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EWG-Geduld ist keine Tugend

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50 Tage benötigte die Bundesregierung dazu, einen Bericht über den Stand der wirtschaftlichen Integration Europas im Zeitraum vom 1. Jänner bis zum 31. August 1967 anzufertigen. 141 Tage schlummerte dieser Bericht in den prallgefüllten Ablagen des Parlamentes, ohne daß sich auch nur ein Abgeordneter um ihn gekümmert hätte. Erst am 8. März dieses Jahres wurde er in dem unter Vorsitz des SPÖ-Abgeordneten und Nationalratspräsidenten Dipl.-Ing. Waldbrunner stehenden Integrationsausschuß diskutiert. An der Debatte beteiligten sich sage und schreibe drei Volksvertreter. Und wiederum 42 Tage später beschäftigte sich erst das Hohe Haus damit…

Sind dies Anzeichen für das Eingeständnis der Zwecklosigkeit unserer weiteren EWG-Bemühungen? Hat uns Fanfanis Südtirol-Schuß vor den EWG-Bug so sehr getroffen, daß diese an den Tag gelegte Lust- und Interesselosigkeit gerechtfertigt erscheint? Dies sind die Fragen, die jetzt jene politisch interessierten Österreicher bewegen, die vergeblich versuchen, sich nach der Regierungsumbildung ein Bild über die jetzigen vielleicht geänderten Motive der Regierung und ihres neuen Handelsministers zu machen.

„Anfang Juli 1967 benützte der Vizekanzler (Dr. Bock) die Gelegenheit von Höflichkeitsbesuchen, die er dem seit 1. Juli im Amt befindlichen Vorsitzenden des Gemeinsamen Ministerrates der Europäischen Gemeinschaften, Vizekanzler Willy Brandt, sowie dem mit Wirkung vom 1. Juli neu ernannten Präsidenten der Europäischen Kommission Jean Rey abstattete, um diesen den österreichischen Standpunkt hinsichtlich der Fortführung der Verhandlung darzulegen. Die beiden Persönlichkeiten versprachen, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach Kräften für eine zügige Fortführung der Verhandlungen zwischen Österreich und der EWG einzusetzen”, heißt es im Bericht der Regierung lapidar, der zu einem Zeitpunkt erstellt wurde, in dem schon abzusehen war, wie sehr sich Österreichs wirtschaftliche Situation auf den Auslandsmärkten Monat für Monat verschlechterte.

Während die gesamten österreichischen Ausfuhren im Vorjahr um nicht weniger als acht Prozent stiegen, verringerte sich das Exportvolumen in das Gebiet unseres Haupthandelspartners, der EWG, um 400 Millionen auf 19,1 Milliarden Schilling. Der Anteil der EWG an den österreichischen Exporten sank von noch 45 Prozent im Jahre 1968 auf 41 Prozent. Und dies, obwohl zahlreiche Firmen weiterhin ohne jedweden Gewinn in die Wirtschaftsgemeinschaft exportieren, um trotz der hohen Zollmauern bis zum Arrangement mit der Sechsergemeinschaft nicht aus dem Markt gedrängt zu werden.

Das Südtirol-Argument

Auf dem politisch-diplomatischen Gebiet sieht es aber gar nicht danach aus, als ob sich in nächster Zukunft Entscheidendes ändern könnte. Wohl ließen die Vorschläge des deutschen Außenministers Brandt klar erkennen, daß eine etwaige Regelung der Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und Großbritannien sich unmittelbar auch auf die Form und die Gestalt des künftigen Verhältnisses Österreichs zur EWG auswirken werde. Für Österreich ergeben sich aber leider noch andere — bedauerliche Aspekte: Die meisten Diplomaten halten es für ausgeschlossen, daß das italienische Veto noch vor den italienischen Parlamentswahlen fallen könnte. Es isį einleuchtend, daß sich die Römer Regierung und die in ihr vertretenen Politischen Parteien das Wahlkampfargument des Südtirolterrors nicht aus der Hand winden lassen. Mit einer Aufgabe des Vetos würden die Italiener öffentlich eingestehen, daß der „Terror in Südtirol” in den letzten Monaten von österreichischer Seite wirksam unterbunden wurde. Nach den Parlamentswahlen wird freilich auch Italien Farbe bekennen müssen.

