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Fallende Sperren um Spanien

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Seit mehr als einem Jahrzehnt belasten die Nachwirkungen des spanischen Bürgerkrieges die internationale Lage. Während das Land selbst zur inneren Ordnung zurückgefunden hat und auch die spanischen Gegner Francos wiederholt erklärten, dessen Weiterbestand einer neuen Einmischung auswärtiger Mächte und einer Erneuerung des Blutvergießens vorziehen zu wollen, stand das spanische Regime unter einer Art internationaler Verfemung. Unter dem Zwang wirtschaftlicher und politischer Notwendigkeiten, die eine europäische Konsolidierung verlangen und den fremden Einmischungen in die Angelegenheiten anderer Staaten widersprechen, lockert sich auch die Isolierung Franco-Spaniens; vor wenigen Tagen wurde die französisch - spanische Grenze für den Waren- und Personenverkehr wieder geöffnet.

In der Londoner Wochenschrift „T a- b 1 e t" vom 7. Februar gibt ein Madrider Mitarbeiter des Blattes ein anschauliches Bild der Situation, die zweifellos auch politische Hintergründe hat.

In seiner Neujahrserklärung für die spanische Presseagentur — berichtet der Madrider Brief des Londoner Blattes — war der spanische Außenminister kühn ge nug, vorauszusagen, daß in gleicher Weise wie im vergangenen Jahr die internationalen Probleme um Spanien sich verflüchtigt hatten, das Jahr 1948 das Ende der wirtschaftlichen Schwierigkeiten bringen werde. So, um offiziell zu sprechen, beginnt Spanien das neue Jahr mit Cptimismus. Wie dem auch sei, es scheint, als ob das Land an jener Kreuzung angekommen ist, wo grünes und nicht rotes Licht aufleuchtet.

Die vor kurzem herausgegebene Erklärung der Vereinten Nationen machte — wenn sie auch nicht die frühere tatsächlich aufhob, welche zur Abberufung verschiedener Gesandten aus Madrid geführt hatte — den Weg frei für eine Rückkehr der Ge-

sandten. Tatsächlich haben die Vereinigter1 Staaten mit der Ernennung eines hohen Beamten des amerikanischen Außenministeriums als Chargd d’Affaires bereits wieder engere Verbindung mit der spanischen Regierung aufgenommen. Und es war auch auf der Hand liegend, daß von dem Tage an, wo Amerika Verpflichtungen in Griechenland und in der Türkei übernahm, eine Annäherung mit jener Nation als wünschenswert betrachtet wurde, die den Eingang tum Mittelmeer quaderartig einnimmt. Aber abgesehen von politischen und militärischen Erwägungen, sprechen auch gewichtige wirtschaftliche Gründe für die Aufhebung jener Halbisolation gegen Spanien.

In jeder Reorganisationsbestrebung von Westeuropa hat Spanien einen angemeldeten Platz, den man ihm nicht absprechen kann, ohne die ganze geplante Struktur aufs Spiel zu setzen. Handelt es sich hier doch um eine kraftstrotzende Nation, deren Bevölkerung seit Beginn des Jahrhunderts alle drei Jahre um 1,000.000 Seelen zugenommen hat; dessen auswärtige Politik seit Aufgabe seines Kolonialreiches beständige Freundschaft gegenüber allen Nationen sich zum obersten Gebot gemacht hatte.

