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EWG: Hoffnung oder Skepsis?

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Bonn sieht der weiteren Entwicklung in der EWG mit vorsichtiger Zurückhaltung entgegen. Dies hängt vor allem mit seiner Einschätzung der künftigen Politik de Gaulles zusammen. Es sind vertrauliche Äußerungen hoher französischer Stellen bekannt, nach denen de Gaulle nach seiner Wiederwahl seine Europa- und Nato-Politik verschärfen werde. Dem steht die Überlegung entgegen, im Hinblick auf einen Erfolg seiner Partei bei den Parlamentswahlen 1967 müsse der General auf die starken Sympathien für die ursprüngliche Europakonzeption, die am 19. September zum Ausdruck gekommen seien, Rücksicht nehmen. Die amtliche deutsche Außenpolitik dürfte auch weiterhin — sozusagen bis zum Beweis des Gegenteils — davon ausgehen, daß kein Entgegenkommen die Politik de Gaulles ändern würde.

Mit dieser steifen Haltung steht die Bundesregierung in der EWG nicht allein. Im Gegenteil. Soweit es sich von Bonn aus überblicken läßt, hat sich in den letzten Wochen die Politik sämtlicher EWG-Staaten gegenüber Frankreich verhärtet. Die holländische Politik war ohnehin allezeit durch eine geradezu unerbittliche Konsequenz in der Ablehnung der Vorstellungen de Gaulles gekennzeichnet. Aber auch der etwas sprunghafte belgische Außenminister Spaak hait sich in jüngster Zeit ziemlich deutlich auf die Seite der Gegenspieler de Gaulles geschlagen. Auch Italien und Luxemburg haben eine Grenzlinie gezogen, über die hinaus sie mit ihrem Entgegenkommen gegenüber de Gaulle nicht gehen wollen.

Die Fünf sind sich einig in der Ablehnung einer Änderung des EWG-Vertrages, die de Gaulle anfänglich wohl im Sinn gehabt, inzwischen aber preisgegeben hat. Nach ihrem Willen soll das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat ab 1966 gültig sein, dessen Aufhebung ein Kernstück der de Gaulieschen Europapolitik ist. Die Fünf sind jedoch zu einer Verständigung dahingehend bereit, eine Mehrheitsentscheidung nicht herbeizuführen, wenn ein Mitgliedstaat erklärt, daß dadurch seine lebenswichtigen Interessen verletzt würden. Indiesem Sinne hatte Frankreich seinerzeit der Bundesregierung zugesagt, nicht gegen sie für eine Erhöhung des Getreidepreises zu stimmen. Nicht aufgenommen wird von den Fünf die andere Hauptforderung de Gaulles, nach einer grundlegenden Veränderung der Funktion der Brüsseler EWG-Kommission. Die Fünf meinen, es genüge, den Stil des Auftretens und der Aktivität der Kommission zu ändern, während deren Funktion nicht angetastet werden dürfe, um das wohlausgewogene Gleichgewicht der Kräfte in der EWG nicht zu stören.

„Ausweichquartier” Luxemburg

Die entscheidende Auseinandersetzung über diese Hauptpunkte wird auf der Sitzung beginnen, die am 17. und 18. Jänner in Luxemburg stattfinden soll. Schon bei den Vorverhandlungen zu dieser Zusammenkunft trat die überspitzte Vorsicht zu Tage, mit der die Gegenspieler sich nähern. Frankreich hat erreicht, daß die Sitzung nicht in Brüssel, der „europäischen Hauptstadt”, stattfindet und die Kommission, deren Präsident Hallstein und deren Vizepräsident Mansholt dem General ein besonderer Dorn im Auge sind, ausgeschlossen bleibt (Weis vertraglich zur Teilnahme zulässig ist). Auch hat die französische

Regierung ihre Zusage zur Teilnahme an der Luxemburger Sitzung über den italienischen Botschafter in Paris an den italienischen Ratspräsidenten Colombo gelangen lassen Sie ist also bilateral verfahren und hat den EWG-Weg vermieden. Anderseits hatte die französische Regierung ein Treffen der sechs Außenminister gewollt, ebenfalls, um die

Supranationalität aus dem Spiel zu lassen — aber die Einladung nach Luxemburg spricht von einer Sitzung des Ministerraites, und trotzdem will Frankreich kommen. Daraus leitet die Gegenseite ab, Frankreich kehre somit auf seinen leeren Stuhl im Rat zurück, eine Ausdeutung, die in Paris in keiner Weise honoriert wird.

Weiter in Schwebe

An sich wären die Fünf schon auf ihrer letzten Sitzung am 20. Dezember, der Frankreich abermals fem- geblieben war, gezwungen gewesen, den Haushalt der EWG und Eura- toms für 1966 in Kraft zu setzen. Aber das hätte eine Kampfansage an Frankreich bedeutet und die ganze Problematik der Rechtsgültigkeit von Beschlüssen, die in Abwesenheit eines Mitgliedstaates gefaßt werden, gleichsam auf die Spitze des Degens gestellt. Sicher nicht ohne einen Seufzer der Erleichterung haben jedoch die Fünf von dem fälligen Beschluß abgesehen, miit der Begründung, es müsse erst das Ergebnis der Luxemburger Zusammenkunft abgewartet werden. Die EWG muß daher vorerst mit den Ausgabepositionen wirtschaften, die Monat für Monat nach dem vorjährigen Haushalt bemessen sind.

Bei diesem Sachverhalt bleibt das Schicksal der EWG weiterhin in der Schwebe. Sicher ist dabei nur so viel, daß Frankreich sich an allen Maßnahmen beteiligt, die auf Grund bisheriger Beschlüsse erforderlich sind. Hingegen hat sich Frankreich schon seit Monaten jeder Maßnahme versagt, die erst noch einen Beschluß voraussetzt. Unter diesen Umständen ist auch in Bonn kein Gedanke mehr daran, die Pläne einer Politischen Union weiterzuspinnen. Bundeskanzler Erhard hatte diese Pläne nach seinem Amtsantritt aufgegriffen und als ein wesentliches Stück seiner Gesamtpolitik bezeichnet. Jetzt steht alles still, und niemand wagt eine Voraussage, ob die Luxemburger Konferenz den Start zu einer zukunftsträchtigen Weiterentwicklung oder den Auftakt zu neuen Reibungen und Konflikten bilden wird.

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