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FEBRUAR 1934 Otto Bauers Fehleinschätzung

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Otto Bauers Ablehnung von Seipels Koalitionsangebot hat die Christlichsozialen gezwungen, zwischen Nationalsozialisten und Faschisten zu wählen.

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Otto Bauers Ablehnung von Seipels Koalitionsangebot hat die Christlichsozialen gezwungen, zwischen Nationalsozialisten und Faschisten zu wählen.

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Otto Bauers Ablehnung von Seipels Koalitionsangebot im Juni 1931 erwies sich als weichenstellender Fehler. Er stellte keine Bedingungen wie dies bei Koalitionsangeboten weltweit üblich ist, sondern begründete die unbedingte Ablehnung mit Hinweis auf „Gesetze geschichtlicher Entwicklung" von Karl Marx. Otto Bauer sah diese „Gesetze geschichtlicher Entwicklung", übrigens nicht zu Unrecht, von der damaligen Weltwirtschaftskrise bestätigt. Dabei übersah Otto Bauer unglückseligerweise einige Irrtümer in den Thesen von Karl Marx. Marx selbst hatte diese Irrtümer zwar erkannt und daher erklärt, daß er, Karl Marx, kein Marxist sei. Otto Bauer, wie auch andere Marxisten, haben diese Revision nicht zur Kenntnis genommen und bestanden darauf, in ihm einen unfehlbaren Lehrmeister zu sehen.

Nach dem Durchbruch von Hitlers Nationalsozialistischer Deutscher Arbeiterpartei bei den österreichischen Landtags- und Gemeinderatswahlen vom 24. April 1932 bekräftigte Otto Bauer neuerlich die prinzipielle Ablehnung jeder Koalition. Er forderte Neuwahlen, weil das am 9. November gewählte Parlament offenbar nicht mehr den Wählerwillen vertrat. Dabei war aufgrund der Wahlergebnisse vom 24. April 1932 vorauszusehen, daß die Sozialdemokraten unter 40 Prozent der Stimmen bekommen hätten, die Christlichsozialen an die 35 und die Nationalsozialisten an die 20 Prozent.

In Anbetracht der sozialdemokratischen Koalitionsablehnung wäre dann nur eine Koalition zwischen Christlichsozialen und Nationalsozialisten möglich gewesen. Um Neuwahlen zu vermeiden, zogen die Christlichsozialen eine Koalition mit den deklariert faschistischen Heimwehren als das kleinere Übel vor. Damit verschoben die Christlichsozialen die nationalsozialistische Machtübernahme um fünf Jahre, doch besiegelte der Einfluß deklarierter Faschisten in der Regierung das Ende der Demokratie.

In Anbetracht der überaus erfolgreichen sozialdemokratischen Verwaltung von Wien ist es sonderbar, daß sich die Sozialdemokraten nicht zutrauten, die Maßnahmen einer Koalitionsregierung in ihrem Sinn zu beeinflussen. Der Wohlfahrtsstaat, den die Sozialdemokraten in Wien als Miniatur aufgebaut hatten, hätte dafür als Modell dienen können. Ein demokratisches Österreich unter einer Regierung mit einer soliden Mehrheit im Parlament und unter der Bevölkerung wäre in der Lage gewesen, ein großzügiges Wohlfahrtsprogramm durchzuführen. Ein solches stabiles, demokratisches und prosperierendes Österreich hätte sich möglicherweise wehren können, als seine Unabhängigkeit angegriffen wurde. Es wäre jedenfalls nicht zu einer miserablen Schachfigur im Machtspiel zwischen den beiden Partnern Hitler und Mussolini reduziert worden.

SPANNUNGEN VERSCHÄRFT

Befürworter von Otto Bauers Ablehnung des Koalitionsangebots bringen als Argument, daß Seipel aufgrund vormaliger Bindungen an die Heimwehr nicht vertrauenswürdig war. Das Angebot beweist jedoch, daß Seipel sich von der Heimwehr abgewendet hatte. Diese war zu dieser Zeit in einem Zustand völliger Auflösung, da sich in ihren Reihen die Spannungen zwischen den Fraktionen immer mehr verschärften. Hier vertiefte sich nämlich die Kluft zwischen antiklerikalen Deutschnationalen, die mit Hitler sympathisierten, und den klerikal Eingestellten, die auf Mus.solini setzten.

