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Fällt der Groschen?

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Es ist worden Abend, es ist worden spät. Der Film, das Kino, zu Recht und zu Unrecht früher einmal, heute vielfach nur noch zu Unrecht von der Aura sagenhaften und unerschöpflichen Reichtums umwoben, sind in Not. Das Phänomen ist nicht örtlich begrenzt, sondern weltweit.

Über die Gründe sind sich ausnahmsweise einmal Fachleute und Laien einig.

Es gibt eine innere Krise des Filmwesens. Nach den reihenweise erfolgten Vorstößen des Ton-, Färb-, Breitwand-, Raumton- und Pseudo- drittdimensionsfilms ist vorläufig eine neue technische oder dramaturgische Attraktion weitum nicht sichtbar, wenn wir nicht den 4-Stunden- oder, wie eben angekündigt, den kommenden 10-bis-12-Stunden-Film dazurechnen wollen; die geistige Vollengagie- rung der Dichter und Künstler im Film, die noch vor 25 Jahren das „universale moderne Kunstwerk" hat erwarten lassen, ist aus vielerlei Gründen nicht eingetreten; der Emanzipation des Massengeschmacks ist die inhaltliche und formale Fortentwicklung des Films nachgehinkt. Die Folgen sind eine allgemein grassierende Filmerschöpfung und Kinomüdigkeit.

Heftiger noch ist die äußere Krise. Reisen, Motor und Fernsehen, die neuen Trabanten des technischen Fortschritts lind des ungeähn- tittJ’V?ohtstands,’ häjbett ,!äife ‘VliWifj- düng der Freizeit revolutioniert. Altes zieht nicht mehr, Neues, Allerneuestes lockt — die Entwicklung ist in vollem Gange.

Handlungen, Wandlungen

Dieser Umwälzung muß Rechnung getragen werden. Es mag vor zehn bis zwölf Jahren einiges dafür gesprochen haben, daß man in Österreich den Film und das Kino durch die befristete Einführung des „Kulturgroschens“, das ist eine Sonderabgabe auf jede verkaufte Kinoeintrittskarte, anzapfte, um mit dem solcherart gewonnenen Öl die Maschine der heimischen Kulturbetriebe, in die mit und ohne Schuld der Beteiligten Sand gekommen war. zu schmieren. Heute gilt, was damals für die Theater und Ausstellungen gegolten hat, fürs Kino: es ist selber unterstützungsbedürftig geworden. Und wenn es schon nicht — heute noch nicht — um Subventionen bettelt, sollte es doch wenigstens nicht zusätzlich mit Sonderabgaben belastet werden, während seinem ungestüm aufschießenden Kind und Vatermörder, dem Fernsehen, vom Staate Millionen zufließen.

Gerade das aber, die Fortsetzung der Sonderbesteuerung, ist geplant — durch eine neuerliche Verlängerung des Kulturgroschengesetzes.

Dieses Gesetz hat seine Geschichte.

Es geschah vor zwölf Jahren

Das Kulturgroschengesetz vom 13. Juli 1949, BGBl. Nr. 191/49, trat am 1. September 1949 in Kraft, war ausdrücklich mit 31. Dezember 1954 begrenzt und verfügte die Einhebung von zehn Groschen für jede verkaufte Kinokarte durch die Verleiher. Aus dem Gesamterträgnis schöpften der Bund 25 Prozent, die Länder 75 Prozent. Schon am 1. Jänner 1951 erhöhte sich der „Groschen" im Verordnungsweg auf eine Staffel von 10, 20 und 30 Groschen, je nach Eintrittspreisgruppe. Durch die Erhöhung der Eintrittspreise beträgt der Kulturgroschen heute praktisch allgemein 30 Groschen. Dezember 1954: Neuerliche Verlängerung bis zum 31. Dezember 1955 (gleichzeitig Bund- Länder-Anteil abgeändert auf 15:85).

