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„Europamodell“ Kärnten

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Der Tod des hochverdienten Staatsmannes der Zweiten Republik Dipl.-Ing. Dr. h. c. Leopold Figl ließ ein unserer Meinung nach für Österreichs Innen- und Außenpolitik bedeutsames Ereignis etwas in den Schabten treten: Für den 9. Mai hatte der Rat der Kärntner Slowenen aus Anlaß der 20jährigen Wiederkehr der Gründung der Republik und der zehnjährigen Wiederkehr der Unterzeichnung des Staatsver-trages zu einer Akademie eingeladen. Der Rat ist bekanntlich der Dachverband aller katholisch eingestellten Organisationen der Kärntner Slowenen; man rief nicht zur Veranstaltung, weil man der Meinung war, daß es noch zuwenig Feiern dieser Art in den letzten Tagen gegeben hätte, sondern weil im Konzert der feierlichen Festgesänge, so wurde in einer Rede betont, ein Akkord fehlen würde, wollten nicht auch die Kärntner Slowenen in würdiger Weise sich jener Ereignisse erinnern, die uns schon so fern vorkommen, weil sie jenen schrecklichen Tagen der Verwüstung und der Not zugehören.

Als besonderen Gast konnte der Vorsitzende des Rates der Kärntner Slowenen, Dr. Valentin Inzko, neben Nationalrat Dr. Ludwig Weiß und den Mitgliedern der Kärntner Dandesregierung Landeshauptmannstell-vertreter Ing. Truppe und Dandesrat Bacher den in diesen Monaten die Funktion des Bundespräsidenten ausübenden Bundeskanzler Dr. Josef Klaus begrüßen. Der Beifall, mit dem Dr. Klaus begrüßt wurde, kannte keine Grenzen, geschah es doch zum erstenmal in der in vielen Jahren und Jahrzehnten leidvollen Geschichte der Kärntner Slowenen, daß ein amtierendes Staatsoberhaupt oder Regierungschef eine ihrer Veranstaltungen besuchte und zu den versammelten Menschen sprach.

Wert der Volksgruppen

Aus der Rede des. Bundeskanzlers seien hier einige markante Stellen zitiert, weil- -sie, ihres bedeutsamen Konzepts und ihrer menschlichen Tiefe wegen, verdienen, einem breiteren Leserkreis zugänglich gemacht zu werden.

Dr. Klaus führte unter anderem aus:

„Liebe slowenische Landsleute.'

Ich komme als Kärntner zu guten Kärntnern; ich komme als Österreicher zu guten Österreichern und ich komme als Freund zu guten Freunden.

Sie wissen, ich sollte jetzt in Wien sein, aber ich habe es mir nicht nehmen lassen und konnte es so einteilen, daß ich diese Feierstunde noch mit euch, liebe Kärntner Slowenen, verbringen kann...

Die immerwährende Neutralität, ein Weg, den wir zunächst zaghaft und unsicher beschritten haben, wurde sehr bald ein tragfähiges Fundament unserer Außenpolitik. Die übrigen Staaten der Welt erkannten sehr rasch den Wert unserer Neutralität und ihre Bedeutung. Österreich wurde 1955 ein stabilisierender politischer Faktor in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Seit wir wieder eine freie und unabhängige Gemeinschaft von Österreichern sind, vermögen wir, anstatt nur nach innen zu blicken und uns nur mit unseren eigenen Problemen zu beschäftigen, auch wieder den Blick nach auswärts zu richten und unsere Stimme für eine Zusammenarbeit der europäischen Völker zu erheben, eine Zusammenarbeit, di alle Völker umfassen soll, die sich seit eh und je zu Europa zuoehörif fühlen.

Wie Ihnen bekannt ist, habe icY bei meinem Besuch in unserem südlichen Nachbarstaat betont, daß de) Akkord Europas leer wäre, daß ihn ein Ton, ein wichtiger Ton fehler würde, wenn in ihm wohl die germanisch-romanischen Dominanter und Tonika aufklingen würden, abe' wenn in diesem Akkord die slawi sehe Terz fehlen würde; dann wäri es kein Akkord.

Es fiel., und fätlt einem Kärtne nicht schwer, diese Tatsachen von geographischen oder kulturgeschicht liehen oder auch vom musikalische Standpunkt her zu erkennen, ja, wi Kärntner sagen, daß sich erst mi dem slawischen Ton die europäisch Polyphonie manifestiert. Aber dai was ich im Hinblick auf Europa sagt

gilt erst recht für unsere österreichische Heimat, für unser Kärnten, wo autochthon eine slawische Volksgruppe lebt. Wir möchten aus diesem großen Europa keines der Völker, das dazugehört, auch keines aus dem östlichen und südöstlichen Teil des Kontinents missen. Wir Österreicher empfinden tief die slawischen vielstimmigen und gefühlvollen Melodien in unserem Musik- und Liedgut. Wie viele Dichter, Musiker und Komponisten, die Österreich hervorbrachte und die heute den österreichischen Namen in der Kulturwelt vertreten, waren slawischer Herkunft und durchwebten die österreichische Kunst mit slawischen Elementen. Staunend bewundern wir in unserem Vaterland die' glückliche

Mischung nördlicher, südlicher und östlicher geistiger und formaler Wesenszüge, begegnen slawischen Namen und lernen dies alles als ein Wesenhaftes, als ein unseres schätzen, durch das unser Kulturgut nie ärmer geworden ist, immer aber bereichert worden ist.

Ich spreche zu Slowenen, die gerade unserem Kärnten in sein Wesen unauslöschliche slawische Merkmale einprägten, und ich spreche zu Slowenen, die auf ihre Muttersprache stolz sind und sie in unserer österreichischen Gemeinschaft erhalten wissen wollen, und ich glaube, darin kommt keine Beengung oder Verarmung des österreichischen Wesens zustande, sondern ebenfalls eine Bereicherung.“

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