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Etappenziele der Revolution

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Günther Nenning und Genossen verdienen um der klaren Formulierung ihrer Zerstörungsabsichten willen Achtung oder wenigstens Beachtung. Das von ihnen immer wieder angekurbelte, aber mit Bedacht niemals in Fahrt gebrachte sogenannte „Bundesheervolksbegeh-ren“ zielt erklärtermaßen auf die gänzliche Beseitigung, einer militärischen Landesverteidigung ab. Bis es soweit ist, will man sich mit einer „Reform“ des Bundesheeres zufrieden geben, die aus dem Heer so etwas wie eine Art Wach- und Schließgesellschaft für Kasernengebäude,' Depots i und veralternde Waffen und Geräte machen würde. Osterreich soll einen Modellfall liefern: Der Staat, der 1955 um seiner Freiheit, Unabhängigkeit und Ungeteiltheit willen die Pflichten einer militärisch zu Verteidigenden Neutralität auf sich nahm, soll die Waffen niederlegen. Dafür soll es eine maßgeschneiderte Form der Neutralität verlangen; einen Stattis, der im Konfliktstaat für die Existenz des Staates der Strick wäre.

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Günther Nenning und Genossen verdienen um der klaren Formulierung ihrer Zerstörungsabsichten willen Achtung oder wenigstens Beachtung. Das von ihnen immer wieder angekurbelte, aber mit Bedacht niemals in Fahrt gebrachte sogenannte „Bundesheervolksbegeh-ren“ zielt erklärtermaßen auf die gänzliche Beseitigung, einer militärischen Landesverteidigung ab. Bis es soweit ist, will man sich mit einer „Reform“ des Bundesheeres zufrieden geben, die aus dem Heer so etwas wie eine Art Wach- und Schließgesellschaft für Kasernengebäude,' Depots i und veralternde Waffen und Geräte machen würde. Osterreich soll einen Modellfall liefern: Der Staat, der 1955 um seiner Freiheit, Unabhängigkeit und Ungeteiltheit willen die Pflichten einer militärisch zu Verteidigenden Neutralität auf sich nahm, soll die Waffen niederlegen. Dafür soll es eine maßgeschneiderte Form der Neutralität verlangen; einen Stattis, der im Konfliktstaat für die Existenz des Staates der Strick wäre.

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Der Antimilitarismus, den Günther Nenning und Genossen produzieren,, ist nicht pazifistisch sondern antiautoritär ausgerichtet; er ist Teil einer Aktion, die nicht die Reform sondern den totalen revolutionären Umsturz der Gesellschaftsverhältnisse bezweckt; nicht Österreich, das für die Neue Linke etwas Gewesenes oder Verwesendes ist, steht zur Debatte, sondern ein Etappenziel der Revolution. Nicht jedermann in Österreich hat das Nein zum Bundesheer so klar ausgesprochen wie Günther Nenning und Genossen. Andere vermeiden lieber zunächst die Hervorkehrung der Zerstörungsabsicht und kehren die von Günther Nenning gedachte Reihenfolge der Zerstörungshandlungen um: Zuerst die Degradierung des Bundesheeres zu einer Art Wach- und Schließgesellschaft (siehe oben!) und nachher, angesichts der unvermeidbaren Leerläufe in einem auf Aussterbeetat gesetzten Buridesheer, dessen Abschaffung. Da viele Österreicher nicht wissen, wo im Streit um die Landesverteidigung die Front zwischen dem Ja und dem Nein tatsächlich verläuft, entsteht ein richtiger österreichischer Pallawatsch. Niemand kennt sich aus und niemand soll sich auskennen, ob der Körper, der auf dem Tisch der Verhandlungen über die Bundesheerreform liegt, noch operiert wird (um von Gebrechen befreit zu werden) oder ob bereits eine Obduktion der Leiche stattfindet. So erklärt sich die Betulichkeit, mit der sich einige bemühen, den schon abgestorbenen Teilen einen warmen Umschlag zu geben.

Es geschieht nicht oft, daß ein Staat seinem Heer während dessen Reform mehr Lebenskraft und Widerstandsfähigkeit abverlangt, als er selbst ihm je gegeben hat. Jede Heeresreform, selbst jene, die zu einer Verstärkung des Heeres führt, bringt in der Ubergangszeit eine Schwächung der Heeresorganisation. Um wie viel mehr muß das in Österreich der Fall sein, wo das Heer noch gerade so etwas wie ein heißer Erdapfel geworden ist, den niemand mit der Hand anfallen will, sondern lieber fallen läßt.

