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Es war keine Fata Morgana

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Von den Siegern wurde der Zeitzeuge Hans Höller nicht in die Nor-mandie zur Erinnerung eingeladen. Privat ist er am 6. Juni trotzdem dabei.

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Von den Siegern wurde der Zeitzeuge Hans Höller nicht in die Nor-mandie zur Erinnerung eingeladen. Privat ist er am 6. Juni trotzdem dabei.

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Noch heute löst die Erinnerung an den „längsten Tag” eine Reihe von Fragen („Was wäre gewesen wenn ...?”) in mir aus, die mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Die persönliche Einflußnahme auf die gigantischen Auseinandersetzungen des 6. Juni 1944 waren aber gering. Die unvorstellbare Übermacht erstickte jeden Ansatz eigener Initiativen in den Ansätzen. Die deutsche Wehrmacht wurde bei der Abwehr der Invasion im großen wie im kleinen Rahmen niedergerungen.

Ich war als Leutnant Zugführer in der 21. Panzerdivision, die als vorderster Verband aller im Westen befindlichen Panzerdivisionen im Räume Caen direkt hinter der Küste lag.

In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni war ich acht Kilometer nordwestlich von Caen, auf halbem Wege zur Küste im kleinen schmucken Ort Cairon gelegen. Ich hatte mich mit meinem Pak-Zug auf Rundumverteidigung eingerichtet. Innerhalb unserer Kompanie gab es erstklassige Disziplin und keine Anzeichen von Zerfall der Kampfmoral. Der Besatzungsdienst in Frankreich war im Jahre 1944 wohl einer der leichtesten Dienste, die einem in der deutschen Wehrmacht zufallen konnten.

Kontakte zur Zivilbevölkerung waren gut, wenn uns auch die Arbeit des Widerstandes nicht verborgen blieb. Ich war bei der Familie Wul-leput Roger einquartiert. Am Wochenende saßen ich und meine Leute des öfteren zum Kaffee im herrlichen Garten mit meinen Gastgebern zusammen. Der Hausherr meinte mehr als einmal, ein Besatzungsregime sei nie gut, am Ende aber bestimme das Verhalten der Besatzer das Zusammenleben.

Im Stich gelassen

Auch wir hatten es mit dem legendären Feldmarschall Rommel zu tun, Hitlers Inspekteur der gesamten Küstenverteidigungen an der Westfront. Am 30. Mai inspizierte er unseren Küstenabschnitt (siehe das Photo unten, das auch im „Völkischen Beobachter” war!). Rommel schärfte uns ein, daß die Invasion in den ersten Stunden schon am Strand niedergekämpft werden mußte, also zum kritischen Zeitpunkt, als der

Feind ungeschützt im Wasser lag und noch am schwächsten war.

Eine Woche nach Rommels Besuch war es dann so weit. Kurz nach Mitternacht wurden wir vom Getöse der einfliegenden Bomberverbände aufgeweckt, die die altehrwürdige normannische Stadt Caen im Süden von uns in Schutt und Asche legten. Tausende Tote lagen in den Trümmern.

Explosionen und Brände ließen die Nacht zum Tage werden als wir aufmunitionierten und uns dran machten, ins Kampfgeschehen einzugreifen. Meine Gastgeberin, Frau Wulleput, war ratlos und gab mir •zum Abschied mit Tränen in den Augen noch Extraverpflegung mit.

Um drei Uhr früh drangen wir ins Ortsgebiet von Benouville vor, nahe der Mündung des Orne Flußes. Ausgerechnet in unserem Abschnitt sollte die erste alliierte Landungsoperation des „längsten Tages” einige Minuten nach Mitternacht erfolgen. Dort waren kurz nach Mitternacht Lastensegler mit englischen Kommandos gelandet, die die wichtige Brücke über den Orne Kanal erfolgreich im Handstreich nahmen (sie sollte unter dem Namen „Pegasus Bridge” bei den Briten einen legendären Ruf erhalten). Unsere Aufgabe war es, diese Brücke - Verbindung zwischen einzelnen Abteilungen unserer Divisionen — zurückzuerobern.

