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Digital In Arbeit

„Es ist nicht zu spät“

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Die Bundesregierung faßte bereits im Jahre 1961 den grundsätzlichen Beschluß, die österreichische Landesverteidigung als Umfassende Landesverteidigung aufzubauen. Organisatorisch sollte sich diese in militärische, zivile, wirtschaftliche und geistige Landesverteidigung unter der Federführung des jeweils zuständigen Ministeriums in Koordination mit dem Verteidigungs-mindsteritum gliedern. Mit dem Regderungsbeschluß vom 20. Februar 1962 wurde ein Organisatfonsschema geschaffen und die Bildung von Arbeitsausschüssen eingeleitet. Ein weiterer Regderungsbeschluß vom 11. Mai 1965 erteü(te diesen Arbeitsausschüssen konkrete Aufträge. So haben die Leitung des Arbeitsausschusses „G“ im Bundesministerium für Unterricht, die in der Gründung begriffenen Landesarbeitsausschüsse sowie alle darin vertretenen Körperschaften, Organisationen und Verbände vorzusorgen, daß

• im Falle einer internationalen Spannung und Konfliktgefahr (Krisenfall) die Bevölkerung der nervlichen Anspannung eines solchen Zustamdes standhält und allenfalls erforderliche Verbrauchseinschränkungen mit Verständnis trägt;

• im Falle eines Krieges in der Nachbarschaft (NeutraKtätsfall) die Bevölkerung den vermehrten Belastungen eines solchen Zustamdes gewachsen bleibt und kein Zweifel darüber gelassen wird, daß jeder Angriff auf einen geschlossenen Widerstand unter Aufbringung aller Kräfte stoßen würde;

• im Falle eines militärischen Angriffes auf Österreich (Verteidigungs-fall) die Bevölkerung ihren Wehrwillen angesichts von Kampfhandlungen im eigenen Land erhält und bekundet und der politischen und mflitärdischen Führung volles Vertrauen entgegenbringt und deren Maßnahmen unterstützt.

Zweifel an der Möglichkeit

Gerade wieder jetzt, da der zweite Teffl des Landesverteidigungsplanes dem Landesverteidigungsausschuß vorgelegt werden soll, mehren sich die Stimmen, die an der raschen Verwirklichung dieses sehr konkreten Regierungsauftrages zweifeln und die die offizielle Definition der Geistigen Landesverteidigung, „unter Geistiger Landesverteidigung werden alle Bemühungen verstanden, die darauf abzielen, die seelische Bereitschaft der Staatsbürger zur Verteidigung Österreichs au wecken, zu fördern und zu erhalten“, nur restriktiv ausgelegt wissen möchten.

Dies hat zur Grundlage, daß der Plan der österreichischen Umfassenden Landesverteidigung im wesent-Mchen auf dem Schweizer Konzept aufgebaut ist, ahne jedoch — und das vor allem auf dem Gebiet der Geistigen Landesverteidigung — die völlig verschiedenen Grundvoraussetzungen zu berücksichtigen. Wenn etwa der Schweizerische Auf-klärungsdiienst in einer seiner letzten Broschüren geradezu eine Wehr-freuddgkeit propagiert, mit dem Htaweis, daß es dadurch möglich war, von den Weltbränden der letzten Jahrzehnte verschont zu bleiben, so würde eine solche Vorgangsweise bei uns eine Mauer der Ablehnung für Belange der Landesverteidigung zur Folge haben. Denn es ist verständlich, daß jemand, der die Greuel des zweiten Weltkrieges mitgemacht hat, womöglich schon in den Schützengräben des ersten Weltkrieges gelegen ist, dann die für die psychische Einstellung wohl gefährlichste Zeit der Zwischenkriegs jähre erlebt hat, sich am Ende all dieser Schrecken geschworen hat: nie wieder Krieg, aber auch, nie wieder Soldatentum, wie wieder Landesverteidigung. Sinnlos, hier etafach dozieren zu wollen: Mari muß etasehen, „keine Landesverteidigung“ schließt den Krieg nicht aus, ja führt gedanklich geradezu zum Krieg. Man will dies nicht etasehen, man will nicht akzeptieren, daß auch um uns, daß auch bei uns wieder einmal Krieg sein könnte, obwohl seit Ende des zweiten Weltkrieges zirka 50 blutige Ausetaandersetzungen stattgefunden haben, die. mit dem Terminus „Krieg“ bezeichnet werden können.

