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Feigenblatt des Ostens

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„Der Spiegel“, Rudolf Augsteins Nachrichtenmagazin, druckt gerade jetzt, in diesen für die deutsche Ostpolitik so entscheidungsschweren Wochen, Auszüge des bereits 1969 erschienenen dritten Bandes der Biographie Jakob Kaisers ab. Das Doppelproblem der politischen Existenz des christlichen Gewerkschafters und Mitbegründers der CDU in der Ostzone, nämlich dessen Auseinandersetzung mit Konrad Adenauer über die beiden Fragen der deutschen Einheit und der politischen Struktur der CDU kommt Augstein jetzt zweifellos zupaß: Jahrelang hatte Augstein mit unerschütterlicher Beharrlichkeit die Aufrichtung eines Linksregimes in Bonn unterstützt; jetzt braucht die von Willy Brandt revidierte Deutschland- und Ostpolitik der BRD, diese bewußte Alternative zum Konzept Adenauers, eine Verankerung in einer nationalen Solidarität, die sich hinter das enorme kalkulierte Risiko stellt. Dazu gehört der exemplarische Nachweis, daß Adenauers Deutschland-Politik schon vom Anfang an auch innerhalb der CDU auf energischen, grundsätzlichen Widerstand gestoßen sei.

Dieser Widerstand in Adenauers eigener Partei, in dem unter anderem auch Ursachen für die Rochade des CDU-Mitbegründers und Ex-CDU-Ministers, des jetzigen Bundespräsidenten Gustav Heinemann, ins SPD-Lager sichtbar zu werden scheinen, illustriert für eine Mentalität wie die Augsteins eine innere Berechtigung der Linksziehung, die in der BRD zwischen der Wahl Heinemanns zum Bundespräsidenten und der Brandts zum Bundeskanzler stattgefunden hat.

Der eigentliche Wert des Buches liegt aber keineswegs in politologischen Deutungen oder politischen Rechtfertigungen und Anklagen, sondern in der wissenschaftlichen Leistung des Autors, des Heidelberger Historikers Conze. Conze, der Kaiser schließlich bescheinigt (S. 255), er hätte „so entschieden wie kein anderer deutscher Politiker der Nachkriegsjahre versucht, die Einheit Deutschlands auf der Grundlage einer Übereinkunft der Siegermächte zu retten', kontrapunktiert sein Thema anderseits bereits auf den ersten Seiten (S. 34) mit der Lagebeurteilung Adenauers vom Oktober 1945, wonach die Trennung zwischen Ost- und Westeuropa und damit auch die Teilung Deutschlands damals bereits für den Rheinländer eine vollzogene Tatsache gewesen ist. Von dieser Gegebenheit ging Adenauer aus, um seine „westliche Politik“ zu machen.

Conze entflechtet sodann den unlösbaren Zusammenhalt der Bemühungen Kaisers um eine Rettung der Einheit Deutschlands in der Situation des „Transitoriums in Bonn“, wie es Theodor Heuss verstanden hat; das heißt vor einer Versteinerung der Teilung in der späteren Situation der militärisch (NATO, Warschauer Pakt), wirtschaftlich (EWG, COMECON) und politisch befestigten Brückenköpfe West und Ost in Europa. Der Zweikampf Adenauer—Kaiser war in der Deutschlandfrage in dem Augenblick unausweichlich, in dem der Rheinländer die Zweiteilung der Welt als eine vollendete Tatsache in Rechnung stellte, um nachher unbeirrbar seinen Westkurs zu steuern; und der Wahlpreuße Kaiser Ehre und Reputation riskierte, um wenigstens eine gewisse Einheit zu sichern, bevor die ohnedies dickflüssige Deutschlandpolitik der vier Besatzungsmächte gerann.

