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„Es wurde viel Vertrauen mißbraucht”

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Das heikle Thema Kirche und Stasi war Gegenstand eines Symposions in Berlin. Dabei wurde nicht nur das Ausmaß der Unterwanderung, sondern auch die Unsicherheit der führenden Kirchenvertreter, mit dieser Problematik umzugehen, deutlich.

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Das heikle Thema Kirche und Stasi war Gegenstand eines Symposions in Berlin. Dabei wurde nicht nur das Ausmaß der Unterwanderung, sondern auch die Unsicherheit der führenden Kirchenvertreter, mit dieser Problematik umzugehen, deutlich.

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Als praktisch einzige Organisationsplattform für „Andersdenkende” blieb in der DDR nur die Kirche übrig. Viele Demontratio-nen im Wendeherbst 1989 wurden nicht zufällig in oder um Gotteshäuser abgehalten. Von jeher waren die Aktivitäten in den Pfarrgemeinden der DDR-Führung suspekt. Rereits 1954 wurde eine eigene Hauptabteilung im Ministerium für Staatsicherheit (MfS) gegründet, die alle Maßnahmen zur „geheimdienstlichen Rearbeitung” der Kirchen und Religionsgemeinschaften planen und koordinieren sollte. Wohl nicht zufällig war in der gleichen Hauptabteilung auch die Erforschung der „politischen Untergrundtätigkeit” angesiedelt.

Begründet wurde die Notwendigkeit dieser Einrichtung damit, daß die Kirchen „direkte feindliche Tätigkeit zur Untergrabung der von der Regierung beschlossenen Maßnahmen” durchführe. Um über die Vorgänge in der Katholischen und Evangelischen Kirche informiert zu sein, mußten Informelle Mitarbeiter (IM) angeworben werden, die ihren Führungsoffizieren in den Stasi-Zentralen regelmäßig Rericht erstatteten. Ihr übergeordneter Auftrag war, daß die Religionsgemeinschaften „von innen zersetzt und als selbständige gesellschaftliche Großverbände mit institutioneller Autonomie ausgeschaltet werden” sollten.

Risher konnten nur Vermutungen geäußert werden, wie viele IM im kirchlichen Rereich für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet haben. Reim dreitätigen Symposion „Kirchenpolitik von SED und MfS” am vergangenen Wochenende legte der Leiter der Abteilung Forschung und Rildung in der Gauck-Rehörde, Clemens Vollnhals, erstmals konkrete Zahlen vor.

Das Interesse des MfS an der kirchlichen Arbeit war jedenfalls größer als bisher angenommen. Allein 1987 haben 156 Inoffizielle Mitarbeiter den Führungsoffizieren in der Rerliner Stasi-Zentrale Informationen aus dem kirchlichen Rereich zugetragen.

Hinzu kamen noch weitere 300 bis 500 IM, die von den Rezirks- und Kreisdienststellen aus gesteuert worden sind. Für die Leitung dieser konspirativen Mitarbeiter seien in den späten achtziger Jahren 70 bis 90 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter verantwortlich gewesen, so Vollnhals. Aufgrund des dichten IM-Netzes, „das bis in höchste Leitungspositionen reichte”, sei das MfS zu jeder Zeit „umfassend über innerkirchliche Verhältnisse, Entwicklungen und vertrauliche Reratungen” informiert gewesen.

„In Einzelfällen besetzten sogar eingeschleuste MfS-Offiziere kirchenleitende Ämter”, -berichtete Vollnhals.

Gespräche mit den MfS-Mitarbei-tern wurden aber teilweise sogar mit Rilligung der Rischöfe geführt, berichteer Dresdner Prälat Dieter Grande. So gab es in der katholischen Kirche „Gesprächsbeauftragte, die auf Weisung und mit Wissen ihres Rischofs Kontakte zum MfS hatten”. Wie die Politologin Ute Haese dokumentierte, benannte die katholische Kirche 'diese Ansprech-partner teilweise nicht selbst, „sondern ließ sie in etlichen Fällen durch das MfS quasi mit-aussu-chen”. Die Kie-ler Wissenschaftlerin merkte dazu an: „Remerkenswert ist diese Hinnahme dieser passiven Rolle durch die Kirche schon, denn die Verhandlungsführer für die anderen staatlichen Stellen wurden von der Kirche allein benannt.”

