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Es fehlt die Schlußbilanz

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Der österreichische Staatsvertrag, der am 27. Juli 1955 rechtswirksam wurde, enthält einen Artikel 27, der folgenden Wortlaut hat:

„Die Alliierten und Assoziierten Mächte erklären ihre Absicht, österreichische Vermögenschaften, Rechte und Interessen, so wie sie sich derzeit in ihren Gebieten vorfinden, zurückzustellen oder, soweit solche Vermögenschaften, Rechte und Interessen einer Liquidierungs-, Ver-wendungs- oder sonstigen Verwaltungsmaßnahme unterzogen worden sind, den Erlös, der sich aus der Liquidierung, Verwendung oder Verwertung solcher Vermögenschaften, Rechte und Interessen ergeben hat, abzüglich der aufgelaufenen Gebühren, Verwaltungsausgaben, Gläubigerforderun-gen und anderen ähnlichen Leistungen auszufolgen. Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind bereit, zu diesem Behufe Vereinbarungen mit der österreichischen Regierung abzuschließen.

Unbeschadet der vorstehenden Bestimmungen wird der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien das Recht eingeräumt, österreichische Vermögenschaften, Rechte und Interessen, die sich im Zeilpunkt des Inkrafttretens des vorliegenden Vertrages auf jugoslawischem Gebiet befinden, zu beschlagnahmen, zurückzubehalten oder zu liquidieren. Die österreichische Regierung verpflichtet sich, österreichische Staatsangehörige, deren Vermögen auf Grund dieses Paragraphen herangezogen wird, zu entschädigen.“

Man kann nun geteilter Meinung sein, ob diese Bestimmung des österreichischen Staatsvertrages den Normen des Völkerrechts entspricht. Vor allem wird durch die Enteignung des gesamten österreichischen Eigentums in Jugoslawien die Haager Landkriegsordnung gröblich mißachtet, denn diese bestimmt ausdrücklich, daß der Sieger wohl Staatseigentum des Verlierers, nicht aber Privateigentum von Bürgern des unterlegenen Staates in Anspruch nehmen kann. Diese Erwägungen müssen aber theoretischer Natur bleiben, denn nicht Recht und Vernunft standen beim Abschluß des österreichischen Staatsvertiages Pate, sondern Oesterreich wurde einfach wie ein unterlegener Staat behandelt.

Der zweite Absatz des zitierten Artikels spricht aber klar aus, daß die Republik Oesterreich jenen Bürgern gegenüber, welche Eigentumsrechte in Jugoslawien hatten, eine klare Verpflichtung eingegangen ist, nämlich die, eine Entschädigung für die eingetretenen Verluste zu leisten. Bis heute zeichnet sich aber noch keine Lösung dieses Problems ab, denn die für die Durchführung der 'Entschädigung zuständigen Behörden dürften überhaupt noch keine Unterlagen über den Umfang der Vermögensverluste besitzen.

Allerdings muß hier eine andere Feststellung getroffen werden. Jugoslawien hat das gesamte österreichische Eigentum schon im Jahre 1945 beschlagnahmt, ohne dazu ein Recht zu besitzen. Dieses Recht wurde erst durch den Staatsvertrag gesetzt. Die österreichische Bundesregierung ist daher ihrerseits berechtigt, von Belgrad eine angemessene Entschädigung für den sogenannten Fruchtgenuß zu fordern. Wenn sich Belgrad bisher allen Versuchen, auf dem Verhandlungswege zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelangen, widersetzte, so wird Oesterreich nach geeigneten Mitteln suchen müssen, um berechtigte Ansprüche seiner Bürger durchzusetzen. Man komme hier nicht mit dem Gleichenberger Abkommen, das doch für die Betroffenen denkbar unbefriedigend war.

Hat also ein Teil der österreichischen Staatsbürger rechtlich fundierte und bisher nicht eingelöste Ansprüche an den Staat, so gibt es noch andere Gruppen, die laut und vernehmlich ihre Forderungen anmelden. Ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, seien einige der offenen Fragen angedeutet. Zunächst seien jene erwähnt, die während des Krieges durch die Bomben ihr Eigentum, sei es das Haus, die Wohnung oder das Geschäft, verloren haben. Zur Wiederbeschaffung des zerstörten Hausrats wurde die Hausratshilfe, zur Instandsetzung zerstörter Wohnhäuser der Wohnhaus-Wiederaufbaufonds geschaffen. In beiden Fällen wurden rückzahlbare, langfristige und billige Darlehen gewährt. Die kleinen Geschäftsleute aber, deren Existenz oft in wenigen Minuten vernichtet worden war, gingen bisher praktisch leer aus. Natürlich kann der Staat nicht alle durch den Krieg entstandenen Verluste ausgleichen, aber die Gemeinschaft hat doch die moralische Verpflichtung, nicht durch eigene Schuld um Hab und Gut gekommenen Mitbürgern nach besten Kräften zu helfen.

