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Wie leicht doch die Aufmerksamkeit über ein inhaltsschweres Wort hinweghuscht, das die Gewohnheit abgeplattet hat wie eine alte Münze, deren Wertbezeichnung nicht mehr erkenntlich ist. Von „Landflucht“ ist die Rede, und fünf von zehn Menschen hören das Wort und fühlen sich zu der Vorstellung erinnert, daß damit eine fatale Erscheinung gemeint ist und der Bauer in einer beklagenswerten Lage ist, der seinen Acker mühselig ohne ausreichende Hilfe bestellen muß, weil den Ackerknecht und die Kuhmagd die Landarbeit nicht mehr freute und sie in die nächste Fabrik oder in die Stadt gezogen sind. Das sind unter den Städtern landläufige Vorstellungen. Den wenigsten ist gegenwärtig, daß die Landflucht mehr ist als ein bäuerliches Uebel und die

Erscheinungen, die in Wirklichkeit sich an diesen Begriff knüpfen, die ganze Bevölkerung angehen, schön deshalb, weil ein allzu großer Teil von ihr von -den Folgen betroffen ist.

Die letzte Volkszählung vermittelt in ihrem erschlossenen Material wichtigste Erkenntnisse. Die Bedeutung, die auch heute noch der Landwirtschaft in unserem Wirtschaftsleben zukommt, tritt in ein neues Licht. Rechnet man zufolge des besonderen morphologischen Charakters der Großstadt Wien den Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung an dem österreichischen Gesamtvolke ohne Wien, so beläuft sie sich auf 29 Prozent.

Seit 1910 hatte die landwirtschaftliche Bevölkerung eine starke Abwanderung zu

verzeichnen. Im Jahre 1910 wurden auf dem Gebiet des heutigen Oesterreich 2,078.200 Personen zur landwirtschaftlichen Bevölke-gezählt, im Jahre 1951 nur mehr 1,515.900! Dies bedeutet, daß in einem Zeitraum von zirka , 40 Jahren ein Abgang von rund 560.000 Personen oder mehr als einem Viertel des Bestandes von 1910 festzustellen ist, und dies, obgleich sich die Bevölkerung Oesterreichs seit 1910 um 290.000 vermehrt hat. Der Verlust der landwirtschaftlichen Bevölkerung war mit 326.500 im Zeitraum 1934 bis 1951 größer als von 1910 bis 1934. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung ist von einem Drittel im Jahre 1910 auf ein Fünftel im Jahre 1951 gesunken. Diese Zahlen sind alarmierend! Nach Buhdesländern gegliedert ergibt sich folgendes Bild:

Von je 100 Personen lebten von der

ten festzustellen, wo 1910 noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebte, 1951 aber nur mehr ein Viertel! Im Burgenland hat die Landflucht zwar auch zu starken Besetzungsverlusten geführt, doch blieb die führende Stellung der Landwirtschaft unangetastet.

Schränkt“ man die Untersuchung auf die Berufsträger ein — das sind alle, die am' Stichtage der Zählung einen Beruf ausübten einschließlich jener Arbeitslosen, die bereits .im Erwerbsleben gestanden sind —, so hatte im Jahre 1951

jeder dritte Oesterreicher,

der an unserem Wirtschaftsleben aktiv teilnahm, einen land- oder forstwirtschaftlichen Arbeitsplatz. Allein > 44 Prozent der berufstätigen Frauen fanden dort Arbeit, dagegen nur 25 Prozent der Männer. Der hohe Anteil der Frauen ist darauf zurückzuführen, daß die bäuerlichen

Frauen und die Töchter im Alter von über 14 Jahren, sofern sie nicht eine andere Beschäftigung hatten, bzw. noch nicht eine Schule besuchten, als mithelfende Familienmitglieder unter die Berufsträger gerechnet wurden. 53 Prozent der landwirtschaftlichen Berufsträger waren Frauen, während es 1934 nur 47 Prozent waren. Seit 1910 ist eine Verminderung um 271.600 Berufsträger festzustellen, was einem Rückgang von 20 Prozent entspricht. 1910 waren 1,351.200 in der Landwirtschaft tätig, 1934 noch 1,223.600 und 195 1 nur noch 1,079.60 0! Von je 100 Berufsträgern arbeiteten, in der Landwirtschaft:

so ist doch notwendig, auch die soziale Stellung der Berufsträger, nämlich ob sie selbständig, mithelfend oder unselbständig sind, in die Betrachtung miteinzubeziehen. Hier ergeben sich insofern Schwierigkeiten, als für das Burgenland aus dem Jahre 1910 keine Zahlen zur Verfügung stehen. In Oesterreich ohne Burgenland wurden 1910 rund- 502.000 unselbständige Berufsträger in der Landwirtschaft gezählt, 19 5 1 nur noch 21 5.0 00! Der Verlust beläuft sich also auf 287.000 oder 57 Prozent. Allein seit 1934 hat sich die ZahlVler Unselbständigen um 13 0.0 00 verringert. Die Selbständigen gingen um 20 Prozent von 353.000 auf 282.000 zurück.

Heute ist durch die Einführung von Mindestlöhnen und durch verschiedene andere Maßnahmen eine gewisse Erleichterung der Lage erzielt worden. Der K e r n-p unkt jedoch ist die Ermöglichung einer Familiengründung. Heute ist die Zahl verheirateter Landarbeiter unverhältnismäßig gering. In ihrer ganzen Strenge treten hier

die Forderungen einer gesunden Familienpolitik vor die Oeffentlichkeit. Notwendig sind Maßnahmen, die dem Landarbeiter durch eine Wohnungsbeihilfe die Familiengründung erleichtern. Die folgenden Zahlen haben eine erschreckende Bedeutung: 1934 wurden in der Landwirtschaft 510.300 Kinder unter 14 Jahren gezählt, wozu noch .6400 junge Menschen von 14 Jahren aufwärts kommen, die in Berufsvorbereitung standen, 1951 wurden nur noch 385.500 unter 21 Jahren ausgewiesen, von denen der größte Teil das 14. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Zählung sicher noch nicht vollendet hatte. Dies bedeutet, daß die Zahl der Kinder unter 14 Jahren der landwirtschaftlichen Bevölkerung innerhalb von 17 Jahren um mindestens 25 Prozent abgenommen hat, denn der Rückgang beträgt 124.800, obwohl in der Zahl von 1951 um sieben Jahrgänge mehr enthalten sind als 1934!

Es liegt an den für die Volkswohlfahrt Verantwortlichen und von dem Vertrauen des Volkes zu dieser Verantwortung Berufenen, die Folgerungen aus den erwiesenen Tatsachen zu ziehen. Es geht um Leib - und Leben unseres österreichischen Volkes.

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