Haese verwahrte sich auch dagegen, den Reauftragten allein die Schuld in die Schuhe zu schieben. Wenn man die gesamte Reauftrag-ten-Problematik in einem Kontext sehe, dann stelle sich vielmehr die Frage: „Was haben die Rischöfe mehr oder weniger bewußt zugelassen, in Kauf genommen oder auch bewußt nicht wissen wollen?” Eine Frage, auf die niemand eine Antwort wußte.

Denn, wie Prälat Grande erläuterte, haute im allgemeinen eine Anordnung der Rischofskonferenz aus dem Jahre 1976 Gültigkeit, in der es hieß, daß gegenüber dem Staatssicherheitsdienst und der Polizei „Auskünfte zu verweigern” seien: „Rei Nichtbefolgung dieser Anordnung müßte ein Angestellter unter Umständen mit seiner Entlassung rechnen.”

Aus dem Ristum Dresden-Meißen ist jedoch inzwischen bekannt geworden, daß mehrere Priester ohne Wissen des Rischofs Kontakte mit dem MfS hatten. Das ergab eine Regelanfrage bei der Gauck-Rehörde, die bisher 372 Auskünfte über die Mitarbeiter dieses Ristums erteilt hat. „Rei 13 Personen, alles Priester, wurden Kontakte mit dem MfS nachgewiesen. Das sind 3,5 Prozent aller Mitarbeiter”, erläuterte Grande, der außerdem Leiter der Stasi-Arbeitsgruppe der deutschen Rischofskonferenz ist.

Doch viele der anwesenden Kirchenvertreter verwahrten sich dagegen, die Stasi-Problematik nur unter dem quantitativen Aspekt zu betrachten. Der Rerliner Theologe Wolf Krötke beklagte, daß in Stasi-Kontakte Verstrickte „so gut wie nichts oder nur Scheinbares zur Aufhellung” beitragen.

Der Versuch der Einflußnahme des MfS auf die Kirche sei nicht etwas Harmloses gewesen, „bei dem es galt, ein bißchen mitzutricksen”. Genausowenig könne ein Kirchen-IM, der von sich behauptet, er habe keinem Menschen geschadet, als „eine Art mehr oder weniger ehrenhafter Privatdetektiv” betrachtet werden. „Hier stand die Wahrhaftigkeit der ganzen Kirche auf dem Prüfstand und nicht bloß, die moralische und politische Integrität der Kirche”, betonte Krötke.

Dieser Aussage konnten sich fast alle Teilnehmer der Tagung anschließen. Der Rischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Thüringens, Roland Hoffmann, fügte noch den Aspekt der „Restrafung” hinzu. „Wie sollen wir damit umgehen? Vieles ist doch dienstrechtlich ar nicht erfaßbar. Die höchste Strafe ist eine Versetzung in den Ruhestand.”

Sein Kollege aus Mecklenburg, Rischof Christoph Stier, pflichtete ihm bei, daß „noch viele Fragen dieser Art offen” seien. „Dieses Kapitel ist keineswegs abgeschlossen.” Es gebe aber keinen Weg, „der das Gesamtproblem auf einfache Weise lösen könnte und nicht schmerzhaft wäre”, so sein persönliches Fazit. Aber insbesondere die Kirche sei gefordert, sich dieser Problematik zu stellen. Der Kirchenfunktionär Ulrich Kröter forderte diesen Schritt ultimativ ein: „Der Schaden sitzt tief, denn viel Vertrauen ist mißbraucht worden. Eine Kirche lebt aber vom Vertrauen der Gläubigen.”

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