Psychologische Arbeit

Innerhalb der anderen Gebiete der Umfassenden Landesvertei-

digung mag es leicht sein, konkrete Aktionen zu planen, durchzuführen und auszuwerten. Es kann teilweise mit relativ unveränderlichen Fakten gearbeitet werden. Anders bei der Geistigen Landesverteidigung. Sobald wir den Bereich der meßbaren, in Zahlen konkretisierbaren Ergebnisse verlassen und versuchen, seelische Strömungen zu regulieren, wird die Arbeit zu einem Experiment. Aktionen, die heute Erfolg bringen, können morgen die bisherige Arbeit vernichten. Ein Zuviel in der Dosierung kann — wie bei Medikamenten — sofortige schwerste Schäden herbeiführen. Die Arbeit auf dem Gebiet der Geistigen Landesverteidigung bedarf der ständigen Überprüfung der Ergebnisse, einer sorgfältigen psychologischen Analyse der auftretenden Pro- und-Kontra-Strömungen, die jedes Einsetzen für Wehrbereitschaft sofort auslöst. Geistige Landesverteidigung

ist also hauptsächlich psychologische Arbeit, daher auch allen den ineinander verflochtenen, überlagerten sich widersprechenden Beweggründen des menschlichen Tuns ausgesetzt.

Solange wir uns hier nicht trennen können von einer Handlungsweise, die den Beteiligten die Überzeugung aufdrängt, Geistige Landesverteidigung sei Propaganda für das Bundesheer, und wenn schon dies nicht, so zumindest Propaganda für die Umfassende Landesverteidigung, agieren wir auf etaer falschen Ebene. Wir müssen uns hier durchringen zu einer differenzierten Betrachtungsweise der einzelnen Teilbereiche. Wenn wir den gedanklichen Versuch Wagen, Geistige Landesverteidigung auch dann zu betreiben, wenn es keine militärische Landesverteidigung gäbe, dann könnten und müßten uns — als Staatsbürger — diese Überlegungen zur Notwendigkeit der militärischen Landesverteidigung führen. Vorerst jedoch sind die Grundlagen getrennt zu erarbeiten. Die Grundlagen der Geistigen Landesverteidigung sind die Klärung und Festigung der Begriffe Österreich, Vaterland, Nation in der Sicht der heutigen Zeit. Dem Österreicher muß vielfach erst Wiedel1 vermittelt werden, was es bedeutet, Österreicher zu seta. Das Wissen um den eigenen Stand ist uns vielfach abhanden gekommen.

Auf welch unsicherem Untergrund das Staatsbewußtsein des heutigen Österreichers basiert, zeigen die bereitwilligst aufgenommenen unrichtigen Vorstellungen vom Wesen der Demokratie, unserer Neutralität und des gesamten politischen Lebens.

Das Prinzip Freiheit

Die staatsbürgerliche Erziehung in der gegenwärtigen Form reicht nicht aus, die Demokratie als einzige für uns gültige Lebensform zu erklären. Wäre die Demokratie wirklich lebendig, so brauchten wir keine Geistige Landesverteidigung. War müssen wieder zu dem gebracht werden, was uns schon sehr schwer fällt: Zu der Vorstellung, was Freiheit bedeutet, und was es bedeuten würde, unter einem totalitären Regime zu leben, mit all seinen Schrecken, mit all seiner Angst; und daß wir sagen, obwohl wir die Schrecken des Krieges kennen: Wir wollen eher kämpfen für unser Land, als die Freiheit verlieren. Wir wissen heute, was Freiheit ist, wir

kennen den Wert der Freiheit, weil wir sie verloren hatten und erst nach bitterem Leiden unter schwersten Opfern wiedergewinnen konnten. Wir müssen also dem jungen Menschen von heute zeigen, was Freiheit ist, wobei wir auf die konkreten Gegebenheiten htaweisen sollen, zum Beispiel einen Beruf ergreifen zu können, zu dem es einem drängt, die Freiheit, seinen Wohnsitz zu wählen, die Freiheit, seine Meinung ohne Anigst sagen zu können.

