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Fakultaten und Nationen

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Innerhalb der Hochschule überkreuzte sich (bis 1849) die Gliederung nach Fakultäten, nämlich den der Lehrer mit den akademischen Nationen der Studenten. Beiden Korporationen standen ebenfalls periodisch gewählte Würdenträger — die Dekane der Fakultäten, die Pirokura-toren der Nationen — vor. Allerdings hatten die Nationsnamen (österreichisch, rheinisch, ungarisch, sächsisch) eher geographischen Charakter, so eben, daß zum Beispiel „rheinisch“ den Westen, „sächsisch“ den Norden Europas bezeichnete. Der Einzugsibareich der Universität war schon im 15. Jahrhundert ein ganz bedeutender und erstreckte sich über ganz Süd- und Südwestdeutschland einerseits, über den europäischen Osten und Südosten anderseits. Fakultäten und Nationen hatten auch ihre eigenen Heiligen, deren Feste jährlich mit großem Gepränge gefeiert wurden.

Der Patron der Theologischen Fakultät war der heilige Johannes, die Juristen verehrten den heiligen Ivo, die Mediziner sowohl den heiligen Lukas als auch die Heiligen Cosmas und Damian, die Philosophen die heilige Katharina. Als Schutzheiliger der österreichischen Nation galt ursprünglich der heilige Koloman, dann der heilige Leopold. Die rheinische Nation feierte die heilige Ursula, die ungarische den heiligen Ladislaus und die Sachsen den heiligen Mauriz.

Im späten 15. Und frühen 16. Jahrhundert blühte in Wien die neue Geistesrichtung des Humanismus mit der reichen Pflege der antiken Wissenschaften und Künste auf. Die Welt verdankt Wiener Humanisten die Überlieferung vieler antiker Texte, aber auch die Naturwissenschaft, vor allem Mathematik und Astronomie, wurde besonders gepflegt. Die Zahl der jährlich neuaufgenommenen Studenten lag in dieser Zeit um tausend!

Aber die Reformation und die Türkengefahr brachten gar bald einen empfindlichen Rückgang der Universität als Lehr- und For-schungsanstalt. Erst die Reformen Kaiser Ferdinands I. von 1554 gaben der Universität wieder langsam Aufschwung.

In der Zeit der Gegenreformation wurden die Theologische und die Philosophische Fakultät der Universität den Jesuiten übertragen, welche sehr rasch für ein neues Aufblühen des Studiums sorgten. Bis zum Jahre 1773 stellte dann dieser Orden die Professoren für die beiden genannten Fakultäten. Die Jesuiten haben durch den Bau ihres Kollegiengsbäu-des und der Universitätskirche (1628) auch im Wiener Stadtbüd ihre Spuren hinterlassen. Im übrigen schritt während des 17. und 18. Jahrhunderts die langsame Umwandlung der Universität in eine reine Staatslehranstalt fort.

Die Forschung wurde weniger von der Universität als von den Museen, Klöstern und wissenschaftlichen Sammlungen betrieben. Den Gipfelpunkt dieser Entwicklung stellen zweifellos die Reformen Maria Theresias (1749), Josephs II. (1782) und Leopolds II. (1790) dar.

Im Jahre 1756 erhielt die Universität ihr neues Hauptgebäude — es ist dies die sogenannte Alte Universität, heute Sitz der Akademie der Wissenschaften —, das Allgemeine Krankenhaus wurde als Klinikbau errichtet, ein neues „Anatomisches Theater“ (Seziersaal) seiner Bestimmung übergeben, der Botanische Garten begründet u. a. m. Nach dem großen Stilistarid, welcher das öffentliche Laben in Österreich im sogenannten „Vormärz“ allgemein charakterisierte, brachte das Revolutionsjahr 1848 neuen Anstoß auch zur Förderung der Wissenschaft.

Die Universitätsgesetze von 1849 und 1873 schufen die Grundlagen der im wesentlichen noch heute bestehenden Universitätsverfassung, und auf dem Gebiete des Studiums wurde endlich die „Lehr- und Lernfreiheit“ erlangt. Das Staatsgrundgesetz von 1867 aber verkündete: „Wissenichalt und Lehre sind frei.“

Die Eröffnung das neuen Universitätsgebäudes an der Ringstraße im Jahre 1884 stellte gleichsam einen Schlußstein zu dieser Erneuerung der Universität dar.

