und Geldentwertung widersprechen eben den Gesetzen von Treuund Glauben und des Wirtschaftspatrio- tismus. Und wer Inflation und Geldentwertung betreibt, der wundere sich nicht über die daraus entstehenden seelischen Folgen, hüte sich aber dann wohl, der Bevölkerung diese hehren Begriffe zu predigen!

Gerade vör einetn Jahr, um die Weihnachtszeit 1351, geschah es nun, daß sich die österreichische Wirtschaft — Industrie, Handel und Gewerbe — zusammentat, einen freiwillige Preisstopp verkündete, eine Preissenkungsaktion einleitete und an die Regierung die eindringlichste Aufforderung richtete, endlich mit den unbedeckten Staatsausgaben Schluß zu machen und den inflationistischen Notendruck einzustellen.

Diese Initiative der gesamten österreichischen Privatwirtschaft erzwang bald eine Wachablösung in den wichtigsten Wirtschaftsministerien. Wenige, aber entscheidende Maßnahmen folgten: der neue Finanzminister verkündete schon in seiner Antrittsrede; den unverrückbaren Entschluß, künftig im Staatsbudget nur Jene Ausgaben bewilligen zu wollen, die in den Einnahmen ihre Deckung fänden (den meisten Staatsbürgern wird dies wohl als eine Selbstverständlichkeit vorkommön!) Einen weiteren Schritt 'bildete die weitgehende Beschränkung des allgemeinen Kreditvolumens, verbunden mit einer ansehnlichen Erhöhung der Zinssätze für Kredite, während der neue Handelsministsr es sich zur Aufgabe setzte, die immer noch bestehenden, geradezu widersinnigen, ja .sogar verfassungswidrigen Exporterschwerungen allmählich zu beseitigen, und schließlich der Landwirtschaftsminister eine den tatsächlichen Verhältnissen besser angepaßte Relation innerhalb der verschiedenen landwirtschaftlichen Preise einführte.

Gekrönt wurden diese sachlichen Maßnahmen durch eine solenne Erklärung der neuen Minister: durch ein feierliches Bekenntnis zur Stabilität der Währung. Und als kürzlich die linke Seite durch die Aufstellung unerfüllbarer Forderungen neuerlich unbedeckte Staatsausgaben erzwingen wollte und die Gefahr einer neuerlichen Inflation drohte, da erklärten diese drei Minister ihre Demission und führten dadurch eine Regierungskrise herbei. Der Gedanke des ausgeglichenen Staatsbudgets und der stabilen Währung hatte seine erste Kraftprobe siegreich bestanden.

Es ist fast unfaßbar, in welch kürzer Zeit, sozusagen über Nacht, die günstigen Auswirkungen dieser klaren und geradlinigen Stabilisierungspolitik eintraten. Mit einem Schlag wurden die vielgetadel- t.en Österreicher wieder zu „Wirtschaftspatrioten". Der Handel tätigte keine spekulativen Käufe mehr, sondern trachtete, seine Lager selbst zu herabgesetzten Preisen abzustoßen, die Industrie revidierte ihre Kalkulationen, da sie nunmehr auf die Risikoprämien für „Scheingewinne" und verteuerte Warennach- schaffung verzichten konnte, die I m- porte sanken infolge der herrschenden Geldknappheit, umgekehrt begannen — nach einer gewissen Übergangszeit — die Exporte zu steigen, da die eingeschränkte inländische Nachfrage eine vermehrte Ausfuhr geradezu erzwang, die Zahlungsbilanz gegenüber den EZU-Ländern ist nun schon seit Juli dieses Jahres aktiv, der Fremdenverkehr lieferte in, vordem geradezu unvorstellbarer Weise, Devisen an die Nationalbank ab, die illegalen Devisentrans aktionen hörten mit einem Schlag auf, da sie angesichts der (dem offiziellen Prämienkurs fast angegiiehenen) Züricher Notierung des Schillings nicht mehr rentabel erschienen, die Spareinlagen stiegen sprunghaft an, der Liquidi tätsstand der Banken übertrifft heute bei weitem die planmäßig vorgesehene Höhe, der Notenumlauf ist annähernd gleich geblieben, sämtliche Preise (mit saisonbedingten Ausnahmen) zeigen eine fallende Tendenz — genug an diesen wenigen Hinweisen:

von einer Weihnachtszeit zur anderen hat sich ein neuerliches „österreichisches Wirtschaftswunder“ vollzogen, die Stabilisierung unseres Geldes ist gelungen, das Vertrauen zu unserem Schilling ist im In- und Ausland wieder eingekehrt.

Wenn es auch noch viele und schwierige Probleme zu meistern geben wird, so haben wir vollen Grund, jenen Männern zu vertrauen, die uns schon jetzt von dem Alpdruck der Inflation befreit und uns ruhige und gesicherte Weihnachten 1952 beschert haben.

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