Im Schachspiel der österreichischen Innenpolitik ist die Landesverteidigung nur ein Bauer, den man in einer Gambiteröffnung opfert, um die Dame zu gewinnen und den König matt zu setzen. Die Sozialistische Partei kassierte am 1. März 1970 das politische Entgelt für das Wahlversprechen, die Dauer der Präsenzdienstzeit auf sechs Monate zu reduzieren; am Vorabend der Wiederholungswahl vom 4. März 1970 ventilierte eine Gruppe junger Menschen im Vorfeld der Volkspartei unter prominenter Assistenz eine nur mehr fünfmonatige Präsenzdienstzeit; und die Freiheitliche Partei ließ verlauten, man dürfe sich von ihr nicht erwarten, daß ausgerechnet sie die letzte Wache von gestern schieben werde; um zum Schluß beim Widerstand gegen eine abgleitende Dauer der Präsenzdienstzeit den (wörtlich) Schwarzen Peter in ihr politisches Blatt zu bekommen.

Es wiederholt sich, was zum System der Funktionärsdemokratie gehört: Ministerien, die wie jenes des Heeres, des Unterrichtes, des Äußeren, nicht die Pression • der Mandatare wirtschaftlicher oder sozialer Interessen hinter sich haben, werden von den Inhabern der tatsächlichen Macht manipuliert.

Schon mischen sich wildere Töne in die Polemik. In kotzigen Pauschalverdächtigungen ist von faschistischen Elementen im Bundesheer die Rede, von Offizieren, die es ihren griechischen Kameraden gleich machen könnten, indem sie nach der Macht im Staate greifen, und wieder soll die Republik da oder dort unter den Schutz anderer Waffenträger, als es die der Exekutive sind, gestellt werden. Unter den Arbeitenden der industriellen Betriebe soll eine Art von Betriebsschutz rekrutiert werden; zur Bewachung dieser Betriebe. Politische Modelle und Formeln sind, wir wissen es, vieldeutig. Gewiß; Jedermann möchte in Österreich gegen jedermann und in jedem geschützt werden. Davon ist in der Diskussion über die Bundesheerreform mehr die Rede als von dem Schutz der Republik. An diesem Punkt schwelt das Mißtrauen, das schon in der Ersten Republik das Bundesheer zwischen den Fronten einer politischen Positionsstrategie der politischen Gruppen nahezu verdorren ließ. Damals, als die Regierung in dem Verdacht stand, die Republik bekämpfen zu wollen und die oppositionelle Sozialdemokratie eine bewaffnete Parteiarmee ins Leben rief, um als Opposition jene Form des Staates zu beschützen, deren Schutz man den legal berufenen Organen nicht zutrauen wollte.

Das gehört zu den paradoxen Fällen der Art, wie man in Österreich zuweilen Politik macht. Man lächelt im Ausland darüber und man versteht das Ganze nicht, bis dann, was auch zuweilen geschieht, die Travestie einer Staatsaffäre zur Tragödie des Staates wird.

Wer schützt die Republik dann, wenn sie zuweilen im Niemandsland zwischen Parteien- und Gruppeninteressen zu stehen kommt? Nach dem verbrecherischen Anschlag einer rechtsradikalen Minifraktion wurde anläßlich der Nationalratswahl vom 1. März 1970 sichtbar, daß die formal intakte Prozedur der parlamentarischen Demokratie nicht immer ausreicht, um die res publica in der Schüttzone zVischen Legalität und Gesetzeslücken zu schützen. Es war für viele ein beklemmender Anblick, als nach der Wiederholungswahl vom 4. Oktober 1970, anläßlich des bevorstehenden erneuten Zusammentretens des Nationalrates und der Neuwahl der Präsidenten, eine Positionsstrategie der Fraktionen für eine Weile Regie führte.

1933, anläßlich der „Selbstausschal-tung des Parlamentes“ in Österreich, handelten Renner, Ramek und Straff-ner unbedacht in der Hitze des Gefechtes. Niemand hat dieses Versagen härter beurteilt als Adolf Schärf. Im Oktober 1970 wurde das „Spiel mit den drei Präsidenten“ nach klarer Überlegung und mit kühlem Verstand gespielt. Ein riskantes Spiel, selbst wenn es in Grenzen blieb.