Dezember 1955: Verlängerung bis zum 31. Dezember 1957. Begründung: Besatzungssituation (?). Dezember 1957 und Dezember 1959: Neuerliche Verlängerungen bis zum 31. Dezember 1959 bzw. 31. Dezember 1961. Begründung: Die „stets, zunehmenden Anforderungen an Bund und Länder hinsichtlich der Förderung kultureller Zwecke". Erstmals wurde bei der

Verlängerung des Gesetzes gehen. Wer soll das verstehen?

Denn in der Zwischenzeit hat sich da allerhand geändert. Der allgemeine wirtschaftliche Notstand von 1949 hat sich erfreulicherweise in einen allgemeinen Wohlstand gewandelt. Nur das Kino ist in einen fatalen Gegenlauf dazu geraten, den die untenstehende Tabelle für Österreich eindrucksvoll widerspiegelt:

1961 hat sich diese Entwicklung noch rapider fortgesetzt (die Viertelmillion im Fernsehen ist erreicht), ihr Ende ist — aus den Erfahrungen der wichtigsten Filmzonen abgelesen — noch nicht abzusehen.

Gegenstoß

Es ist also begreiflich, wenn sich Österreichs Lichtspieltheater zum Wort melden und für die Unzumutbarkeit und Untragbarkeit einer neuerlichen Verlängerung des Kulturgroschengesetzes folgendes anführen:

• Bei 54 Milliarden Bundesbudget kann ein Kulturgroschenerträgnis von 4,5 Millionen Schilling in der Kulturetaterstellung unmöglich eine entscheidende Rolle spielen. Ähnliches gilt für den Länderanteil von 27 Millionen Schilling.

• Das „steigende Ausmaß der Kulturanforderungen“ sei zum Teil damit zu erklären, daß die vorhandene Geldquelle eben immer neue Bedürfnisse wecke und immer neue Subventionswerber anlocke. Kulturelle Förderungsmaßnahmen seien aber grundsätzlich Hoheitsaufgabe des Bundes und der Länder, also seien dafür auch all- getneine Steuerfelder und nicht einseitige Belastungen und Sonderbesteuerungen der Lichtspieltheaterbesitzer heranzuziehen.

• Wenn geschäftsmäßig nicht mehr ertragreiche Kinos sperren müssen, sei nicht einzusehen, daß schlechtgehende (häufig auch schlecht geführte) Theater und andere Kulturinstitutionen auf Biegen und Brechen über Wasser gehalten werden sollen.

• Die triste Lage von 1949 ferner sei weitgehend einem üppigen Wohlstand gewichen — man kann (könnte) heute ohne Not ins Theater gehen. Die aufschießenden Festspielblüten freilich seien nicht alle subventionswürdig.

• 800.000 Schilling schließlich verschlingen die reinen Einhebungskosten für den Kulturgroschen. Das sei unverhältnismäßig hoch und widerspreche der Ökonomie staatlicher Haushaltsführung.

Fünf vor zwölf

Das sind die Argumente der Filmleute, die gehört werden wollen. Das um so mehr, als die österreichischen Lichtspieltheaterbesitzer neben den üblichen Steuern nicht einer, sondern gleich drei Sonderbesteuerungen unter’ worfen sind, die sonst keinem Gewerbezweig zugemutet werden, indem a) die Vergnügungssteuer der Gemeinden weitaus höher als in allen übrigen europäischen Ländern ist,

b) eine zweite Sonderabgabe in Form der Landeslichtspielabgaben für Fürsorgezwecke eingehoben wird und c) der Kulturgroschen eine dritte Kinosondersteuer darstellt.

Es kommt dazu, daß die USA, Großbritannien und die meisten westdeutschen Bundesländer der neuen Lage schon weitgehend Rechnung getragen und die Vergnügungssteuer der Lichtspieltheater herabgesetzt haben.

Es wäre also nicht nur Billigkeit, sondern auch realistische Kulturpolitik, wenn das Kulturgroschengesetz von 1949, dessen deutlich ausgesprochene Befristung entgegen allen Versprechungen immer wieder und mit immer neuen Begründungen durch Verlängerung aufgehoben wurde, endlich, der neuen Lage Rechnung tragend, außer Kraft gesetzt würde. Nicht nur die direkt Betroffenen fragen sich in diesen Tagen: Fällt der Groschen?

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