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Europas Schweigen zu Athen und Madrid

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„Wer Geschichte schreiben wollte, könnte die Unruhe einer unaufhörlich von Stürmen bewegten Welt schlecht verstehen, falls er sie nicht aus der griechischen Seele ableitete, deren Un-stabilität das schwebende Gleichgewicht des Vogelfluges sucht, aber im Sturz des Ikarus endet.“

Frank Thiess im „Reich der

Dämonen“.

Griechenland ist daran, wie Ikarus ins Meer zu stürzen. Das Regime der Obersten nähert sich jener Unstabi-lität, die das Ende ankündigt. Das Land am Fuße des Olymp schlittert in jene historische Phase jeder Autokratie, in der man nur durch Verhaftung, politische Justiz und Terror das Chaos zu verhindern sucht: die Ernte der Drachensaat ist Anarchie. Haben die Obersten ihr Gesicht im Innern Griechenland bereits verloren, suchen sie ihre Reputation im Ausland noch aiufrechtzuhalten. Und so scheuen sie in Mißachtung des Gastrechts und in Unverständnis für das Ethos mitteleuropäische! Journalisten nicht davor zurück, Korrespondenten unter Druck zu setzen. Heinz Gstrein, Korrespondent der „Furche“, des Rundfunks und der Austria Presseagentur, mußte sich von der Politpolizei der Militärdiktatur in Athen eine Untersuchung gefallen lassen. Schon beim Begräbnis des verstorbenen Ministerpräsidenten Papandreou hatte man ihn zur Polizei geschleppt, geschlagen und seine Photos beschlagnahmt. Denn Gstrein hatte sich nie gescheut, über das Regime in Athen wahrheitsgemäß zu berichten — und hatte die Diktatur beim Namen genannt. Er hatte darüber berichtet, was in Griechenland wirklich geschieht, und damit das Konzept der Obersten zerstört, die ihr Hellas gerne als paradiesische Insel der Ruhe und des Bürgerfriedens darstellen wollen. In politischen Prozessen versucht das Regime zur Zeit, die wachsende Unruhe zu unterdrücken. So verurteilte man bereits im Jänner 1969 unter anderem

• den Buchhalter Pavlos Nefeloudis zu lebenslanger Haft und den Druk-ker Periklis Rodakis zu 17 Jahren Haft wegen „Verbreitung subversiver Schriften“,

• vier Angehörige einer studentischen Organisation zu je 17 Jahren, die 23 jährige Studentin Kalliopi Tsemelikou zu 16 Jahren Haft wegen „subversiver Propaganda“,

• die Krankenschwester Magdalini Pittaka und die Arbeiter Jannis Petropoulos und Christas Reklitös; Fatropoulos zog vor Gericht seine Schuhe und Socken aus und zeigte dein Richtern die Fußwiunden mit herausgerissenen Zehennägeln, die ihm und seinen Mitangeklagten zugefügt wurden; die Anklage: „Agitation zum gewaltsamen Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung.“

Alle diese Prozesse werden — zwei Jahre nach dem Obristenputsch und vier Monate nach einer Abstimmung über die neue griechische Verfassung — auf Grund einer Notverordnung Nummer 509 vor militärischen Sondergerich ten abgewickelt; die zensurierte, griechische Presse durfte über sie nicht berichten. Die Beweisführung das Staatsanwaltes war oft lächerlich — etwa dann, wenn für das Schreiben von Parolen auf Schultafeln Zuchthaus über 20 Jahre beantragt wird; oder wenn man einen rechtsgerichteten ehemaligen, heute 70jährigen General einen „Plan zur Verfälschung des freien Volkswillens“ unterschiebt. Alle diese Vorfälle sind Wasser auf die Mühlen der Kommunisten, die Märtyrer schaffen und sich nun zu „aufrechten Demokraten“ mausern, um auch idealistisch gesinnte Griechen zu beeinflussen. So könnte Europa, wenn es sich schon nicht zu einem internationalen (und wahrscheinlich auch wirksamen) Wirtschaftsboykott zusammenschließt, wenigstens dokumentieren, daß es nichts gemein haben will mit den Diktatoren von der Akropolis. Denn Griechenland hat im Europarat nichts mehr zu suchen. Nachrichten vom Schicksal der Diktatur, vom verpflichtenden Gesetz der Autokratie kommen auch aus Spanien. Dieses Land, das durch 30 Jahre nach einem schrecklichen Bürgerkrieg eine friedliche Atempause erhielt und in dem die romanischen Temperamente gezügelt schienen, setzt sein internationales Ansehen und seine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung nun neuerlich aufs Spiel. Von einem alten Mann regiert, scheint dieser nun zu den Usancen der Bürgerkriegsära seine Zuflucht nehmen zu müssen. Die Verfassungsreformen der Jahre 1966/67 bleiben stecken, das Parlament blieb ein gelenktes Forum, die nationalen und regionalen Wünsche bleiben unerfüllt und soziale Konzepte in der Schreitotischlade. So gingen auch zahlreiche junge Manschen in den politischen Untergrund, um sich nicht mitschuldig zu machen am erstarrten System einer anachronistischen Reaktion.

Was nun in Spanien geschieht, Ist ein Schlag in das Gesicht der Demokratie in Europa. Denn Franco ist nicht nur gegen die nicht weniger faschistische Linke seines Landes angetreten, sondern auch gegen Persönlichkeiten der Mitte, gegen Demokraten und Katholiken:

• Der Schriftsteller Alfonso Carlos wurde zusammen mit fünf Jesuiten verhaftet,

• die Lokale der katholischen Arbeiterbewegung in Madrid wurden durchsucht, Funktionäre verhaftet,

• der Anwalt Oscar Algaza, Sekretär der christlich-demokratischem Jugendbewegung, der Journalist Pedro Altares Talavera, Redakteur der katholischen Zeitschrift „Dialog“, und der Anwalt Gregorio Barba wurden vor kurzem deportiert.

Wer noch unter den bereits 80 prominenten Verhafteten ist, weiß man nicht. Wie in Griechenland kann die Polizei auf Grund des Ausnahmezustandes die Verhafteten beliebig lang einsperren und auch hier drohen ihnen Sondergerichte. So stellt sich Europas Hoffnung auf kontinentale Befriedung und Achtung der Menschenrechte als Schimäre dar. In Prag verbrennen sich Menschen, in Athen werden sie gefoltert, in Spanien deportiert. Und niemand ist da, der gute Geschäfte und freundliche Botschafterplaudereien abbrechen möchte. Ikarus hat auch nördlich der Pyrenäen und das Balkangebirges lahme Flügel.

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