Die Studentenizahlen nahmen stetig zu, und zwischen 1848 und 1918 haben allein fast 380.000 Hörer die Universität besucht. Nur etwa die Hälfte von ihnen kam aus deutschsprachigen Gebieten, woran die hohe Bildungsfunktion der Universität auch für die nicht deutschsprachigen Gebiete Österreich-Ungarns und für die östlichen Nachbarn Österreichs erkennbar wird. Um 1850 stellten sich übrigens auch schon die ersten Studenten aus dem Orient in Wien ein.

Unter den berühmten Schülern der Universität finden wir Anton Bruckner, Joseph Ressel, Franz Grülpar-zer, Adalbert Stifter, Nikolaus Le-nau, Joseph Freiher von Eichendorff, Robert Hamerling, Anastasius Grün, Friedrich Halm, Eduard von Bauernfeld, Moritz von Schwind, Hugo von HofmannsthaL Franz TrakL Ignaz Seipel und Karl Renner.

Die Zahl jener Lehrer, deren Namen mit einer wichtigen wissenschaftlichen Entdeckung, einem Lehrsatz, der Schöpfung eines neuen Fachgebietes verknüpft sind, ist überaus groß. Christian Doppler trug mit seinem „Prinzip“ zu den Voraussetzungen der Raumfahrt bei, Josef Loschmidt mit seiner „Konstante“ zum Werden der Atomphysik. Das (Josef) Stefan (Ludwig) Boltzmann-sche Gesetz ist in der Welt ebenso bekannt wie Sigmund Freuds Psychoanalyse, die Wiener Schule der Geschichtswissenschaft oder der Volkswirtschaftslehre. Der Chirurg Theodor Billroth führte die erste Resektion eines menschlichen Magens durch, Clemens Freiher von Pirquet schuf die „Allergielehre“, Carl Freiherr von Rokitansky machte die Lehre vom kranken menschlichen Körper erst zu einer Wissenschaft. Was die Mütter der Welt dem Entdecker des Kindbettfiebers, Ignaz Semmelweis, verdanken, müßte nicht erst erwähnt werden. Die Assimilation und Atmung der Pflanzen hat Jan IgennHousz zum ersten Male beschrieben, die mitteleuropäische Kunstwissenschaft nahm von Wien ihren Ausgang, und der Wiener Franz von Miklosich war der Begründer der Wissenschaft von den slawischen Sprachen.

Es mag hier auf den Arkadenhof der Universität verwiesen werden, in dem mehr als 130 Denkmäler an dieses „Heldenzeitalter“ der Wiener Universität erinnern. Die Verleihung des Nobelpreises an sechs Angehörige der Universität spricht ebenso für ihren hohen wissenschaftlichen Rang.

Heute ist die Universität Wien die älteste Hochschule im deutschen Sprachraum. Nach ihrem Grün-dungsdatum steht sie unter allen europäischen Hochschulen immerhin noch an 17. Stelle. Aber sie ist auch eine moderne Hochschule, die mit ihren fünf Fakultäten (Katholische Theologie, Evangelische Theologie, Rechts- und Staatswissenschaft, Medizin, Philosophie) sehr wesentlichen Anteil am Fortschritt der Wissenschaft hat.

Die Zahl der akademischen Lehrer liegt bei etwa 750, die der Assistenten und wissenschaftlichen Beamten bei 1500. Die Studenten kommen aus mehr als 60 verschiedenen Staaten aller fünf Erdteile und machen die Wiener Universität mit einer Zahl von etwa 17.000 zu einer der volkreichsten Hochschulen der Welt. Ungefähr ein Viertel aller Hörer sind Ausländer. Der Lehre und Forschung dienen zusammen etwa 150 Institute, Kliniken und Laboratorien. Die Universitätsbibliothek hat einen Bestand von zirka 1,6 Millionen Büehern. Da es noch eine große Zahl sogenannter Institutsbibliotheken gibt, verfügt die Universität gegenwärtig etwa über 2,3 Millionen Bücher.

Möge die Universität Wien und mögen ihre jüngeren Schwestern im Lande auch weiterhin bleiben, was sie sind und waren: feste Burgen der Forschung und der Lehre zum Wohle Österreichs iiind der Menschheit.

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