Die Tatsache, daß dieser Vorgang unter Kontrolle blieb öder unter Kontrolle gebracht wurde, täuscht nicht über den Spektakel hinweg: Eine kleine Gruppe rechtsradikaler Verbrecher macht den Parlamentarismus wackelig; der Parteiismus investiert einiges in das kalkulierte Risiko der so entstandenen Situation; an der Kippe der Entscheidung fallen die Regieführer, zurück. Das Unbehagen bleibt.

Denn: Ist die Republik bereits hinlänglich geschützt, wenn das Perpetuum mobile des Parlamentarismus in Gang bleibt? Wie werden die ethischen und moralischen Investitionen der Staatsbürger honoriert? Das, was man einmal die „Hingabe“ nannte, ohne die kein Staat auf die Dauer auskommen kann.

Ich denke zum Beispiel an die jungen Offiziere des Bundesheeres, die nach 1955 ihr junges Leben einem Dienst für die Republik aufgetragen haben. Haben wir in Österreich so viele und so viele wertvolle Gutschriften auf das gemeinsame Konto, daß wir diesen — und anderen jungen Menschen, die nicht Revolution machen sondern den Leistungsaufruf befolgen wollen — nachher sagen: Wir bedauern, es war ein Irrtum der Behörde. In einer Zeit, in der so vielen jungen Menschen von ihren politischen Vorbildern, von Lehrern, Geistlichen usw. angewöhnt wird, Nein zu sagen und alles in Frage zu stellen, muß die Aufmerksamkeit des Staates jenen gelten, die — als „spießige Jasager“ diskriminiert — die unbedankte Arbeit besorgen, das Ganze der res publica tragen zu helfen. Es wäre gefährlich, den Schutz der res publica der zahlenmäßig überwiegenden schweigenden Masse zu überlassen, die zwar keine Revolution anzettelt, die aber auch keine verhindern könnte. Denn die Revolutionäre machen sich das Rechtssprichwort zugute: Wer schweigt, von dem wird angenommen, daß er zustimmt. Das aber ist die „bolschewikische Methode“: Eine Minorität behauptet angesichts der Majorität, sie sei die' Mehreren, denen die Macht im Staate gebührt.

Nachdem man so lange und so gründlich nach ' den „Leerläufen im Bundesheer“ geforscht hat, ist es an der Zeit, die Fehlstarts und Leerläufe des Politischen unter Kontrolle zu nehmen. Man klage nicht jugendliche Revolutionäre an, weil sie bewegungsunfähige Organe des sogenannten - Establishments' zerstören wollen; vielmehr beschäftigte man sich mit der Tatsache, daß die in der Politik angewandten Sachinhalte und Methoden nicht ausreichen, um eine Gesellschaft zu tragen, der selbst Herbert Marcuse bescheinigen muß, daß sie weder terroristisch noch schlecht funktionierend ist. Der Staat, der sich von den Revolutionären den Vorwurf des Untertanbetriebs gefallen läßt und mit den Revolutionären paktiert; der Staat auf dessen Hochschulen man „Unter-tanenfaibrik“ storniert; ein solcher Staat ist schlecht geschützt. Das ist kein Vorwurf an Polizisten, Pedelle, Saalhüter und Kirchendiener, sondern an jene, die glauben, gegen unruhige Demokraten genügten Technokraten.

Hut ab vor den Steuerzahlern dieses Staates, vor disziplinierten Verkehrsteilnehmern; vor überlegt handelnden Produzenten und Konsumenten; vor Wirtecbafts- und Sozialpartnern, die wissen, daß man die heutige überorganisierte und überdifferenzierte Ordnung nicht mit Methoden steuern kann, die ein bewaffneter Revolutionär im Cockpit eines Passagierflugzeuges zur Geltung bringen will. Sie tragen die Gemeinschaft und sie schützen sie; aber ihr Substrat ist vorwiegend schweigende Masse. Es ist aber an der Zeit, daß man sich vorsieht, damit die Republik nicht Schaden erleide. Und Schweigen ist nicht die Waffe der Demokratie.

In den politischen Parteien und Gruppen sind vielfach Reform Vorgänge angesichts neuer Aufgäben in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft unterwegs. Möge, man dabei über den Ideen und den genuinen Ansprüchen der Gruppe die res publica nicht vergessen. Das, was alle angeht und allen gehört.

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