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Europa und der General

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Als der englische Premierminister Wilson nach sorgfältiger Prüfung aller Elemente den Entschluß Großbritanniens bekanntgab, ein zweites Mal die Kandidatur seiner Nation als Vollmitglied in der EWG zu stellen, äugten viele seiner Landsleute etwas beunruhigt nach Paris. Den dort amtiert und richtet in europäischen Sachen Oharies de Gaulle, der schon einmal dem konservativen England eines McMillan ohne Bedenken die Tür vor der Nase zugeschlagen hat.

Wird auch diesmal de Gaulle sein Veto einlegen?

General Charles de Gaulle wurde sehr oft als engstirniger Nationalist apostrophiert, der die Glorie seines Landes allein pflegt und der europäischen „übernationalen Nation“ feindlich gegenüberstehe. Auf alle Fälle steht es fest, daß er kein auf Anhieb föderiertes Europa begrüßt wie die großen christlich-demokratischen Staatsmäner in den ersten Nachkriegsjahren, ein Adenauer, ein de Gasperi und Robert Schumann. Diese konzipierten eine übernationale Gemeinschaft, die den einzelnen1 Staaten zahlreiche Souvernitäts-reebte nehmen sollte.

Der General hat „sich sein ganzes Leben lang eine gewisse Vorstellung von Frankreich gemacht... Frankreich ohne Größe wäre nicht mehr Frankreich“, heißt es in seinen Memoiren. Kein Staatsmann, bemerkte der außenpolitische Leitartikler des „Figaro“, Roger Massip, hat seinem Lande jemals so eine Liebeserklärung gemacht wie de Gaulle, der sichtlich die Traditionen der großen Könige und Kardinäle fortzusetzen wünscht. Allerdings ist sich der General bewußt, daß zwei Supergroßmächte die Welt teilten und die europäischen Staaten nach ihrer Bevölkerungszahl wie technisch der Entwiicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert allein nicht mehr gewachsen sind. „Warum besitzt Frankreich nicht auch 120 Millionen Einwohner?“ umriß er einmal sehr deutlich die Schwächen seiner Nation. Er mußte also nach der Liquidierung des riesigen Kolonialreiches daran denken, eine besondere Position in Europa aufzubauen, um weiterhin die Stellung Frankreichs in der Welt bestätigt zu sehen. Es wäre natürlich gewesen, beim Bundesgenossen von 1914/18 und 1940 anzuklopfen und die kühnen Pläne eines Churchill aufzunehmen, der in den kritischen Tagen des Westfeldzuges die Schaffung eines englisch-französischen Staates proklamierte. Aber de Gaulle war immer der Meinung — und von dieser Überzeugung ist er bis heute so gut wie nie abgegangen —, daß England, vor die Wahl gestellt, immer für die angelsächsische Welt, sprich: die USA, optieren würde. Damit würde jedoch Frankreich in den Sog der Vereinigten Staaten fallen und die Rolle eines minderwertigen und zweitklassigen Vasallen übernehmen.

Viele Interessen verbinden Frankreich mit Rußland. Aber der stalinistische Imperalismus, der kalte Krieg machten vorläufig eine engere Bindung Frankreichs an die Sowjetunion illusorisch. Außerdem waren auch die Größenverhältnisse nicht dazu angetan, diese Allianz als eine echte Hypothese in den Kreis außenpolitischer Überlegungen zu stellen.

Es Mieb also das geteilte Deutschland. Die Vierte Republik hatte es verstanden, durch die großartige Geste eines Robert Schumann, die Bundesrepublik Deutschland in ein organisches europäisches System von Bündnissen einzubauen. Die französische öffentliche Meinung hat schneller als angenommen diese Politik akzeptiert. General de Gaulle vertrat nach Kriegsende sehr nachdrücklich die These von der Inter-nationalisierung der Ruhr. Er schlug die Bildung eines losen germanischen Staatenbundes vor und förderte die endgültige Abtrennung der Saar vom deutschen Volkskörper.

Aber schon 1947 weist er in seinen Enuntiationen darauf hin, daß er an “eine Versöhnung zwischen Kelten und Germanen denke. In einem langen innenpolitischen Exil reiften diese Gedanken: eine enge Bindung der Bundesrepublik — wir betonen ausdrücklich der „Bundesrepublik“ — an Frankreich werde eine Verstärkung des eigenen Potentials bedeuten. Natürlich war Deutschland vorläufig die Rolle des glänzenden Zweiten zugedacht, nach einem klassischen Pariser Witzwort: „Deutschland möge immer stärker als die Sowjetunion sein und immer schwächer als Frankreich.“

Zuerst überraschend entstanden persönliche Bindungen und eine tiefe Freundschaft zwischen de Gaulle und dem amtierenden Bundeskanzler Adenauer. So wurde die Politik Westeuropas jahrelang durch eine engere französisch-deutsche Leitung beeinflußt und geformt. Allerdings dachte de Gaulle nicht daran, die von seinem Freunde Adenauer vorgetragene europäische Föderation zu unterschreiben oder den supranationalen Behörden „diesen verantwortungslosen und okul-ten Technokraten“ größere Rechte einzuräumen. Für de Gaulle waren und sind die Basis einer gewissen europäischen Einigung die Völker, die sich in ihren Staaten finden, eigene festumrissene Einheiten bilden, die, historisch bedingt, besondere politische Rechte zu beanspruchen haben. Das Konzept eines „Europa der Vaterländer“ stand im Widerspruch zu den abstrakteren, übergeordneten Kategorien der christlichen Demokraten. Wie sollte auch ein de Gaulle je zustimmen, daß Frankreich irgendwelche Sou-veränitätsreahte aufgebe oder die eigenen Streitkräfte ausländischen Kommandanten unterstelle?

Das gaullistische Frankreich löste daher Krise über Krise in der NATO aus, entzog den integrierten Stäben die Luftwaffe, die Marine, bis vor kurzem alle NATO-Einheiten Frankreich räumen mußten. Für de Gaulle gibt es eben keine atlantische Gemeinschaft, sondern nur eine lose Konföderation der europäischen Staaten, die nicht unbedingt die weltweite Strategie der USA unterstützt. Und an Stelle der Hohen Behörden treten die bilateralen Gespräche zwischen autonomen Staaten.

Als die Regierung der Protestanten Erhard und Schröder zu sehr die amerikanische Karte ausspielte und eine engere Anlehnung an Großbritannien suchte, vereisten die Beziehungen zwischen Paris und Bonn. De Gaulle suchte eine Alternativlösung und näherte sich der Sowjetunion; das Europa bis zum Ural ersetzte in diesen Perspektiven das kleine Europa eines Monnet. Außenminister Schröder wurde in Paris zur suspekten Person Nr. 1 ernannt und den Amerikanern in unzähligen Maßnahmen mitgeteilt, daß sie keinen Anspruch stellen dürften, eine oberste Schiedsrichterrolle in Europa einzunehmen. Das gaullistische Regime forcierte den Aufbau einer autonomen Atomstredtmacht, investierte Milliarden in die Weltraumforschung, um seine Rolle im Konzert der Weltmächte zu bestätigen. Spektakuläre Reisen des Staatschefs nach Südamerika und Südostasien bestätigten den Anspruch Frankreichs, in der Dritten Welt gegenwärtig zu sein. Diese Politik des Prestige legte der Nation große Opfer auf, hat jedoch Frankreich eine weit über die wirtschaftliche und finanzielle Stärke hinaus weltpolitische Rolle gesichert.

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