Seipels Angebot war offenbar von folgenden Einsichten motiviert: daß die revolutionäre Rhetorik der Sozialdemokraten nur der Bewahrung der Einheit der Partei diente und Otto Bauer alles andere als ein Bol-schewist war, für den die Bezeichnung „Schaf im Wolfspelz" nicht abwegig war; daß der Kapitalismus versagt hatte und eine alternative

Politik angezeigt war; daß der Nationalsozialismus dabei war, auch in Österreich gefährlich zu werden.

Zu spät erkannte Otto Bauer und die sozialdemokratische Führung ihr verhängnisvolles Versäumnis. Als sie bereit waren, jegliche friedhche Kompromißlösung anzunehmen, war es zu spät. Die deklarierten Heimwehrfaschisten, in Besitz des Innenministeriums und unterstützt vom faschistischen Itahen, bestanden auf der völligen Unterdrückung der Sozialdemokratie.

VERSTÄNDIGUNG GESUCHT

In diesem Zusammenhang sollten auch die demokratisch gesinnten po-htischen Gegner der Sozialdemokratie anerkannt werden, die sich trotz der offenbar hoffnungslosen Lage für die Bewahrung der Demokratie einsetzten. In diesem Sinne deklarierten sich noch im Herbst 1933 die national-liberalen Politiker Karl Hartleb, Alfred Walheim und Franz Winkler.

Unter führenden christlichsozialen Politikern nahmen unter anderen der Arbeiterführer Leopold Kunschak und der Leiter des Verbands Österreichischer Industrieller gegen den Kurs der Führung ihrer Partei Stellung und plädierten für eine Verständigung mit der bedrängten Sozialdemokratie gegen die damals bereits einflußreichen

Faschisten der Heimwehr und gegen den Nationalsozialismus. Dieser Einsatz war damals vergeblich, doch zeigte er Wirkung, als die Zweite Republik entstand.

Die ab März 1933 autoritäre Re-

f'erung ließ sich jedoch von ihrem urs nicht abbringen, sondern drängte die Sozialdemokratie schrittweise mit „Salamitaktik" in die Enge. In Anbetracht der völligen Aussichtslosigkeit von jeghchem bewaffneten Widerstand war die sozi^ aldemokratische Führung nachgiebig und zu jedem Kompromiß bereit.

HANDLUNG IN NOTWEHR

Inzwischen kursierte in der Sozialdemokratie ein Lied mit dem Refrain: „Wir werden als freie Menschen leben oder kämpfend untergehen." Die Schutzbündler, die im Februar 1934 zu den Waffen griffen, wußten, daß ihr Widerstand ohne Aussicht auf Erfolg war. Ihnen ging es darum, daß ihre Partei, die ihnen so viel bedeutete, nicht kampflos untergehen sollte. Die im Dossier der FURCHE über den Februar 1934 (FURCHE 5/1994, Seite 11, von Gustav Kars, Anm. d. Red.) aufgestellte Behauptung, daß Koloman Wallisch eine Räterepublik Steiermark ausgerufen habe, beruht auf Phantasie. Die Schutzbündler handelten in berechtigter Notwehr.

Geht man vom Februar 1934 zum März 1933 so liegt die Schuld am Bürgerkrieg bei der von den faschistischen Heimwehren gesteuerten Regierung. Otto Bauers Ablehnung von Seipels Angebot einer Teilnahme an einer Koalition im Juni 1931 und bekräftigt im Mai 1932 hatte die Christlichsozialen jedoch gezwungen, zwischen den Nationalsozialisten und den Faschisten als Partner zu wählen.

In agener Sache:

Im Dossier FuRCHE 5j1994, „Bedenkjahr 1994: Geschichtsbilder im fVandel", wurde dem Autor des obenstehenden Beitrags, fVutter Simon, ein Zitat zugeschrieben, das nicht von ihm stammt Professor Simon stellte der FuRCHE eine Menge schrißlichen Materials aus eigener Feder zum Thema 19S4 zur Verfügung. Darunter befand sich auch ein Teil eines Artikels, der nicht von ihm stammt - und daraus haben wir zitiert: Otto Bauer habe jedoch im Laufe des Jahres 19)2 erkennen müssen, „daß die reale Alternative, vor der man stehe, gar nicht mehr die von Kapitalismus oder Sozialismus, sondern nur mehr die bescheidenere von bürgerlichem Rechtsstaat oder Faschismus sei". Die unter Anführungszeichen stehende Bewertung Bauers stammt nicht von Professor Simon, sondern von Norbert Leser und ist derselben Nummer der „Zukunft" (Februar 1984) entnommen, in der Walter Simon den Beitrag „Drei Fragen zum 12. Februar 19H" publizierte. Wir bitten Autor und Leserfür den Irrtum., aus einem Versehen entstanden, um Entschuldigung. fmg

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