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EWG ohne Illusionen

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Es unzweifelhaft richtig, daß unser Land seine Wirtschaftspolitik nicht vom Standpunkt des Isolationismus aus gestalten kann. Allein die Entwicklung der Technik, der Automation und der Forschung, in Verbindung mit den immer größer werdenden Werkseinheiten und dem höheren Kapitalbedarf bedeutet die Notwendigkeit von Vereinbarungen mit dem Ausland in größerer Zahl, von größerem Umfang und für längere Perioden als bisher. In dieser Frage muß man allerdings vor allem von der Beurteilung österreichischer Interessen ausgehen. Und man muß dabei erkennen, daß hier auch Interessen anderer Gruppen im Spiel sind und diese auch in Österreich eingesetzt werden. Man kann ferner feststellen, daß in unserem Land bisher in vielem gute Politik gemacht und gute Arbeit geleistet wurde. Das neutrale Österreich mit seinem gesunden Gleichgewicht von Industrie und Landwirtschaft, von Schwer- und Leichtindustrie, von Technikern und Facharbeitern, befindet sich heute keineswegs in einer Zwangslage, sondern es kann ein starker, ruhiger Verhandlungspartner sein, der wohl etwas bietet, der aber selbst festsetzt, was er bietet.

Wir haben etwas zu verlieren. Deshalb muß gerade auf dem Gebiet der Wirtschaft eine grundsätzliche Änderung wohl erwogen und allen, die uns in einer Art Panikstimmung, ohne gründliche Überlegung jedes Schrittes, in die EWG treiben wollen („wir werden in der Neutralität verhungern”) in ruhiger und sachlicher Weise entgegengetreten werden. Die Theorie der Lebensunfähigkeit unseres mit begabten und fleißigen Menschen ebenso wie mit Rohstoffen gesegneten Landes war immer falsch. Aber ihre Verbreitung war und ist deshalb noch nicht geringer. In diesem Zusammenhang schrieb die „Neue Züricher Zeitung” am 11. November 1959, daß „Österreich sich’1 nöcK ‘ nicht ganz von der’ alM? falsęheji Theorie dę I_ęį en.swnf?bi ” keit befreit hat, die sowohl von den

Großdeutschen, als auch von den Donauföderalisten vertreten wird”.

EWG „nur wirtschaftlich”

Der Unterschied zwischen der EFT A und der EWG besteht gerade darin, daß sich die EFTA nur mit wirtschaftlichen Fragen befaßt, hauptsächlich mit der Ermäßigung der Zölle und der Erhöhung der Importkontingente der Mitgliedstaaten untereinander, die politisch unabhängig bleiben, während Montanunion und EWG supranationale Organisationen politischen und militärischen wirtschaftlichen Charakters sind. Über die Ausrichtung der EWG gibt es wohl keinen besseren Zeugen als Professor Erhard: „Die EWG hat einen vorwiegend politischen Aspekt; sie hat nur dann einen Sinn, wenn man auf die politische Gemeinschaft zusteuert.” In dieser Organisation haben die Vollmitglieder praktisch unwiderruflich auf entscheidende Teile ihrer Souveränität (wirtschaftlich zum Beispiel in bezug auf Einfuhrkontingente, Subventionen der heimischen Industrie, Vereinbarungen mit Drittländern) zugunsten der Gemeinschaft verzichtet.

Ist es eine „bloß wirtschaftliche” Frage, daß unsere Außenhandelspolitik statt in Wien in Brüssel, Bonn oder Paris gemacht werden soll? Wer es mit der Begrenzung des Verhandlungsthemas auf rein wirtschaftliche Fragen ehrlich meint, der kann von einer Einladung an die EWG-Staaten sprechen, der EFTA beizutreten. Die Diskussion, die in England um die Frage des Beitritts in die EWG geführt wird, hat ein ganz anderes Vorzeichen als bei uns. Entscheidend dabei ist nicht die Stärke der Stimmen, welche die wirtschaftlichen Vorteile der EWG für England als zweifelhaft bezeichnen und besonderen Wert auf eine von der EWG für England zu gewährende Sönderbehandlung zur Aufrechterhaltung des Commonwealth-Handels legen.,inöfihfidöjd ,i.s.t.jdas. Argument, daß roaa au politischen, nicht aus wirtschaftlichen Gründen in die EWG gehen soll. -n automatisch zu höherer technischer und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.

Es gibt einige Fragen, deren Lösung für uns vordringlicher ist, als eine überstürzte Assoziation mit der EWG. Wenn diese Fragen nicht gelöst werden oder wenn man ihre Lösung nicht wenigstens ernstlich in Angriff nimmt, wird die Verbindung zur EWG die Lage Österreichs eher verschlechtern als verbessern.

Industriepolitik ist eine Politik auf lange Sicht. Die großen Wirtschaftsorganisationen der USA und Deutschlands haben eine solche Politik, und das ist die feste Basis ihrer Erfolge. Diese Art von Industriepolitik fehlt bei uns fast völlig. Wir tun nichts gegen die Abwanderung unseres wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses ins Ausland. Wir behandeln die wissenschaftliche und technische Forschung nicht als das, was sie wirklich ist, nämlich das beste Geschäft und die beste Kapitalsanlage von allen, sondern als einen lästigen Bittsteller. Wir tun das im Bundesmaßstab, im Landesmaßstab und im Firmenmaßstab. Mit unverzeihlicher Kurzsichtigkeit verschleudern wir damit unsere industrielle Zukunft und unsere internationale wirtschaftliche Position. Die ersten, wenn auch nicht die schwersten Folgen machen sich jetzt schon spürbar. Aus einem Exportland von Chemikalien sind wir ein Importland geworden. Wir sind im Maschinenbau weit zurückgefallen. Ein zu Änderungen der Sozialgesetze kommen, Betriebe werden gezwungen sein, große Umstellungen vorzunehmen. Möglicherweise wird in Zusammenhang mit der durch die EWG zu erwartenden Schwächung der verstaatlichten Industrie die Koalitionsbereitschaft rechts oder links kleiner, und damit würden die politischen Spannungen größer. Im Zusammenhang mit der Freizügigkeit des Arbeitsmarktes würde sich ein Strom von Fremdarbeitern über Österreich ergießen, von denen ein Großteil von Kommunisten geführt sein würde, die geschickter wären als unsere Pensionisten Stalins.

• Unser Problem ist schließlich nicht freierer Kapitalverkehr, sondern Sicherung vor wirtschaftliche! Überfremdung. Die Schweiz hat diese Gefahr für sich auch erkannt und bekämpft. Wir kennen aus den Jahren der ersten Republik, wie schnell und wie vehement sich die politischen Folgen harmlos scheinender Industrie- und Bankbeteiligungen auswirken.

Die Folgen

Eine voraussehbare Folge der EWG- Assoziierung wäre eine erhebliche Schwächung, wahrscheinlich sogar das Ende der Ansätze einer zentralen Führung des verstaatlichten Sektors. Die Betriebe würden mehr oder weniger in den supranationalen Vereinigungen ihrer Branche aufgehen, also horizontal organisiert sein. Sie wären alle schwächer als früher.

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