Die nächste Gruppe sind die Besatzung s-geschädigten. In lausenden Fällen nahmen die Besatzungsmächte Wohnungen, Häuser und Grundbesitz in Anspruch. Tausende Wohnungen mußten mit dem gesamten Inventar Besatzungssoldaten überlassen werden, und als diese das Haus oder die Wohnung räumten, blieben nicht selten nur die Mauern zurück. Besonders in einer Besatzungszone fehlten oft Türen, Fenster und Fußboden, von elektrischen Leitungen und sanitären Einrichtungen nicht zu reden. Den kleinen Leuten fehlt in den meisten Fällen das Geld, um die devastierten Wohnungen und Häuser herrichten zu lassen.

Hier verpflichtet der Staatsvertrag die Republik Oesterreich im Artikel 24 zur Hilfe. Es heißt hier wörtlich:

„Oesterreich verzichtet im Namen der österreichischen Regierung oder österreichischer Staatsbürger auf alle Ansprüche irgendwelcher Art gegen die Alliierten und Assoziierten Mächte ... b) Ansprüche, die sich aus der Anwesenheit, aus Operationen oder Streitkräften oder Behörden Alliierter oder Assoziierter Mächte auf österreichischem Staatsgebiet ergeben ... Die österreichische Regierung stimmt zu, eine billige Entschädigung in Schillingen an Personen zu leisten, die den Streitkräften der Alliierten oder Assoziierten Mächte im österreichischen Staatsgebiet auf Grund von Requisitionen Güter geliefert oder Dienste geleistet haben, und ebenso eine Entschädigung zur Befriedigung von Ansprüchen aus Nichtkampfschäden gegen die Streitkräfte der Alliierten oder Assoziierten Mächte, die auf österreichischem Staatsgebiet entstanden sind.“

Die von der Regierung eingegangene und vom Parlament sanktionierte Verpflichtung muß erfüllt werden. Wieder taucht aber die Frage auf: Wie groß ist der Umfang der zu leistenden Entschädigung? Welche Schritte wurden bisher eingeleitet, um die nach Artikel 24 zu erfüllenden Ansprüche eindeutig festzustellen?

In der letzten Zeit melden sich die S p ä t-heimkehrer immer vernehmlicher und fordern eine Spätheimkehrerentschädigung. Dabei wird auf die Regelung in Westdeutschland verwiesen. Im vergangenen Jahr flatterte den Volksvertretern eine Denkschrift mit Berechnungen auf den Tisch. Die Forderungen waren mit rund 170 Millionen Schilling beziffert. Hier sei weder zu der Forderung an sich noch zu deren Höhe Stellung genommen, sondern lediglich deren Vorhandensein registriert.

Die Aufzählung der offenen Probleme wäre unvollständig, würde nicht auch jener Oesterreicher gedacht, die in den verschiedenen Oststaaten Besitzungen hatten und 1945 von Haus und Hof vertrieben wurden. Hier legt zwar der Staatsvertrag den Alliierten und Assoziierten Mächten die Verpflichtung auf, mit Oesterreich Verhandlungen über eine Regelung dieser Eigentumsverhältnisse aufzunehmen. Wer aber die Verhältnisse im Osten einigermaßen kennt, wird sich vor jedem übertriebenen Optimismus hüten. Soll es zu einer gerechten Entschädigung kommen, wird vermutlich der Staat nicht unerhebliche Belastungen zusätzlich auf sich nehmen müssen.

Alle diese Fragen sind bekannt und es wäre daher nach unserer Meinung nur recht und billig, eine Schlußbilanz über alle Kriegs- und Nachkriegsschäden zu erstellen. Niemand wird erwarten, daß der Staat von sich aus alle Schäden ersetzen kann, denn das würde die finanzielle Leistungskraft des Staates übersteigen. Sollte dies geschehen, müßten die Steuern über das tragbare Maß hinaus erhöht werden. Man sollte daher mit Mut und Entschlossenheit zunächst einmal alle Schäden, unter welchem Titel sie immer entstanden sein mögen, erfassen und einen Abdeckungsplan erstellen, wobei den Betroffenen das Mitspracherecht einzuräumen wäre. Hinsichtlich der zu gewährenden Entschädigung wären in erster Linie soziale Normen aufzustellen, denn es gibt sicher Geschädigte, die eine offizielle Hilfe entweder überhaupt verschmerzen können oder denen auch zu einem späteren Zeitpunkt damit noch gedient wäre. Anderen aber, die zu alt oder finanziell zu schwach sind, um sich selbst helfen zu können, muß der Staat unter die Arme greifen, denn sie dürfen nicht das Gefühl haben, daß sie allein die Kriegs- und Nachkriegsfolgen zu tragen haben. Krieg und Besatzung waren Notzeiten für Volk und Land, aber nicht alle Kreise der Bevölkerung wurden gleich hart betroffen. Daher ist es eine Pflicht der Gemeinschaft, jenen geschädigten Mitbürgern zu helfen, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, die entstandenen Schäden zu überwinden. Voraussetzung für jede Hilfe aber muß die Feststellung des Schadens sein, und darum meinen wir, daß es an der Zeit wäre, die längst fällig gewesene Schlußbilanz eines bitteren und leidvollen Geschehens zu erstellen.

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