Zwei Hürden

Doch nicht nur in dieser Richtung laufen unsere diplomatischen Bemühungen angeblich auf Hochtouren. Schließlich gilt es ja auch die Hürden Sowjetunion und Frankreich zu überwinden. An der Haltung Moskaus hat sich weder durch den Besuch des Kanzlers noch die Reise des Außenministers Dr. Waldheim etwas geändert. Im Gegenteil: Die Sowjets versicherten glaubwürdig, daß sie das verstärkte Auftreten der westdeutschen NPD mit größter Sorge erfülle. Diplomaten, die in Wien an einem Beschluß gearbeitet haben, der den neuen Kurs realistisch festsetzen soll, neigen zu der Ansicht, daß es auf den endgültigen Vertragstext des österreichischen Arrangements ankommen werde. Dabei bestehe zumindest die letzte Möglichkeit, den sowjetischen Bedenken insoweit entgegenzukom- men, daß der Moskauer Protest ein rein verbaler bleibt und keinerlei Einfluß auf den Abschluß hat.

Dadurch wäre gleichzeitig der kräftigste Einwand der Franzosen aus der Welt geschafft. Außerdem nehmen eingeweihte Kreise an, daß Frankreich Österreich nur deshalb warten lasse, um auch den britischen Beitritt so lange wie nur möglich hinauszuzögern.

Grundsätzlich gilt freilich das österreichische Verlangen bereits als „überreif”. Gerade weil Österreich aber das erste Land war, das eine wirtschaftliche Teilnahme am Gemeinsamen Markt in Form einer Assoziierung beantragt hat und als Zeichen des Reifegrades in der Sache raten gewiegte Diplomaten zu einer deutlichen Distanzierung der Wiener EWG-Politik von jener Englands. Zudem ist noch zu prüfen, ob die Sechsergemednschaft durch jene Zollsenkungen, die sie Großbritannien und den drei anderen Mitgliedschaftskandidaten (Dänemark, Norwegen und Irland) anbieten wird, auch unseren wirtschaftlichen Interessen gerecht wird.

Guter Start Minister Mitterers

Der noch für die Integrationsbestrebungen zuständige Minister Mitterer (vom neuen Kompetenzgesetz wird es abhängen, ob er es auch bleibt) startete mit einer guten Formulierung, die auch seinem Parteifreund und Exhandelsminister Dr. Bock nicht allzu weh tun dürfte: „Mit meinem Besuch bei der EWG will ich die Kontinuität der österreichischen Integrationspolitik unter Beweis stellen. Ihre Zielsetzung ist unverändert. In meinem Reisegepäck gibt es jedoch keinen Platz für Illusionen.”

Wenige Tage später erklärte der Minister, dem man guten Willen und Sachverständnis kaum absprechen kann, die Entschlossenheit der Wiener Regierung, bis zur Verwirklichung dieses Zieles „zielkonforme Handelserleichterungen” mit der Gemeinschaft aushandeln zu wollen. Es werden alle sich bietenden Möglichkeiten zu einem Abbau der Handelsschranken zwischen Österreich und der EWG ausgeschöpft, um der österreichischen Wirtschaft die notwendigen Erleichterungen zu bringen.

Einen anderen, nämlich den sogenannten „Dreiphasenplan” präsentierte die unter Dr. Pittermann mit Recht noch als „EWG-feindlich” verschriene SPÖ. Als „pragmatische Politik der Annäherung an die EWG” wurde als Nahziel die Erlangung von Zollkonzessionen für wichtige österreichische Exportgüter verlangt. Weiters wird angenommen, daß auch die anderen EFTA- Staaten über kurz oder lang ihre Beziehungen zur EWG regeln werden. Österreich solle sich dann einfach die günstigste dieser Regelungen aussuchen. Im übrigen sollten sich die großen Kammern, der ÖGB und die Industriellenvereinigung, zur Beratung des Problemes in einem „Außenhandelsrat” zusammensetzen.

So sieht die politische Landschaft zu einer Zeit aus, zu der unsere Diplomaten — wo immer auch tätig — emsig bemüht sind, einen alten Karren, der ziemlich tief „drinn” steckt, wieder flottzumachen. Läßt man die Jahre vergeblichen Liebes- werbens um den großen EWG-Part- ner Revue passieren, ergibt sich, daß wir selbst zwar nicht an allem schuld sind, daß Österreichs Geduld in dieser Frage aber keineswegs eine bewunderungswürdige Tugend war.

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