Aus dem präzisen Kartenwerk der ersten Gefangenen ging klar hervor, wie genau der französische Widerstand und die alliierten Geheimdienste gearbeitet hatten. Jede unserer Verteidigungsstellungen war korrekt eingezeichnet.

Wir blieben vor Benouville liegen und warteten auf Verstärkung für die Zurückeroberung der Brücke, mit unseren nach oben offenen, gepanzerten Kampfwagen empfahl es sich nicht, in den Ort einzudringen und sich einem Häuserkampf auszusetzen.

Wir erhielten während des 6. Juni keine Verstärkung. Wegen fehlender Luftunterstützung und Aufklärung blieben wir auch blind über das Kampfgeschehen um uns herum. Unsere günstige Ausgangsposition wurde nie erkannt und wir hatten bereits einen halben Tag verloren, um loszuschlagen. Damals fühlten wir uns im Stich gelassen und waren verbittert, da uns die Zeit davonlief. In unserem Sektor also würde sich Rommels Leitgedanke nicht erfüllen lassen, die alliierte Landung gleich in den ersten Stunden ins Meer zurückzuwerfen.

Deprimierender Anbuck

Es gelang mir zwar, in ein Gebäude, das sich als eine ohne Rotes Kreuz markierte Entbindungsstation entpuppte, einzudringen, um das Orne-gelände und die Küste zu erkunden. Es war zugleich ein phantastischer und deprimierender Anblick, der sich einem da bot. Wir sahen einen mächtigen Strom von Feindsoldaten mit ihren Kriegsmaterialien von der Küste hereinströmen. Aus dem Fernglas betrachtet erschienen Küste und Meer wie eine Fata Mojgana.

Es landeten auch unentwegt weitere Lastensegler, aus denen Massen von Soldaten und Material hervorströmten. Wir konnten ihnen zwar empfindliche Verluste beifügen, aber aufhalten konnten wir sie nicht. Durch die ungeheure Luftüberlegenheit der Alliierten verliefen die Luftlandungen beinahe ungestört. Von unserer Luftwaffe war keine Spur zu sehen - das war die größte Enttäuschung.

Gegen Ende des 6. Juni setzen wir uns Richtung Blainvüle ab und beendeten dort den „längsten Tag”. Dort gelang es uns, noch weitere vier Wochen auszuharren.

Meine denkwürdigen Erfahrungen zu den Kämpfen des 6. Juni wollten mir nicht aus dem Sinn gehen. Der Faden zur Normandie riß auch nie ab. 1973 besuchte ich mit meiner Frau die Familie Roger und danach noch zweimal (Foto auf Seite 9). Jedesmal wurden wir herzlichst aufgenommen. 1989 war ich mit drei Kameraden der 21. Panzerdivision auch beim Bürgermeister von Caen eingeladen und besuchte das Friedensmuseum in Caen.

Zum 50. Jahrestag, am 6. Juni, werde ich mit einigen alten Kameraden - uneingeladen von den Siegern, die in ihrem Erinnerungskult schwelgen werden - wieder mit dabei sein im Räume Caen. Die Quartiere sind zwar schon seit Jahren von den anglo-amerikanischen Veteranenverbänden besetzt, aber französische Freunde werden uns privat beherbergen.

Ing. Hans Höller, geboren 1921, ist 1941 in die Wehrmacht eingezogen worden. Er kämpfte im Afrikakorps und wurde mehrmals verwundet Nach der Normandie-Inva-sion war er noch bis Herbst in die Rückzugsgefechte verwickelt Im Oktober geriet er in amerikanische Gefangenschaft und schwitzte zwei Jahre in Lagern in Oklahoma und Arkansas im Süden der USA. 1946 kehrte er in seine niederösterreichische Heimatgemeinde Ternitz-Pottschach zurück

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