Die Sperre der französischen Grenze bedeutete nicht nur, daß mit einem Schlage die Handelsbeziehungen, die für beide Staaten von großer Bedeutung waren, annulliert wurden, sie traf auch den Handel von Portugal, Belgien. Holland und Zentraleuropa. Die Spannungen zwischen Frankreich und Spanien führten zu solchen Absurditäten, daß es zum Beispiel 18 Monate dauerte, um einen Austausch von leeren spanischen Güterwagen, die auf dem Frachtenbahnhof von Hendaye festgefahren waren, gegen dieselbe Anzahl von französischen auf den Bahnhof Irun durchzuführen. Und das trotz der Tatsache, daß beide Länder dringend dieses rollenden Materials bedurften und die Waggons auf Grund ihrer verschiedenen Spurweite für sich nicht gebrauchen konnten Die Frage der Beziehungen zwischen Frankreich und Spanien ist daher eine der wichtigsten Wurzeln des wirtschaftlichen Aufbaues von Südwesteuropa. Denn nichts kann erreicht werden ohne Wiedereröffnung der traditionellen Handelsströmungen und -Straßen. Wie sehr es die Wirtschaft traf, kann daraus ersehen werden, daß Spanien gezwungen war, Schiffe ins Rote Meer zu senden, um die notwendigen Phosphatprodukte zu erhalten, die es früher gerade gegenüber der Meerenge in Französisch-Marokko in genügender Menge vorgefunden hatte. Frankreich hinwiederum wurde dadurch in die Zwangslage gesetzt, für die Pyritengesteine, die es früher aus Spanien importierte, schwer erworbene Dollar zu bezahlen. Orangen für die Schweiz mußten anstatt auf dem alten Handelsweg durch das Rhonetal über Genua und dann über die Alpen transportiert werden, was notwendigerweise eine besondere Verpackung erforderte.

Solche Widersinnigkeiten müssen aufhören,

wenn Europa wieder zum Wiederaufbau zurückfinden will. Das wurde auch von den 26 Nationen, die jüngst in Genf zusammengetreten waren, erkannt: die Barrieren, die jedes dieser Länder um sich herum aufgebaut hat, müssen zu Fall gebracht werden.

Seit dem Ende des Bürgerkrieges hat Spanien großzügige Anstrengungen gemacht, die Spuren, die \ dieser furchtbare Bruderkampf hinterließ, zu beseitigen. Es war dabei gezwungen, sich vollständig auf seine eigenen Hilfsquellen zu verlassen. Jetzt ist es an jenem Punkt angelangt, wo cs aus Mangel an verschiedenen Grundstoffen in eine Stockung steuert. Die Viertelmillion mehr Münder, die jährlich zur Verpflegung Zuwachsen, bedürfen einer zusätzlichen Ernährungshilfe, die mit ungefähr 100.000 Hektar bebauten Landes berechnet wurde. Aber der landwirtschaftliche Ertrag ist aus Mangel an Düngemitteln im ständigen Absinken begriffen. Pläne wurden in Angriff genommen, um Nytrogenprodukte zu erzeugen, aber diese wurden wieder durch den Mangel an Maschinenanlagen blockiert. Dasselbe gilt für die Elektrizitätswirtschaft. Trotz des1 Fortschritts, den die Industrie in der Fabrikation von Turbinen gemacht hat, werden viel mehr gebraucht, als geliefert werden können. Die spanischen Verkehrslinien konnten sich von den Zerstörungen des Bürgerkrieges nie mehr erholen. Mangel an rollendem Material, Lastwagen, Traktoren und Autos hält die Weiterent-

wicklung auf und zwingt die Preise z m Ansteigen. Durch seine Anstrengungen, autark zu werden, als Folge der Isolierung, wurde Spanien in unwirtschaftliche Industrien hineingetrieben. Von diesem Labyrinth wird es sich, so gut es selber kann, herausziehen müssen.

Während Spanien also ruhigere und glücklichere Zeiten erwartet, geht das Leben in großzügigster Unsicherheit weiter. Der Korrespondent des „Tablet“ schildert die herrschende riesige Teuerung, der zufolge ein paar Strapazscbuhe für Schulkinder oder Arbeiter 3 englische Pfund kosten. Der Schwarze Markt sei fast ein Bestandteil des öffentlichen Lebens geworden. „Auf der einen Seite wird ,Estraperlismo‘ streng bestraft, auf der anderen wird er aber durch d\e ungleiche Verteilung der Rationen gefördert. Der Schmuggel geht weiter und die ernsten Warnungen des Kardinalprimas in seinen Leitsätzen für die Katholische Aktion waren vollkommen gerechtfertigt; Es wurde diesen jedoch wenig Platz zur Veröffentlichung gegeben und sie erschienen nur im Wochenblatt der Kirche, .Ecclesia'.“ Der Korrespondent stellt jedoch in Aussicht, daß ein Spanien, dem vom Ausland technische Zusammenarbeit und Erleidaterung im Ankauf von verschiedenen Rohmaterialien geboten werde, ein solches Spanien werde auch imstande sein, für den Wiederaufbau Europas wertvolle Exportgüter zu bieten.

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