Risken an Ehre und Reputation, das hieß für Kaiser nicht, daß er sich etwa vor dem Vorwurf zu schämen gehabt hätte, er sei mit seiner ostzonalen CDU so etwas wie ein „Feigenblatt des Ostens“ (S. 157). Kaiser entwickelte unter den heute unvorstellbar schwierigen Verhältnissen der ersten Nachkriegsmonate in Berlin eine echte und wohl die einzige grundsätzlich verfestigte Alternative zum Experiment in Bonn:

• Die deutsche Einheit kann nicht von der Westflanke her gegen den Osten gewonnen werden; nur in einer Mitte, die Kaiser nicht bloß geographisch auffasste, kann sich eine Einheit noch einmal ereignen; diese nach Kaisers Ansicht anfänglich aufkommende Chance wollte dieser in Berlin realisieren; dort, wo die Präsenz aller vier Siegermächte von 1945 nolens volens am längsten andauert.

• Die deutsche Einheit braucht für ihren neuerlichen Vollzug ein neues soziales Gefüge jenseits von Marxismus und Kapitalismus (S. 38); Kaiser widersetzte sich daher allen „bürgerlichen Auffassungen“ und geriet allein dadurch in einen scharfen Gegensatz zu Adenauers Erklärung vom Juni 1946, wonach „das bürgerliche Zeitalter nie zu Ende sein wird“.

Kaiser war durch die gleichzeitige Sachwalterschaft in der Vertretung seiner Interessen in der (ostzonalen) CDU, in dem erneuerten Einheitsgewerkschaftsbund und im „Block“ der „antifaschistischen Parteien“ zweifellos überfordert; dies um so mehr, als er von seinem Kampf um eine CDU für das ganze Deutschland nicht abließ. Dadurch wurde es unvermeidlich, daß die für die soziale Struktur seiner Partei gebrauchten Formeln zuweilen einen vagen und mehrdeutigen Charakter bekamen: Christlicher Sozialismus, Sozialismus aus christlicher Verantwortung, (S. 42, 87), Christliche Soziallehre. Solidarismus usw. Der Differentialwert zwischen dem Sozialismus marxistischen Ursprungs und einer Sozialpolitik im Anschluß an den Kapitalismus wäre unter den damaligen Umständen kaum in einer Gelehrtenstube, geschweige denn auf dem politischen Gefechtsstand eines christlich demokratischen Parteiführers in der Sowjetzone leicht zu finden gewesen. Der Gebrauch der Worte „Sozialismus“ und „sozialistisch“ entzog Kaiser nach und nach zuviel politischen Kredit in der „freien Welt des Westens“; zumal dann, als der kommunistische Osten dazu überging, von „Sozialismus“ zu reden, wenn er die harte KP-Mechanik anwandte.

Dieser KP-Mechanik fiel Kaiser zum Opfer, als der Ost-West-Konflikt über die amerikanische „Marshall-Hilfe“ vollends ausbrach, die Londoner Konferenz (1947) einen dauernden Bruch zwischen den Westmächten und der UdSSR in der Deutschlandfrage brachte und das sowjetische Besatzungsregime Kaiser von jedem Einfluß auf die ostzonale CDU ausschloß. Abgesperrt von der Sowjetzone als ein „Kaiser ohne Land“, erlebte Kaiser in Bonn, in der Situation des „Kernstaates“ den letzten Abschnitt seines politischen und seines Lebensschicksals. Unter den Illustrationen des Buches befindet sich eine, die für das Ganze signifikant ist: Auf dem Parteitag der CDU Berlins 1946 sitzt Jakob Kaiser in einer Reihe mit seinen Gästen und Freunden aus dem Westen: Karl Arnold, Luise Schröder, Gustav Heinemann. Das ist die verlorene Generation der CDU. Solche verlorene Generationen gab und gibt es in allen nach 1945 von christlichen Demokraten gegründeten Parteien. Man denkt an Lois Wein-berger und Felix Hurdes, die österreichischen Freunde Jakob Kaisers aus der Zeit der Resistance gegen Hitler. Das aber wäre ein Kapitel österreichischer Geschichte, das zu schreiben wert wäre, weil ja die Sache nicht verloren ist.

JAKOB KAISER, POLITIK ZWISCHEN OST UND WEST. Von Werner Conze, Verlag Kohlhammer, 294 Seiten, DM 28.50.

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