Ähnlich verhält es sich mit unserer Neutralität. Wir dürfen uns nicht verstecken hinter unserer Neutralität. Auch Neutralität kann nur wirksam werden, wenn sie verteidigungsbereit ist. Vergessen wir nicht, daß Neutralität auch eine gewisse Isolation schafft und kein Garant für den Frieden ist und zum Ausruhen einlädt, sondern äußerst wachsam gepflegt werden muß, um sinnvoll und erfolgreich zu sein.

Noch schwieriger wird es bei dem Vertrauen der breiten Bevölkerung zu unserer Regierung, zu unserem Parlament, zu unserer Justiz. Dabei ist es eine Frage von eminenter Bedeutung, das Verhältnis von Politik und Geistiger Landesverteidigung herauszustellen. Wie sich der österreichische Politiker zu den Fragen der Landesverteidigung einstellt, wird einen sehr großen Einfluß auf die Erziehungsaufgaben und -erfolge der Geistigen Landesverteidigung ausüben. Es muß erreicht werden, daß die Bevölkerung im Falle von Krisen, taternationalen Spannungen und KonfliOctgefahren, soweit sie Österreich berühren sollten, der politischen Führung und deren Maßnahmen Vertrauen entgegenbringt.

Die Ergebnisse von Meinungsbefragungen über das Ansehen des Poliitilkerberufes sind erschütternd. Die Verkeninung des wahren Wesens und der Aufgaben von Politik und des Politikers wiird von den Parteien noch unterstützt, die immer mehr auf die fachlichen Qualitäten ihrer Mandaten hinweisen. So schreibt Dr. Polz in den „Oberösterreichischen Nachrichten“: „Mit allen Mitteln der Publizistik wurde in den letzten Jahren ein äußerst kurzsichtiger und geradezu selbstmörderischer Fachleutemythos kultiviert. Der Erfolg ist für die Entwicklung der Demokratie verheerend. Der Begriff des Politikers wurde in der Masse noch weiter abgewertet, als er es ohnehin schon war, der Fachmann wurde im Bewußtsein des Volkes zum einzigen Gescheiten und Vernünftigen, der die blöden Politiker endlich abzulösen hatte. Damit wuchs allen Ernstes die groteske Vorstellung, man könne Politik entpolitisieren.“ Die verdrehten Vorstellungen von Politik und unserer demokratischen Staatsfarm aufzuzeigen, wird eine bedeutende Arbeit der Geistigen Landesverteidigung sein.

Staatsbürgerliche Erziehung

Zusammenfassend stellt sich die Geistige Landesverteidigung daher in erster Linie als staatsbürgerliche Erziehung dar. Diese aber nicht allein in der Form des Auswendiglernens von Zahlen und Zahlenverhältnissen der jeweiligen Volksvertretungen verstanden, sondern in der Veranschaulichung der echten Werte unseres Staatssystems, und vor allem ta dem Überzeugen, daß die Alternative zu einer schlecht funktionierenden Demokratie nicht die Diktatur, sondern die besser gestaltete Demokratie ist, ta dem Überzeugen, was wahre stanvolle positive Freiheit des Menschen ist und daß wir nur die Freiheit derer verteidigen können, die ihrerseits bereit sind, für die Freiheit einzustehen. Wenn wir dieses Ziel erreicht haben, können wir mit dem beginnen, was heute ta der Schweiz und in Schweden als Geistige Landesverteidigung betrieben wird, während zur Zeit diese Arbeits- und Verhaltensmuster der anderen neutralen Staaten für uns vielfach unbrauchbar sind und überbewertet werden. Dann erst werden Untersuchungen wie „Die Stellung des Offiziers in der modernen Gesellschaft“ oder Propaganda für Haushaltsbevorratung Erfolge zeitigen, während sie jetzt noch das Blattkleid eines Baumes darstellen, dessen Äste zu schwach sind, dieses zu tragen.

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